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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

„G’horschamer Diener!“ tönte es vom Eingang her. Der Apotheker trat herein, ihm folgte Eulalia, und hinter ihnen drückte Hulda mit fester Hand die Thür ins Schloß.

„Wir kommen in geschäftlicher Angelegenheit,“ sagte der Apotheker, seine Gemeinschaft mit Eulalia erklärend, zur Frau Pfarrerin, was diese mit einem empfindlichen Gesicht erwiderte. Er machte dem jungen Paar seine Verbeugung; Mariechen hing den Kirschenmund heraus und der Forstgehilfe strich seine blonden Locken aufstutzig empor. In seiner Verlegenheit flüchtete der Apotheker zum Purzelmann, der lustig auf die zwiespältige Versammlung zu seinen Füßen herabgrinste. „Aus welchem Erz besteht der Kerl nur? Ob man nicht ein Stückchen einschmelzen und chemisch untersuchen könnte?“

Der Bibliothekar breitete beide Hände schützend über sein Kleinod aus. „Nur kein unberufenes Experiment, mein lieber Herr Apotheker! Unser Purzelmann hat nicht verdient, wie der Bel zu Babel behandelt zu werden. Er war kein so großer Herr, daß er Menschenfresser wurde; er rauchte nur, um die nöthige Ehrfurcht zu erwecken.“

„Ach, Herr Bibliothekar,“ kam Eulalia ihrem Herrn zu Hilfe, „es fällt dem Herrn Apotheker gar nicht ein, solch eine brotlose Kunst auszuüben. Ich habe dem Herrn gerathen, ein Bild vom Purzelmann, der doch eine große Berühmtheit ist, auf die Etikette von unserem Heidelbeerwein machen zu lassen. ‚Purzelmann-Heidelbeerwein‘ zeigt so gut etwas Apartes an wie ‚Hochheimer Domdechant‘. Und auf so etwas fallen die Leute immer herein. Es wird dieses Jahr eine so reiche Ernte; da könnten Sie einen schönen Schnitt machen,“ schloß sie, dem Apotheker sich zuwendend.

Der war froh, daß er auf dem festen Grund und Boden eines Geschäftes ankam, während die rosenrothe Benebelung, die ihn seither umfangen hatte, verflog, als hätte der rauchende Koboldsmund hineingeblasen. Er schmunzelte verlegen. „Sie sind ein verflixt schlaues Frauenzimmer, Eulalia. Ich werde einen Porzellanmaler aus der Fabrik drunten kommen lassen. Der soll ihn abzeichnen.“ Und er klopfte die kluge Haushälterin auf die Schulter.

Dann zog alles paarweise ab.

Der Pfarrer führte seine Gattin, die einzige Unzufriedene. Dann kamen der Apotheker und Eulalia, seit langer Zeit zum erstenmal einträchtig durch die Spekulation mit dem Purzelmannwein. Endlich der grüne Kragen und das rosige Pfarrerstöchterchen.

Als die goldenen Ohrglocken an der Küche vorüber läuteten, versteckte sich der Schwumprich hinter den Herd. Seit er den Purzelmann gebadet hatte, war er jeden Tag mit einer Ware daselbst zu finden.

Hulda warf einen verächtlichen Blick in seinen Schlupfwinkel und sagte: „Wenn ich der Kaiser wäre, ich ließe alles Weibsvolk einexerzieren, denn in der Courage sind wir Euch über.“

Dann verweigerte sie den Kauf der angebotenen Steinpilze. „Sie sind so bröckelig wie Eure Herzen,“ sagte sie.

Gleich einem begossenen Pudel schlich der ehemalige Flügelmann davon.

Sif hatte die Gäste, der ländlichen Sitte gemäß, bis an die Hausthüre geleitet und schaute ihnen nach. Sie hatte alles gesehen und gehört und dachte: Wenn Väterchen sich nur nicht getäuscht und statt eines Altjungfernhäuschens ein altdeutsches Heirathsbureau eingerichtet hat! – – –

Mit dem Ruhestand des Bibliothekars war es seit Auffindung des alten Erzgebildes vorüber. Er grübelte und forschte Tag und Nacht über dasselbe nach. Für seine Annahme, daß es kleine Gaugötzen gegeben hatte, sprachen viele Beispiele. Der Crodo auf der Harzburg! Freilich wurde neuerer Zeit behauptet, daß sein eherner Altar ein Altar der Kaiserin Theophania gewesen sei. Aber was wurde denn jetzt nicht angezweifelt? Zweitens: der Püstrich von der Rothenburg in der güldenen Au! Nur alte Nörgler sagten, es sei der Fuß eines Taufbeckens. Drittens: der Götze Doß im Voigtlande, von dem der treuherzige Dorfbewohner seinem gelehrten König Johann anvertraute, derselbe stamme aus der „kartholischen Heidenzeit“ – eine Mittheilung, auf welche dieser mit einem feinen Lächeln antwortete.

Der Bibliothekar trug alles zusammen, was er von dem Kultus des Purzelmännchens wußte; vornehmlich der Gebrauch aller Liebesleute, gerade dorthin ihre Zuflucht zu nehmen, diente ihm als Wegweiser. Er kombinierte, konjekturierte, stellte gewagte Hypothesen auf. Sein Steckenpferd wuchs ihm allmählich über den Kopf. Er bildete endlich auf wissenschaftlicher Grundlage einen kleinen Amor aus dem Purzelmann heraus.

Die Studierlampe mit dem grünen Schirm wurde ebenfalls dem Ruhestand entrissen. Der alte Bücherwurm schrieb eine Studie über den Fund. Wer einmal mit der Feder hinter dem Ohr auf die Welt gekommen ist, wird sie sein Lebtag nicht los. Der Aufsatz wurde in einer Zeitschrift abgedruckt, aber von den gelehrten Forschern sehr gelassen aufgenommen.

Ihrer Ansicht nach war der Fund eine fratzenhafte Figur aus dem Mittelalter, die Sage Ueberbleibsel von einem herabgekommenen Waldgott. Liebesleute, hieß es, wären immer in verborgenen Winkeln zusammen gekommen, nicht auf weithin sichtbaren Berggipfeln und freien Gemeindeplätzen.

Der alte Herr ärgerte sich und zitterte bei jeder neuen Sendung unter Kreuzband, die ihm eine Widerlegung brachte. Er kämpfte wie ein Löwe für seinen deutschen Amor, aber er vermochte nicht, seine Widersacher zu überzeugen. Da kam ihm wie eine Erlösung der Gedanke, seinen Findling auf die Ausstellung zu senden, welche das große Museum für deutsche Alterthümer im August veranstaltete. Dort sollte der Purzelmann wohl zu Ehren kommen. Und er wollte ihn selbst hinbegleiten, die nöthige Anleitung zum Rauchen geben, persönlich ihn dem Vorstand empfehlen.

Die Zeit drängte. Eine Anfrage beim Direktor des Museums wurde kurz, aber bejahend beantwortet. Nun traf der Bibliothekar alle Vorbereitungen.

Schon sollte der kleine Purzelmann in das mit duftendem Waldheu ausgepolsterte Kistchen gesetzt werden, – da entglitt er den aufgeregt zitternden Händen des Bibliothekars und fiel ihm mit aller Wucht seines Erzkörperchens auf die Füße.

Ein Aufschrei – der Gelehrte humpelte nach seinem Stuhl und brach dort zusammen.

Der alte Dorfarzt wurde gerufen.

„Helfen Sie mir schnell, bester Doktor!“ bat der Patient.

Der verordnete ruhig Pflaster, Umschläge und Stilleliegen.

„Kann ich übermorgen reisen? Ich muß fort!“ rief der Bibliothekar verzweiflungsvoll.

„In vier Wochen,“ war die gelassene Antwort.

„Da ist ja die Ausstellung vorüber,“ stöhnte der Daniedergeschlagene.

Der Arzt zuckte die Achseln und ging.

Es war still in der Stube. Am Fenster saß Sif und zupfte Charpie; auf dem Schmerzenslager sann und grübelte ihr Vater vor sich hin.

„Sif!“ tönte es endlich gepreßt von ihm her.

„Ja, Vater!“ Sie eilte zu ihm.

„Es hilft nichts! Du mußt an meiner Stelle reisen,“ stöhnte er. „Sonst wird der Purzelmann in eine Ecke gesteckt, und zum Rauchen bringt ihn niemand. Das ist zu mühselig. Ich bin ein zerschlagener Mann, und Du bist ein resolutes Mädchen. Also reise!“

Sif ließ ein wenig erschrocken ihre Zöpfe durch die Finger laufen. Als sie aber die Sorge und Unruhe in ihres Vaters Zügen sah, sprach sie entschlossen: „Wie Du willst, armes Väterchen. Wann meinst Du, daß ich reisen soll?“

„Am liebsten morgen früh,“ antwortete ihr Vater. „Du kommst abends dort an; am andern Tag giebst Du den Purzelmann ab und am dritten Tag kannst Du wieder hier sein. Der Direktor des Museums ist benachrichtigt. Mein Name wird Dir schnell Eingang verschaffen, aber der beste Passepartout ist der Purzelmann.“

Sif warf einen zweifelvollen Blick auf den kleinen Götzen.

„Vergiß nicht, ein paar Wachholderzweige mitzunehmen,“ fuhr ihr Vater fort, „daß es beim Rauchen den richtigen Geruch giebt. Was solche kleine Kunstgriffe thun, hat man bei den Meiningern gesehen. Du mußt das Experiment dem Direktor zeigen.“

„Ach, Vater,“ sagte Sif erröthend, „schickt sich das alles einem fremden Herrn gegenüber?“

Er wurde ungeduldig. „Bei uns Gelehrten, liebes Kind, gilt vor allen Dingen das Wort: dem Reinen ist alles rein.“

Da legte Sif ihre Charpie zusammen und packte ein zur Reise.

Hulda und der Schwumprich gelobten, den Herrn zu hüten wie ihren Augapfel, und beim Holzhändler lief der Kutscher mit Theereimer und Kragenmantel, um die junge Herrschaft und den alten Purzelmann nach der Eisenbahn hinabzufahren.

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 387. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_387.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)