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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)


Die Snussi und die Derwische.

Ein Streifblick auf die Zustände in Nordostafrika.

Es scheint, daß sich die Religionen mit Vorliebe an bestimmte Oertlichkeiten binden. Wir wissen, daß schon lange vor Mohammeds Erscheinen ein Hauptkult der heidnischen Araber in Mekka seine Stätte hatte. Der Tobba Abu Carib führte 206 vor Christi Geburt dort die jüdische Religion ein, während 343 nach Christi Geburt dort Theophil, abgeschickt vom Kaiser Konstantin, die christliche Lehre predigte, bis im Jahre 630 Mohammed endgültig Mekka der neuen von ihm gelehrten Religion gewann.

Denselben Wandel sehen wir sich knüpfen an Djarabub, die Hauptstadt der Snussi. Denn Djarabub ist nichts anderes als das wieder belebte Ammonium, dessen Gründung bis ins graueste Alterthum zurückreicht. Die ältesten Nachrichten über diesen so berühmten Orakelort finden wir bei Herodot. Diodor und Curtius Rufus, beide zu Anfang der christlichen Zeitrechnung lebend, geben uns eine ausführliche Beschreibung von dem damaligst Zustande der Oertlichkeiten, und in der neuesten Zeit finden wir in O. Parthens trefflicher Abhandlung über die Jupiter Ammons-Oase alles erschöpfend niedergelegt, was Ursprung, Bedeutung, Geschichte des Orakels und des ehemals und jetzt dort lebenden Volkes anbetrifft. Wir erfahren, daß Krösus von Lydien sich dort Raths erholte, daß Cambyses das Königreich der Ammonier mit Krieg überziehen wollte, sein Heer aber in der libyschen Wüste elend zu Grunde ging. Nach den Aussagen der Alten wurde es von einem Samum mit Sand überschüttet, während wir auf unserer Expedition in die libysche Wüste, auf der wir die bleichenden Knochen jener Soldaten des Cambyses gesehen haben, die Ueberzeugung gewannen, daß sie an Verdurstung zu Grunde gegangen sein müssen. Wir wissen auch, daß Alexander der Große nach dem Ammonium pilgerte und sich hier „Sohn des Zeus“ anreden ließ, daß Cato der Jüngere das Orakelheiligthum besuchte, bis dann das Christenthum seinen siegreichen Einzug hielt.

Der heidnische Tempel des Jupiter wurde nun in einen christlichen der Maria umgewandelt, wie denn die Oase nach den mittelalterlichen arabischen Schriftstellern, wie Edrisi, Abu'l Feda, Ebn el Wardi und Sakuti, die Benennung Santariat (Santa Maria) beibehielt noch lange, nachdem sie im 7. Jahrhundert die Religion Mohammeds angenommen hatte. Wenn aber Ritter meint, daß der heutige Name Siuay erst durch Wansleb im Jahre 1664 bekannt geworden sei, so können wir dagegen feststellen, daß er schon um die Wende des 14. Jahrhunderts bei Makrisi erwähnt wird.

Siuay, oder vielmehr die Stadt Djarabub ist heute wieder wie im Alterthum ein berühmter Wallfahrtsort und zugleich ein Orakelort. „Wer nach Djarabub pilgert,“ sagte der verstorbene Gründer des Ordens der Snussi, „kann die Pilgerreise nach Mekka entbehren.“

Und wie wir eingangs hervorgehoben haben, ist nun seit mehr als 3- bis 4000 Jahren das Ammonium ein berühmtes Heiligthum. Der Orden der Snussi ist gegenwärtig eine nicht zu unterschätzende Macht, er erstreckt sich, trotzdem er erst kurze Zeit existirt, über drei Erdtheile. Er hat Gelehrte, Soldaten, Feldherren, eine Unzahl von Sauyas[1], und wenn man die Zahl der ihm unmittelbar Anhängenden auf etwa 150000 veranschlagen darf, so kann man dreist alle die, welche für den Orden arbeiten, auf 2500000 bis 3000000 Seelen schätzen.

Der Stifter des Ordens war Si[2] Mohammed ben Ali el Snussi, geboren 1813 in der Tribe der Medjaher in der Umgegend von Mostaganem, Provinz Oran. Er widmete sich in der Jugend der Jurisprudenz, die wie alles bei den Mohammedanern sich innig an die Lehren des Korans anschließt. In seiner Jugend ereignete sich die Okkupation Algeriens durch die Franzosen. Und wenn er vorher schon durch die türkische Herrschaft in seinen religiösen Gefühlen gekränkt war, so steigerte sich durch die Besetzung Algeriens seitens der Christen sein religiöser Haß zu einem rasenden Fanatismus.

„Türken und Christen,“ pflegte er zu sagen, „sind vom selben Stamme, ich werde sie mit einem Schlage vernichten.“[3] Si Snussi, wie wir den Stifter jetzt schlechtweg nennen wollen, war schon zur Zeit der Türkenherrschaft in Algerien nach Marokko verbannt worden. Hier schloß er sich dem Orden Muley Thaîbs an, dem mächtigsten, den der Nordwesten von Afrika aufzuweisen hat und dem auch zahlreiche Triben in Algerien angehören. Denn es ist zu beachten, daß überhaupt in der mohammedanischen Welt jeder Erwachsene in irgend einen Orden eintritt. Es giebt fast kein Individuum in der islamitischen Welt, das nicht irgend einem Orden angehörte. Dabei ist natürlich nicht nöthig, daß die Mitglieder in einem Kloster leben, daß sie Coelibatäre sind. Im Gegentheil, je frömmer ein Mann ist, desto mehr Frauen hat er zumeist. Denn mit Frömmigkeit ist in der Regel bei dem Mohammedaner Reichthum verknüpft und dies gestattet ihm, die vier vorschriftsmäßigen Frauen zu


Das Denkmal des Herzogs Christoph von Württemberg auf dem Schloßplatze in Stuttgart.
Modellirt von Paul Müller.


  1. Sauya ist ein Kloster; damit verbunden ist in der Regel eine höhere Schule, ein Gasthaus und gewöhnlich das Asylrecht.
  2. Nicht Sidi obschon er später so genannt wurde und auch derzeit sein Sohn so titulirt wird. Denn „Si“ heißt schlechtweg „Herr“, „Sidi“ aber „mein Herr“, und auf diesen Titel wie auch auf den von „Mulen“ haben nur die Schürfer (Mehrzahl von Scherif), Abkömmlinge van Mohammed, ein Recht.
  3. Wir entnehmen dies der sehr interessanten Broschüre von Henri Duveyrier: „La confrérie musulman de Sidi Mohammed ben Ali es Snussi et son domaine géographique en l’année 1300 de l’hégire, 1883 de notre ère. Paris.“
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 425. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_425.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)