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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

nehmen und noch eine Menge „Chadem“, das heißt Dienerinnen, zu halten.

Mit der französischen Herrschaft wurde die Verbannung Si Snussis aufgehoben. Er kehrte nun nach Algerien zurück, durchstreifte als Professor der Rechte und der Gottesgelehrtheit ganz Algerien und rückte so langsam vorwärts, bis er Mekka erreichte, wo zu der Zeit der Schich Ahmed ben Edris die philosophische Schule des weisen Chadeliya vertrat. Die Schule, deren Lehre innig verwandt mit derjenigen der Derkawa und Wayabiten ist, vertritt den schroffsten Gegensatz zu allem Christlichen.

In Mekka wurde Si Snussi zuerst Anhänger Ahmed ben Edris und dann bei dessen Tode der ausgesprochene Nachfolger desselben. Im Anfange durchstreifte er Yemen, suchte Schüler zu erwerben, kehrte aber bald, nachdem er das Unnütze dieses Versuches eingesehen hatte, nach Mekka zurück, um unter den dort befindlichen Berbern Propaganda zu machen und ihnen die tariqa mohammediya (den Weg des Mohammed) anzuzeigen. So nannte er seine Religion, eine Art von reformirtem Chadelismus, die er seiner Aussage nach aus dem Koran, aus den Werken der Commentatoren und aus seinen eigenen Gedanken hervorgezogen hatte, um sie seinen Schülern als den wahrhaftigsten und reinsten Islam hinzustellen, befreit von allem Nebenwerk, welches die Theologen seit 12 Jahrhunderten in die Lehre des großen Propheten eingeschmuggelt hätten. Es ist wichtig, festzuhalten, daß in der Folge die Schüler den Namen tariqa mohammédiya einfach in tariqa es snussiya umwandelten.

Si Snussi hat viele Werke veröffentlicht, von denen das bedeutendste den anspruchsvollen Titel „el schemus el schareqa“, „die aufgehenden Sonnen“, führt. Seine Lehre gipfelt in den Bestimmungen der Verehrung Gottes, ferner der Verehrung lebender Heiliger, aber nicht der verstorbenen, Mohammed selbst nicht ausgenommen. Der Gehorsam gegen den mohammedanischen Herrscher wird gepredigt, da derselbe zugleich weltlicher und geistlicher Herrscher sei, aber nur wenn er der reinen Lehre angehörig sei. Jeder Luxus in der Kleidung soll vermieden werden, Gold und Silber dürfen nur an den Handgriffen der Waffen geduldet werden, den Frauen ist das Anlegen von Seide und Gold gestattet. Gegen die Trunkenheit zieht Si Snussi stärker zu Felde als ein schottischer oder amerikanischer Temperenzler, er verbietet sogar den Genuß von Kaffee und den Gebrauch von Tabak. Er erlaubt Thee zu trinken, aber nur mit Kandiszucker, weil der weiße Zucker mit Knochenmehl versetzt ist, das von Thieren herstammt, welche von Nichtmohammedanern getödtet worden sind. Es ist streng verboten, mit Christen oder Juden zu sprechen, zu handeln oder gar ihnen zu dienen. Außerdem sind den Snussi verschiedene Gebete eigentümlich, z. B. „Gott verzeih mir“, das hundert Mal des Tags wiederholt werden muß. Alle diese Vorschriften haben die Snussi übrigens mit den meisten anderen Orden gemein, z. B. mit dem Orden Muley Thaibs, nur daß sie bei diesen langsam in Vergessenheit gekommen sind.

Der Orden der Snussi, der jüngste der mohammedanischen Religion, hat viel Gemeinsames mit dem jüngsten christlichen Orden, dem der Jesuiten: er verfolgt den Plan der Weltherrschaft und erstrebt ganz dieselben Ziele: das Bedenkliche bei den Snussi ist, daß sie auf Massen wirken, die vollkommem ungebildet sind, ja die größtentheils nicht lesen und schreiben können.

Nach einer mohammedanischen Sage sollte der Mahdi, d. h. der Reformator, der sämmtliche Menschen zu Gläubigen machen soll, im Jahre 1300 der Hedschra, also im Jahre 1883 christlicher Zeitrechnung kommen. Es war daher nicht ohne Bedeutung, daß Si Mohammed den Ali el Snussi seinen ältesten Sohn, welcher als Mutter eine „Fatma“, als Vater einen „Mohammed“ hatte, Bedingungen, an die das Erscheinen des Mahdi geknüpft war, „Mohammed el Mahdi“ nannte.

Dieser Mohammed el Mahdi regiert augenblicklich den Orden der Snussi, und wenn er sich auch im Jahre 1883 ruhig verhielt, so war diese Ruhe nur eine scheinbare. In Wirklichkeit begann der Mahdi seine Bewegung. Nur abwarten wollte er die Dinge, da in Aegypten sich wichtige Ereignisse abwickelten, welche seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen.

Es war nun im August des Jahres 1881, als ein einfacher Zimmermeister von Dongola, Mohammed den Ahmed, der die Schulen von Chartum besucht und sich 1870 dem Orden des Abd el Kader el Djelali gewidmet hatte, zum erstenmal von sich reden machte. Er lebte am oberen Nil auf der Insel Abba gegenüber von Faki Kohe und kam bald in den Geruch großen Wissens und großer Heiligkeit. Sein Einfluß war um so größer, als er ihn verstärkt hatte durch Heirath der Töchter einflußreicher Baggarahäupter. 1881 proklamirte der Mann vollkommene Gleichheit der Mohammedaner, Gütergemeinschaft und Vertilgung der Mohammedaner, Christen und Heiden, welche seine Mission nicht anerkennen wollten. Von diesem Tage an nahm er den Titel des Mahdi an. Er war zu früh, Mohammed el Mahdi, der Snussi, zu spät gekommen.

Es ist noch frisch im Gedächtniß aller, wie alle ägyptischen Völker südlich von Chartum und selbst bis Berber hinauf ihm zufielen, wie sie, die schlechtestbewaffneten Horden, durchglüht von Fanatismus, selbst die regulären von Engländern angeführten ägyptischen Truppen schlugen. Aber der Dongolaner sollte nur eine kurze Laufbahn haben; er starb, und es folgte ihm sein Sohn Abdallah. Dieser war aber nicht vom selben Glück begünstigt wie sein Vater, und sein Statthalter Osman Digma zeigte auch nicht mehr die gehörige Schneidigkeit. Man sagte im vergangenen Jahr, daß, wenn die Engländer jetzt vorgehen würden, es ein Leichtes sein würde, den Aufstand zu bewältigen und den Mahdi - dieser Titel scheint erblich auf den Sohn Abdallah übergegangen zu sein - zu verjagen.

Da nun die ersten Rechts- und Religionslehrer in Mekka und Kairo nichts von dem Mahdithum Mohammed ben Ahmeds wissen wollten, im Gegentheil ihn exkommunicirten, so hielt es im vergangenen Jahr Sidi - er legte sich selbstverständlich wie sein Vater diesen Titel bei - Mohammed el Mahdi, der Schich der Snussi, für angezeigt, ebenfalls aus der Reserve zu treten, und exkommunicirte seinerseits Abdallah, den Mahdi. Der eine Mahdi bekämpft den anderen Mahdi, wem fällt dabei nicht der Spruch „Ihr sollt den Teufel nicht durch Beelzebub austreiben“ ein! Denn eine so große Macht Sidi Mohammed el Mahdi, der Snussi, auch haben mag, wie wir gleich zeigen werden, die Thatsache ist auch nicht wegzuleugnen, daß er von den mohammedanischen Gelehrten in Mekka, in Kairo, in Fes für den Verkündiger einer Irrlehre angesehen wird, was sich dadurch kund that, daß man die Snussi als Choms[1] bezeichnet.

Sidi Mohammed el Mahdi residirt in Djarabub, auf dem 29° 48´ N. B. und 24° 10´ O. L. v. Gr. am Rande des libyschen Wüstenplateaus gelegen. Sein Vater gründete an diesem antiken Platze, wo sich zahlreiche unterirdische Bauten und Katakomben der Aegypter, Griechen und Römer befinden, seine Sauna. Der Platz wurde ihm 1861 durch Vermittlung Mohammeds ben Dhafer, des ehemaligen Lehrers des Sultans Abd el Hamid, von diesem selbst geschenkt. Die Süßwasserbrunnen der Alten waren seit langem versiegt, alles mußte neu geschaffen werden. Hier in der Nähe befindet sich ein ausgedehntes Salzlager, wo im Alterthum das berühmte Ammonische Salz gewonnen wurde, welches die Priester des Ammontempels als besonders weiß und gut hochstehenden Persönlichkeiten zum Geschenke machten und womit sie nebenbei Handel trieben.

Im Jahre 1868 lagerte ich nur zwei Stunden von dieser berühmten Sauna entfernt bei einer Oertlichkeit Namens Hoëssa. Ich notirte damals in meinem Tagebuch: „Wahrscheinlich hat Sidi Snussi zu seinem ersten Wohnsitze alte Katakomben gewählt, wo ihm die geheimen unterirdischen Gänge zu seinen Betrügereien gut zu statten kamen.“ Wunder passiren hier denn auch noch alle Tage und werden mit großer Leichtgläubigkeit und mit lawinenartiger Vergrößerung von den Bewohnern weiterverbreitet. So läßt Sidi el Mahdi wie vordem sein Vater das Essen für die zahlreichen Verehrer und Pilger vom Himmel herabsteigen, und obschon sich in der Umgegend von Djarabub keine Aecker und Felder befinden, sind die Speicher und Vorrathskammern immerwährend gefüllt. So trinkt Sidi el Mahdi das schönste Süßwasser, obwohl der Faradgasee[2],

vor der Thür der Sauna gelegen, vollkommen untrinkbares Wasser hat. Blinde und Lahme werden täglich geheilt, so nach den Aussagen der frommen Verehrer Snussis fallen auch zahlreiche ehemalige Christen, jetzt durch das allmächtige Gebet des Snussi zum Islam bekehrt, sich in der Sauna aufhalten.

  1. Die Mohammedauer haben ihre vier rechtgläubigen Ritisten, die Hanbaliten, die Hanesiten, die Schaffeiten und die Malekiten, alle, die einer dieser vier Riten angehören, werden als orthodox bezeichnet, alle, die außerhalb derselben stehen, sind „Choms“, d. h. Fünfte.
  2. Jetzt hat übrigens Sidi Mohammed el Mahdi mehrere Süßwasserbrunnen bohren lassen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 426. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_426.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)