Seite:Die Gartenlaube (1889) 437.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Ein unheimlicher Gast auf Deutschlands Fluren.

Von Professor Dr. Pabst. Mit Abbildung von E. Schmidt.

Alljährlich erscheint, bald zahlreicher bald spärlicher, auf den deutschen Fluren ein seltsames Wesen, ein Schmetterling, der Todtenkopf oder Acherontia Atropos, wie sein lateinischer Gelehrtenname lautet. Er ist merkwürdig nicht bloß durch seinen schaurigen Namen auch seine ganze Entwicklungsgeschichte, seine Wanderungen und sein nur vorübergehendes Verweilen in unseren Gegenden reizen die Neugierde und die Forschungslust so sehr, daß es gewiß angezeigt ist, mit dem Leben und Weben des düsteren Gesellen auch weitere Kreise bekannt zu machen.

Der Name „Todtenkopf“ ist für das Thier sehr bezeichnend, da das pelzig dicht braunbehaarte Bruststück des Schmetterlings eine ockergelbe Zeichnung trägt, welche sichtlich einem Todtenkopfe ähnelt, unter welchem zwei Knochen sich kreuzen. Atropos gehört zu der Abtheilung der Sphingiden oder Schwärmer, die sich durch kräftige Muskulatur und dadurch bedingte große Flugkraft vor anderen Schuppenflüglern auszeichnen. Sein Kopf trägt zwei große, im Halbdunkel leuchtende, geheimnißvoll funkelnde Facette-Augen; daneben stehen zwei dicke Fühler, welche viel kürzer sind als der halbe Oberflügel und in einen weißen, rückwärts gebogenen, spitzen Haarpinsel auslaufen. Außerdem sitzt am Kopfe noch ein kurzer, ziemlich breiter, spiralförmig einrollbarer Saugrüssel. Der Leib ist plump und dick, ein blaugrauer, etwa 5 mm breiter Streifen durchzieht ihn der Länge nach, und die ersten 6 Leibesringe sind je durch einen schmalen schwarzen Querstreifen scharf abgetrennt. Die Längsachse des Thieres beträgt etwa 6,5 cm, die Spannweite der Oberflügel 12 cm. Die letzteren sind schwarzbraun, mit rothbraunen, gelben und weißen verwaschenen Streifen durchzogen und mit einem weißlichen, scharf hervortretenden, dem oberen Flügelrande genäherten Mittelpunkte gezeichnet. Die wesentlich kürzeren Unterflügel sind ockergelb gefärbt und werden von zwei schwarzen Binden von oben nach unten durchzogen.

Der Todtenkopf fliegt nur in später, dunkler Nacht wird aber durch helles Licht angelockt, und so ereignet es sich bisweilen, daß er durch das offene Fenster einer erleuchteten Wohnung eindringt und durch seinen lauten, rauschenden Flug, sowie durch seine ganz ungewohnte Erscheinung furchtsame Gemüther in großen Schrecken versetzt. Früher wurde er da, wo er erschien, für einen Boten des Todes oder eines sonstigen Familienunglücks gehalten.

Man hat den Schmetterling bisweilen in Bienenstöcken vorgefunden vom Geruch des Honigs angelockt, hatte er sich durch das Flugloch in den Bau begeben und sich ungestört eine Zeit lang von der süßen Speise genährt. Die schwachen Bienen vermögen ihm nicht viel zu schaden. Seine gewöhnliche Nahrung besteht wahrscheinlich wegen der Kürze seines Rüssels in den aus kranken Bäumen fließenden Säften, doch es fehlen hierüber genauere Beobachtungen.

Dieser größte europäische Schmetterling, vermutlich erst im vorigen Jahrhundert aus Afrika oder Ostindien nach Europa eingewandert, tritt in Norddeutschland alljährlich auf, jedoch gewöhnlich nur in wenigen Exemplaren; manchmal aber, in besonders schönen Sommern wie 1886 wird er auffallend häufig gefunden. Sein eigentliches Verbreitungsgebiet ist außer dem südlichen Europa das südliche Asien von Kleinasien bis Java, ganz Afrika und Mexiko.

Die Heimath der bei uns ihre Eier absetzenden Todtenköpfe ist das südliche Europa. Infolge seiner gewaltigen Flugkraft, von Wind und Wetter begünstigt, dringt dieser Schwärmer im heißen Sommer weit nach Norden vor. In seiner Heimath erscheint er in zwei Generationen. Die im Mai oder Anfang Juni aus der Puppe schlüpfenden Exemplare kommen nicht zu uns, bis jetzt wenigstens ist während dieser Monate in Norddeutschland noch kein Todtenkopf gesehen worden. Schon Ende Juli aber fliegt die zweite Generation, und von dieser stammen unsere Atroposraupen. Diese im erwachsenen Zustande durch ihre gewaltige Größe und Korpulenz auffallenden Geschöpfe (12 cm lang, 2,5 cm breit) sind 16füßig, nackt, meist grünlich gelb gefärbt und mit schwarzblauen Pünktchen dicht bestreut; auf den 3 ersten und den beiden letzten. Gliedern fehlen jedoch diese Punkte. Vom vierten Gliede ab ziehen sich schöne blaue, nach vorn offene, unterwärts schwarz beschattete Winkelhaken über den Rücken, je einer auf jedem Gliede. Auf dem elften Leibesring sitzt ein Sförmig gebogenes, gekörntes, an der Wurzel verdünntes und wie ein Schwänzchen herabhängendes grüngelbes Horn und an der Grenze zwischen Rücken- und Bauchseite befindet sich auf dem ersten und vierten bis elften Segment rechts und links je ein dunkelbeschattetes, mit einem hecken Ring umfaßtes Stigma (Athemloch). In der Färbung sind die Raupen bisweilen verschieden, es giebt auch graubraune Exemplare, doch die aus ihnen sich entwickelnden Schmetterlinge weichen darum nicht ab von der Normalfärbung.

Die Lieblingsnährpflanze der Atroposraupe ist die Kartoffel, von welcher sie indessen nur die Blätter frißt; an den Knollen vergreift sie sich niemals. Zur Zeit der Kartoffelernte werden die Puppen öfters zu Tage gelegt, und ihr Schicksal, d. h. ihre Weiterentwickelung oder ihr Tod, hängt lediglich von den Händen ab, in welche sie gelangen. Außer auf Kartoffelfeldern findet man die Raupen vom August bis September vereinzelt noch auf einigen anderen Pflanzen. Da sie aber nie in großer Zahl gemeinschaftlich auftreten, so richten sie nirgends Schaden an, sie sind trotz ihrer Größe harmlos für den Gärtner sowohl wie für den Landwirth.

Meist gegen Ende September verwandelt sich. die Raupe in eine glänzend schwarzbraune Puppen von etwa 7 cm Länge; hinter

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 437. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_437.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)