Seite:Die Gartenlaube (1889) 485.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

No. 29   1889.
      Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig oder jährlich in 14 Heften à 50 Pf. oder 28 Halbheften à 25 Pf.


Nicht im Geleise.

Roman von Ida Boy-Ed.
(Schluß.)


Mit wankenden Schritten ging Gerda in das Gemach, wo Sascha in einem Lehnstuhl kauerte und neben ihm die Dienstboten des Hauses standen.

„Komm, mein Liebling,“ sagte sie, mühsam ihren Ton beherrschend. Sie neigte sich zu ihm und hob ihn auf. Er war so leicht geworden, daß sie ihn ohne Mühe trug.

Ein schweigender, kleiner, trüber Zug folgte der Herrin in den lichtschimmernden, weihnachtlich geschmückten Festraum.

Gerda stand vor dem Christbaum. Das Kind hatte seine Arme um ihren Hals geschlungen und seine Wange an ihre gelegt. Stumm schauten sie in das Strahlengefunkel. Plötzlich fühlte Gerda an ihrer Wange ein heißes Naß – Thränen aus den Augen ihres Kindes.

„Gott, den sie barmherzig nennen, gieb Du mir Kraft!“ betete Gerda in stummer Verzweiflung, während ihre Arme fester das Kind umschlossen.

Sie ging hinüber auf die Seite, wo der Tisch mit den Geschenken für die Leute stand.

„Dies,“ sagte sie mit kaum hörbarer Stimme, „dies schenkt Euch alles mein Sascha als Dank für die Liebe, die Ihr ihm zeigt.“

Die beiden Mädchen und der derbe Knecht weinten und küßten die Hände der Herrin und des Knaben. Dann nahmen sie die reichen Spenden und gingen weinend hinaus.

Gerda trug den Knaben auf die Chaiselongue und knieete vor ihm nieder. Der Kleine hatte auf seinen Wangen dunkelrothe Flecke. Sein Puls flog, sein Auge brannte.

„Nun kommt mein Geschenk,“ flüsterte er mit seligem Lächeln.

„Mein Liebling,“ sagte die geängstigte Frau, „Du hast Dir ja nichts gewünscht.“

„Doch,“ erzählte er leise und wichtig, „doch! Aber nicht von Dir, vom lieben Gott etwas. Gesagt habe ich es ihm jeden Abend. Du sagst zwar, er sieht immer, was in unseren Herzen ist, aber ich dachte, Weihnacht hat er in so vielen Herzen etwas zu sehen, daß er nicht alles und alles behalten kann, deshalb habe ich es ihm jeden Abend gesagt.“

„Was denn?“ fragte Gerda zitternd. Sie war bleich wie der Tod. Und dabei suchte sie mit klammernden Fingern das Händchen des Knaben festzuhalten, um den fieberkündenden Puls zu zählen. Aber das Kind war sehr unruhig und wollte nicht angefaßt sein.

Saschas Augen irrten umher. Er sah an den blanken Glaswänden entlang und zu dem Schnee hinaus.

„Deshalb wollte ich auch im Glashaus meinen Tannenbaum haben,“ erzählte er weiter.

„Weshalb?“ fragte Gerda, die das irre Fieberlicht sich wieder in den großen Kinderaugen entzünden sah.

„Ein Engel wird kommen mit großen Flügeln, weiß von Schwanenfedern, aber mit silbernem Schimmer. Ja, und der führt ihn an der Hand. Die Glaswände thun sich auf und der Schnee zertheilt sich. Ich habe es dem lieben Gott ganz genau beschrieben.“

Seine Lippen sprachen flüsternd und unverständlich weiter, seine Augen hafteten


(Fr. Silcher.
Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, daß etc.)

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 485. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_485.jpg&oldid=- (Version vom 1.4.2020)