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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Zeugniß ablegte. Die Dorfgenossen liebten ihn nicht, aber sie fügten sich der überlegenen Persönlichkeit, deren Wirken, wenn es auch nicht frei von Härte war, doch der Gemeinde immer zum Vortheil gereicht hatte. Und ebenso wie in der Gemeinde herrschte Madulani im eigenen Hause, das unter den ärmlichen steinernen Wohnstätten sich durch Größe und Wohlhäbigkeit auszeichnete. Es ging darin alles seinen geregelten, ruhigen Gang; ernst und wortkarg beaufsichtigte die stattliche Hausfrau das Gesinde und den großen Viehstand, welcher Madulanis Hauptreichthum ausmachte und nicht wenig zu seinem Selbstgefühl beitrug. Ebenso stolz wie auf sein Besitzthum aber war er auf einen andern Schatz, dessengleichen im ganzen Engadin nicht mehr zu finden war: eine reizende Tochter, die unbestritten als das schönste Mädchen weit und breit galt. Naninia oder, wie man sie abgekürzt nannte, Aninia war weit entfernt, den Stolz ihres Vaters auf den Reichthum zu theilen. Auch von der düstern Strenge der Mutter hatte das blonde Kind nichts geerbt, ihre wunderschönen dunklen Augen lachten fröhlich in die Welt, und um das rosige Gesicht lag wie ein Glorienschein die köstliche Fülle ihres lockigen, goldblonden Haares, das, aufgelöst, wohl die ganze, nicht große, aber anmuthig gebaute Gestalt hätte umwallen können. Man nannte sie deshalb, auch wohl mit einer Anspielung auf den Wohlstand ihres Vaters, allgemein die „Gold-Aninia“. Daß ein Mädchen mit solchen Eigenschaften, dazu in heirathsfähigem Alter, der Bewerber viele haben mußte, konnte nicht ausbleiben, auch blickten alle ledigen Burschen der fünf vereinigten Dörfer bewundernd, mit begehrlichen Augen zu ihr auf, ohne daß bis jetzt einer den Muth gefunden hätte, seine Neigung dem schönen Mädchen oder gar dem Vater gegenüber laut werden zu lassen; denn der Gian Madulani wollte mit seinem Kinde hoch hinaus und hatte schon bei mancher Gelegenheit, wenn man ihm gegenüber auf den und jenen als den künftigen Schwiegersohn anspielte, mit verächtlichem Auflachen geantwortet: „Bildet Euch nicht ein, daß mir einer von den armen Schluckern gut genug wäre, der Mann müßte noch geboren werden, dem ich hier meine Gold-Aninia zum Weibe gäbe!“

Die Männer schüttelten dann wohl nach seinem Weggehen die Köpfe über den maßlosen Hochmuth, aber es blieb auch still von Bewerbern um Aninias Hand.

Wer sich darum am wenigsten kümmerte, war Gold-Aninia selbst in ihrer jugendlichen Herzensfröhlichkeit; aber auch ihre Mutter Barbla schien durchaus nicht von den Empfindungen beseelt, welche andere Mütter heirathsfähiger Töchter unter solchen Umständen ergreifen. Sie beobachtete im Gegentheil mit einem geheimen Vergnügen, welches aber keinen Widerschein in ihren kalten, verschlossenen Zügen fand, die abschreckende Wirkung von Madulanis Hochmuth. Dieser theilte, ohne es zu ahnen, das alte Tyrannenschicksal, die Gegenpartei im eigenen Hause zu haben. Denn in Frau Barblas Kopf war ebenfalls ein Plan für Aninias Verheirathung fertig, der freilich von dem ihres geldgierigen Mannes himmelweit verschieden war.

In einer der kleinsten, ärmlichsten Hütten von Surley wohnte mit ihrem erwachsenen Sohne eine Witwe, Maria Büssin; beide ernährten sich kümmerlich von ihrer Hände Arbeit und dem Ertrage, welchen ein paar Ziegen abwarfen. Das war die Schwester des reichen Mannes, der ungerührt ihre Noth sah und am liebsten seinem Weibe untersagt hätte, der Schwägerin irgend eine Unterstützung zu leisten. Aber so herrisch und gewaltthätig er sonst seinen Willen durchzusetzen pflegte – hier wich er scheu zurück, wenn in einem heftigen Wortwechsel über diesen Gegenstand Frau Barbla plötzlich die scharfen schwarzen Augen auf ihn richtete und kurz abweisend sagte: „Ich lasse mir von Dir nicht verbieten, das zu thun, was Du selber müßtest, wenn Dein Herz nicht von Stein wäre!“

Dann fluchte der Cavig wohl noch eine Zeit lang über den verdammten Weibereigensinn, aber doch in gemäßigterem Tone, und er wandte die Augen weg, wenn Frau Barbla mit gefülltem Korbe die Brücke überschritt, welche von seinem Hause über den Surleybach zur Dorfstraße hinüber führte. Er würde ihr nachgeeilt sein und sie mit Gewalt zurückgerissen haben, hätte er geahnt, daß ihr Erscheinen der armseligen Hütte der Büssin noch einem anderen Zwecke galt: deren Sohn Clo, ein gutmüthiger, langer Bursche, in Madulanis Augen der letzte der letzten, trug eine verschwiegene Liebe zur Gold-Aninia im Herzen, und die beiden Mütter hatten sich’s in den Kopf gesetzt, dieser Liebe zum Sieg zu verhelfen.

Deshalb war Frau Barbla so zufrieden, daß sich bis jetzt kein anderer gemeldet hatte – sie hoffte, allmählich mit Schlauheit und Ueberredungskunst ihren ungefügen Eheherrn der Heirath geneigt zu machen. Aber plötzlich änderte sich die Lage, es trat ein zweiter Bewerber um die Hand der schönen Aninia auf, und dieser stellte sich sofort als sehr gefährlich für die Pläne der beiden Frauen heraus, denn Vater Madulani lieh seinen Reden ein geneigtes Ohr.

Aus dem nahen Sils-Baseglia war vor Zeiten ein junger Bursche als armer Waisenknabe in die Welt hinausgewandert. Volle zehn Jahre vergingen; da kehrte er in seine bergige Heimath zurück, doch ein ganz anderer, als er einstens ausgezogen war. Er trug ein modisches Habit von feinem Tuch, mit schweren silbernen Knöpfen, eine lange gestickte seidene Schoßweste und darüber einen mit Pelz besetzten Roquelaure, wie auch einen dreieckigen goldbordirten Hut, sogar einen zierlichen Degen an der Seite! Und würde er einem der stolzen Adelsgeschlechter der Planta, Salis oder Juvalta angehört haben, er hätte nicht hoffährtiger einherstolzieren können. Auf keinen Fall vermochte man den ehemaligen armen Peider in ihm zu erkennen. Doch sein auffallend reiches Aeußere war nicht das eines Abenteurers, er besaß Gold, wirkliches Gold, blinkende Louisdor, die man in den Dörfern sich nicht erinnerte, je gesehen zu haben; und es waren deren so viele, daß sie im Engadin ein gewaltiges Kapital ausmachen mußten. Wie er sie erworben, wie seine merkwürdige Umwandlung sich vollzogen? – mit der Lösung dieses Räthsels hielt er nicht hinterm Berge; er erzählte es laut und lustig jedem – allen, die es nur hören wollten.

Den armen Peter oder Peider, wie er auf Romanisch gerufen wurde, hatte es nicht in der Heimath geduldet, die ihm nichts als Entbehrungen, Hunger und Schläge bot. Er war den Malojapaß hinab durch das Bergell nach Chiavenna gezogen; dann hatte er hungernd und bettelnd den Weg durch Italien nach Frankreich und der großen Stadt Paris gesucht, um sich dort bei den schweizer Soldaten, von denen er auf seinen Wegen gehört hatte, anwerben zu lassen. Endlich nach vielen Mühseligkeiten am Ziel seiner Sehnsucht, in Paris, angelangt, führte ihn ein glücklicher Zufall wenn auch nicht in die Dienste des Königs, doch in die von dessen Bruder, dem Grafen von Provence, und dabei nicht in eine Kaserne, sondern in einen weit angenehmeren Aufenthalt, die prinzliche Küche. Hier wurde er dem Departement der Leckereien, der Konfitüren und feinen Bäckereien, der Torten und Kuchen, Bonbons und Chokoladen zugetheilt, anfangs nur als Küchenjunge für allerlei Handleistungen und die groben Arbeiten, doch seine Anstelligkeit, sein Trieb, sich nützlich zu machen und zu lernen, brachten ihn rasch in bessere Stellung. Nach wenigen Jahren war er ein geschickter Confiseur des Laboratoriums der Küche Sr. königlichen Hoheit geworden, endlich sogar Chef des süßen Departements, und er verdiente Geld über Geld. Aber dies schöne Pariser Leben dauerte leider nicht allzulange; das Jahr 1789 kam heran, mit ihm der Sturm auf die Bastille und – die Revolution. Der älteste Bruder des Königs, der Graf von Provence, war einer der ersten, welcher die Bedeutung der revolutionären Bewegung erkannte, in ihren schweren Folgen voraussah und sofort seine Maßregeln dagegen traf. Er löste seinen großen kostspieligen Hausstand auf und mit den Getreuen seines kleinen Nebenhofes verließ er Paris und Frankreich. Unser Engadiner Konditor, dem man in Paris den Namen „Pierre“ gegeben hatte, folgte rasch dem Beispiel seines Herrn; er raffte sein schönes Gold zusammen, noch bevor er es hätte in Assignaten umsetzen können, fügte seine Pretiosen, Geschenke hoher Gönner, hinzu und packte diesen Schatz in die besten Kleider seiner Garderobe. Dann verließ er die schöne französische Hauptstadt und eilte auf gradem Wege seiner schweizer Heimath zu.

Gegen Ende des Winters, im März 1790, zog Pierre in Sils-Baseglia ein. Hatte schon der anscheinend vornehme Reisende, der weder Mühen und Gefahren noch Geld scheute, um in dieser Jahreszeit nach dem ärmlichen Dörfchen zu gelangen, überall großes Aufsehen erregt, so erreichte das Staunen dort den höchsten Grad, als man in dem Fremden den ehemaligen ärmsten Burschen der Gemeinde wiedererkannte. Die guten Leute wollten und mußten wieder an Wunder glauben, bis Pierre ihnen das Unerhörte und Unbegreifliche auf natürliche Weise erklärte. Er fühlte sich durch das Aufsehen, welches sein Erscheinen erregte, reichlich entschädigt für die nicht geringen Reisestrapazen und das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 502. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_502.jpg&oldid=- (Version vom 26.4.2020)