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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Sache freilich anders. Denn den wirklichen Schatz, oder gar den – Bräutigam des Mädchens könnte und würde auch keine Strafe treffen. Der Degenstoß wäre dann einfach eine Nothwehr oder doch nur die in einer berechtigten leidenschaftlichen Aufregung, in einem unbedachten Augenblick verübte Vergeltung einer erduldeten – tödlichen Schmach gewesen.“

„Aber so ist’s – gerade so ist’s, Ammann!“ rief der Franzosen-Peider, wie von einer entsetzlichen Last befreit, mit einem fast jauchzenden Freudenton, denn er hatte den Wink nur zu gut verstanden. „Ich liebe die Aninia – meine Kameraden können bezeugen, wie oft ich dies gesagt und wiederholt habe, und alles, was ich besitze, gäbe ich mit Freuden darum, dürfte ich sie als – mein Weib freien!“

„Wirklich?“ sagte der Ammann langgedehnt und vermochte nur schwer die Freude über das Gelingen seiner List zu verbergen. „Wenn das wirklich die Wahrheit ist,“ fuhr er jetzt rascher und die Worte schärfer betonend fort, „warum habt Ihr denn nicht schon längst offen und ehrlich mit der Aninia oder doch mit dem Vater, der im Grunde allein zu entscheiden hat, gesprochen?“

„Ich hatte nicht – den Muth dazu,“ entgegnete der andere wieder kleinlaut.

„Und Ihr rühmtet Euch doch laut genug, in Paris die rechte Courage den Weibern gegenüber gelernt zu haben!“ sagte nun der Ammann spöttisch, um dann sofort wieder in den früheren wohlwollenden Ton überzugehen. „Und wer sagt Euch, daß sie – oder der Vater Euch abgewiesen haben würde? Seht, Peider, ich will offener und ehrlicher handeln als Ihr und sage Euch gerade heraus: Ihr wäret mir, dem reichen Madulani, als Eidam schon recht.“

Nun war es mit aller Angst des Peiders vorbei, er war wieder der alte übermüthige Pariser geworden, wenn er auch keineswegs das Wunder begriff, das ihn da vom sicheren Galgen in die Arme des schönsten und reichsten Mädchens im ganzen Engadin führen sollte. Er wollte vor unsinniger Freude aufjauchzen, doch ein drohender Blick des Ammanns hinderte ihn, einen solchen Freudenlaut, wenn auch im Freien, fern von dem Dorfe, auszustoßen, einen Ton, der nimmer zu der Untersuchung hätte passen können, die ein Richter mit einem Missethäter zu führen hatte. Dafür ergriff der Peider die Hand des Ammanns, und sie mit leidenschaftlicher Gewalt drückend, sagte er keck: „Nun denn Vater Gian Madulani, so halte ich hiermit in aller Form um die Hand Eurer Tochter Aninia an! All meine Goldstücke – und ich besitze ihrer noch eine ganze Anzahl in meinen Kleidern eingenäht, – all meine Pretiosen – und die sind wohl noch viel mehr werth, bringe ich ihr als Heirathsgut dar, sofort nach der Hochzeit. Seid Ihr dessen zufrieden, Vater Gian?“

Des Ammanns Augen funkelten in heftiger Gier nach dem Golde, das ihm hier in so sicherer Aussicht stand. Dann schlug er derb in die dargebotene Hand des Franzosen-Peiders ein. „Abgemacht, Peider,“ sagte er. „Du wirst mein Schwiegersohn, und acht Tage nach dem Gericht ist die Aninia Dein Weib!“

„Abgemacht!“ rief der andere, den Druck der Hand leidenschaftlich erwidernd. „Nun wird wohl auch die hochnothpeinliche Verhandlung am nächsten Sonntag überflüssig geworden sein, denn Ihr werdet doch nicht über Euren zukünftigen Schwiegersohn zu Gericht sitzen wollen?“

„Erst recht!“ entgegnete der Ammann wichtig. „Ich muß auf alle Fälle meines Amtes warten – was sollten die Dörfler sonst denken? Sodann mußt Du Dich doch vor den geschworenen Leuten und den sämmtlichen Gemeinden reinigen, und dies kann nur auf eine Weise möglich gemacht werden. Also merk’ auf und präge Dir wohl ein, was ich sage, willst Du Deinen Hals retten und meine Aninia Dir gewinnen!“

In größter Spannung horchte der Franzosen-Peider auf, die Ueberlegenheit des Ammanns erkennend, und nachdem dieser einen Augenblick nachgedacht, sich dabei nach allen Seiten umgeschaut hatte, ob nicht ein unberufener Lauscher ihn hören könnte, fuhr er leise, im Flüsterton und dennoch jedes seiner Worte schwer betonend, also fort: „Du gehst jetzt heim, trittst fest und bestimmt, doch nicht übermüthig und lustig auf, verräthst keine Furcht mehr, denn Du bist Deiner Unschuld – oder doch Deiner Sache gewiß. Daß kein Wort unsere Abmachung verräth, ist selbstverständlich; solltest Du dennoch so dumm sein, etwas davon auszuplaudern, so leugne ich alles ab und der Galgen ist Dir gewiß. Dies bedenke! Erst am Sonntag vor den Geschworenen und allen Leuten – sämmtliche Dörfler werden ganz sicher dabei sein wollen! – sagst Du einfach, daß Du die Aninia geküßt habest, was zu wehren der Beppo nicht berechtigt gewesen sei, denn das Mädchen sei Deine Braut! Am selben Morgen – merke dies wohl! – am selben Morgen habest Du um ihre Hand angehalten und ich habe Dir mein Jawort gegeben. Verstanden?“

„Vollkommen, Vater Gian! Ihr seid ein Richter, weise wie Salomon,“ entgegnete der Franzosen-Peider, den Ammann mit einem bewundernden Staunen betrachtend.

„Dann geht heim und thut, wie ich gesagt habe, – wir haben schon zu lange mitsammen geplaudert. Am Sonntag wird sich’s zeigen, ob Ihr acht Tage später gehängt oder mein Schwiegersohn werdet. Gott mit Euch!“

Hochaufgerichtet drehte Madulani sich mit der ganzen Würde und Strenge eines unerbittlichen Richters um, und ohne dem wieder eingeschüchterten Peider, der doch sein Schwiegersohn werden sollte, die Hand zum Abschied zu reichen, schritt er gemessen dem Dorfe und seinem Gehöfte entgegen, so ruhig und selbstbewußt, als hätte er seines wichtigen Amtes wie ein gerechter und unbestechlicher Richter gewaltet.

Der Franzosen-Peider aber trollte seelenvergnügt heim, nur im Schatten des Bergrückens des gewaltigen Gravasalvas, der den Silser See an der Wegseite einschloß, that er einen verstohlenen Freudensprung. Denn gewiß hatte er sich die Weisung seines vortrefflichen und sehr klugen zukünftigen Schwiegervaters wohl gemerkt und natürlich auch beschlossen, danach zu handeln. Der Fall lag ja einfach: entweder der Galgen oder die schöne Gold-Aninia. Die Wahl konnte ihm nicht schwer werden.

* * *

Es war am sechsten Tage nach dem blutigen Vorfall auf der Festwiese, in der Nacht vom Sonnabend auf den Sonntag, der so verhängnißvoll für die arme Gold-Aninia zu werden drohte. Aninia weilte wie bisher wachend an dem Lager Beppos, die Mutter hatte sich schon längst zur Ruhe begeben und alles war still im Hause; Aninia hielt den Kopf gesenkt und sah mit unverwandten Blicken nach dem ruhig und tief Schlafenden hin. Mit dem heutigen Tage war eine unverkennbar günstige Wendung eingetreten. Das Fieber hatte gänzlich nachgelassen und die Züge trugen einen friedlichen Ausdruck, gleichmäßig senkte und hob sich die Brust mit ihrem Verbande unter der leichten Decke. Die Heilung der Wunde war im besten Gange, und voraussichtlich konnte Beppo wohl schon in wenigen Tagen sein Lager verlassen.

Aninia war über diese guten Aussichten zuerst hocherfreut gewesen, aber auf einmal spürte sie etwas wie einen Stich, der ihr tief ins Herz hinein drang. Wenn Beppo genas, dann mußte er ja gehen, dann war es aus mit dem stillen Beisammensein im arvengetäfelten Stüblein – das Mädchen fühlte bei diesem Gedanken schwere Thränen aufteigen und langsam über die Wangen rollen. Sie beugte den blonden Kopf tief zu Beppos dunklem Lockengewirr hinunter, blickte ihm lange, lange ins Gesicht und flüsterte endlich leise: „Gute Nacht, Du herzlieber, guter Beppo! Die arme Aninia wird wohl zum letzten Mal bei Dir gewacht haben, dann gehst Du fort und weißt es nicht, wie lieb ich Dich im Herzen hab – ach, so lieb!“ Vorsichtig überzeugte sie sich noch einmal, daß er fest schlafe, und dann – sie konnte nicht widerstehen – senkte sie ihr Köpfchen tiefer und küßte, zum letzten Mal, wie sie dachte, seine Stirn, dann aber, von einer unüberwindlichen Sehnsucht getrieben, auch seine Lippen.

Dabei fiel ein warmer Thränentropfen aus ihrem Auge und auf das Antlitz des Kranken nieder. War er dadurch erwacht, oder schon längst wach gewesen? – Aninia fühlte plötzlich ihre beiden Hände gefaßt, sah, sich erschrocken aufrichtend, in zwei gluthvolle Augen und hörte eine halberstickte, von Leidenschaft zitternde Stimme, die leise sagte: „Madonna! – süße liebe Aninia!“

Sie wollte sich ihm entwinden, er flehte aber, sie festhaltend: „Geh’ nicht fort! Wenn Du fortgehst, muß ich sterben. Denn was soll der arme Beppo noch auf Erden, wenn er Dich nicht mehr sehen und Deine Stimme nicht mehr hören kann!“

„Sei ruhig, Beppo,“ flüsterte das Mädchen, selbst am ganzen Körper zitternd, „Du hast geträumt, schweige jetzt ganz still, das viele Reden kann Deiner Wunde schaden.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 519. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_519.jpg&oldid=- (Version vom 14.6.2022)