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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

geschickt im Röhricht herumzuklettern, ein Vermögen, das den Jungen schon frühe innewohnt. Der Körper ist der absonderlichsten Stellungen fähig. Gewöhnlich hockt die Rohrdommel da, den Hals tief zur Brust eingezogen und den Kopf mit dem spitzen, reiherartigen Schnabel zum Rücken gedreht, eine bucklige, kuriose Figur mit losem Gefieder darstellend. Nicht selten, besonders bei nahender Gefahr und nachhaltiger Verfolgung, wird ihre Haltung noch ausfallender. Sie drückt sich auf die Fußwurzeln nieder und streckt Leib und Hals mit aufgerichtetem Kopfe und Schnabel fast senkrecht in einer Linie in die Höhe, so daß sie mehr einem Pfahle, einem Stummel Holz gleicht als einem lebenden Wesen. Ganz ihrer schleichenden, bedächtigen Natur gemäß ist auch ihr Gang. In merklichen Pausen setzt sie einen Fuß vor den andern, eine schleppende, halb träge, halb vorsichtige Fortbewegung ist ihr eigentümlich. Naht ihr unverhofft ein Mensch oder ein Hund, vor dem sie „zu halten“ pflegt d. h. den sie nahe herankommen läßt, so bläht sie ihr eulenartig lockeres Gefieder mit auffallender Hals- und Kopfkrause auf und stellt sich kampfbereit zur Wehr. Hinterlistig fährt sie dem ihr nahekommenden Hunde mit blitzartig hervorschnellendem Schnabel nach den Augen und kann gefährliche Wunden mit ihrer harten, spitzen Stoßwaffe beibringen. Auch gegen den Menschen wehrt sich das unheimliche Geschöpf, wie überhaupt gegen jedes feindliche Wesen, wuchtig um sich fahrend bis zum letzten Athemzuge. Unser Hund empfing bei dem Erlegen der oben erwähnten Rohrdommel noch einige empfindliche Schnabelhiebe von dem verendenden Vogel.

Die Rohrdommel. Zeichnung von F. Specht.

Gleichsam die verkleinerte, aber im Farbenton des Gefieders und in der Gestaltung sehr verschönerte und verfeinerte Ausgabe der großen Rohrdommel ist die kleine oder Zwergrohrdommel oder der Quartanreiher, Ardetta minuta. Diese niedliche, den eigentlichen Reihern etwas näherstehende Rohrdommel ist nicht größer als ein Turteltäubchen. Die dunklen Partien des Oberkörpers zeigen einen metallisch grünen Schimmer, die Flügelmitte und der Unterkörper sind rostgelb, letzterer ist seitlich schwarzgefleckt, die Regenbogenhaut der Augen und die Zügel erscheinen lebhaft gelb. Trotz dieses bunten Kleides weiß sich der ebenso behende wie schlaue Vogel den Blicken zu entziehen. Immer noch ist uns der Anblick zweier solcher Zwerge gegenwärtig, auf welche wir gelegentlich der Bekassinenjagd im Riedgras sumpfiger Wiesen bei Michelstadt an der Mümling im hessischen Odenwalde stießen. Unbeweglich wie spitzige Holzpflöckchen, mit aufgerichteten Hälsen und Köpfen starrten sie ins Blaue, so daß wir unwillkürlich einige Augenblicke stutzten, ehe wir die absonderlichen Thierchen mit raschem Doppelschusse erlegten.

Dank ihrem geschmeidigen Körper durchklettert, durchkriecht und durchschleicht die Zwergrohrdommel das Röhricht noch viel gewandter und heimlicher als ihre große Base. Im dämmerigen Verstecke der Rohrhalme oder der Binsen treibt sie ihr behendes, anmuthiges Wesen. Sie schreitet viel rascher als ihre große Verwandte dahin, beugt den Hals etwas vor, watet hochaufgeschürzt mit wippendem Schwänzchen im seichten Wasser oder klettert, meist mehrere Rohrstengel und Binsen mit einem Zehengriffe umfassend, mit staunenswerther Geschicklichkeit umher. Ihren Standort hält sie für gewöhnlich treu ein; findet sie sich aber von dem Röhricht, wie es wohl vorkommt, durch irgend ein Hinderniß abgeschnitten, so nimmt sie das Strauchwerk oder die Bäume des Ufers zur Zuflucht. Ganz sonderbar sind ihre Stellungen und Verdrehungen, wenn sich der suchende Hühnerhund ihr nähert. Ihr Leib scheint ein Theil des Erlenstumpfes oder des Weidenastes geworden zu sein, auf dem sie Schutz gesucht hat, so dicht weiß sie sich anzuschmiegen, und in solcher Stellung läßt sie den Verfolger nahe herankommen, heftet aber beständig den durchdringenden, heimtückischen Blick auf den Feind, um demselben mit dem Bajonettschnabel unversehens wuchtige Stöße zu versetzen. Bei der Brut offenbaren die Alten eine große Liebe. Die lange in dem flachmuldigen, plumpen Binsenneste verweilenden Jungen erhalten die Fisch-, Lurchen- und Kerfennahrung vorgewürgt. Nähert man sich dem Nistorte, so umkreist die Mutter sehr besorgt den Störenfried, in der Angst um ihre Jungen alle sonstige Scheu und Vorsicht ablegend, bläht das Hals- und Kopfgefieder und ruft „Gäth, gäth!“ Der Vater umschwärmt in weiteren Bogen den Feind und antwortet der Gattin mit denselben Angstrufen. Uebrigens verstehen die rostbraunen Nestlinge, mit frühentwickelter Kletterkunst der Gefahr sich zu entziehen, und so kommt es häufig vor, daß man schließlich nur das leere Nest findet.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 557. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_557.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)