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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

und zittert. Da stürzt eines der vor die Kanonen gespannten Pferde zu Boden. Als es sich wieder emporgerichtet, schiebt sich die Deichsel hoch in die Luft. Schreien und Rufen! Ein einzelner Fußgänger, der sich herangewagt, fällt, rafft sich auf und ein Schutzmann nimmt ihn beim Kragen. Nun ein furchtbar erregter Wortwechsel, das Publikum nimmt Partei, bis ein großer Holzwagen wieder Stockung verursacht und die Aufmerksamkeit abwendet. Zuletzt stehen die Köpfe der Fuhrwerkspferde fast Stirn gegen Stirn einander gegenüber und es giebt überhaupt kein Vorwärtskommen mehr. Ein Postwagen, der Eile hat, noch zur Bahn zu gelangen, hält bereits seit Minuten dicht am Trottoir, und ein Ulan, das Pferd am Zügel, hat Mühe, den ungeduldigen Gaul, mitten unter den Menschen eingezwängt, zu zügeln.

Endlich, endlich, nach schwerer Mühe wird die Straße freier und schrittweise kann’s weiter gehen. An der Ecke der Wilhelmstraße halten, wohlgezählt, neunzehn Droschken mit Koffern auf dem Bock. Reisende, die an den Lehrter Bahnhof wollen und sicher zu spät kommen! Und Trab giebt’s nicht, nur langsam vermögen sie sich durchzuwinden. Als ich, den Weg durch die Schadowstraße nehmend, die Linden erreichte, waren die Seitenwege und der Mittelhauptweg gedrängt voll Menschen, und das Café Bauer glich einer mit Fähnchen geschmückten belagerten Burg. Und das wälzte sich fort, endlos, hin und her, bis an den Abend, wo dann der Zapfenstreich abermals ein Bild von großartigster Wirkung bot.

Vor dem Königlichen Schlosse waren sämmtliche Musikcorps der Berliner, Potsdamer und Spandauer Truppen aufgestellt. Schon an sich ein kleines Heer! Gegen halb neun Uhr tauchten die langen Reihen der Fackelträger auf, – wandernde, flammende Lichter –, die sich allmählich mehr verengten und den ganzen Platz einschlossen. Hier das feurige Wogen in der Luft, dort das riesenhaft aus dem Dunkel emporragende Schloß mit seinen erleuchteten Fenstern und seinem vergoldeten, weit geöffneten Mittelbalkon, einsam und doch umgeben von Tausenden von Harrenden.

Nun erfolgt das Zeichen; die Wasser des Lustgartens springen, das Licht durchfluthet die Fontänen mit grünem und rothem Schein. Die Majestäten erscheinen auf dem Balkon, ein grandioser dumpfer Wirbel erfolgt, und dann setzen sämmtliche Instrumente zum „Gott erhalte Franz den Kaiser“ ein. Zugleich aber erschallt ein tausendfältiges Hurrah, das den Herrschern auf dem Balkon, das der Kaiserin gilt, die auch erscheint und deren Diamantengeschmeide durch die dunkle Nacht blitzt. Auch hinter den Fenstern erscheinen die Köpfe zweier Herrscher, Herrscher auf anderm, auf geistigem Gebiet, zwei Köpfe, bei deren Anblick jedem Deutschen das Herz höher schlägt: Bismarck und Moltke. Sie sind neben andern hohen Persönlichkeiten Gäste im Schloß. Nun erklingt der Radetzkymarsch zu Ehren des Kaisers Franz Joseph, andere österreichische und deutsche Märsche schließen sich an; dann kommt der große Zapfenstreich, und noch einmal nach langem anhaltenden Trommelwirbel – zum Schluß – wiederholt die Riesenkapelle die österreichische Hymne.

Dann aber ist’s vorüber! Die Menschen zerstreuen und ergießen sich in die einmündenden Straßen, in die Restaurants und Bierlokale. Nach 25 Minuten liegt der Lustgarten und dessen Umgebung wieder einsam da, und dem Zuschauer ist’s, als habe er ein Märchen erlebt. – –

Das Galadiner im Weißen Saale:
Der Kaiser von Oesterreich führt die deutsche Kaiserin zur Tafel.

Der zweite Haupttag in den öffentlichen Feierlichkeiten, die dem hohen Gast durch unsern Kaiser geboten wurden, war die große Parade des Gardecorps auf dem Tempelhofer Felde, die um neun Uhr begann und gegen zwölf endete.

Gegen die erstgenannte Stunde ritt Kaiser Wilhelm in großer Generalsuniform, mit kleinem Gefolge und Spitzreitern, durch die Friedrichstraße dem Tempelhofer Felde zu. Schon um diese Zeit waren bis zum Eingang dort alle Straßen mit Menschen besetzt, sämmtliche Häuser trugen reichen Schmuck, Fahnen, Blumen, Teppiche, oder was sonst ihnen festliches Gepräge gewähren konnte; und fast kein Fenster war leer. Dem Monarchen folgte eine halbe Stunde später der Kaiser von Oesterreich im offenen Wagen; er blickte an diesem Morgen sehr ernst, doch den stürmischen Grüßen der Bevölkerung mit freundlichem Dankesblick aus seinen milden Augen begegnend. Die neue Leibgarde der Kaiserin, in der Galauniform mit kirschrothen Aufschlägen, war eben vorausgeritten, um die hohe Frau vor der Kaserne des ersten Gardedragoner-Regiments zu erwarten, von wo später dieselbe in einem weißen Reitkleide mit den Abzeichen des Regimentes Königin-Kürassiere, dazu den breitkrämpigen Hut mit wallenden Federn – hoch zu Roß – in Begleitung des Kaisers Franz Joseph, der ebenfalls in der Gardedragoner-Kaserne zu Pferde gestiegen war, auf das Paradefeld sprengte.

Die Parade auf dem Tempelhofer Felde selbst bot diesmal ein militärisches Schauspiel ohnegleichen. Zunächst ritten die hohen Herrschaften, nachdem sie von dem Kaiser begrüßt worden waren und sich ihnen die glänzende Suite, unter ihnen der künftige Herrscher der österreichisch-ungarischen Lande, Erzherzog Franz Ferdinand d’Este, und der Regent von Braunschweig, angeschlossen hatte, die endlos langen Reihen der Truppen ab.

Nachdem der Präsentirmarsch verklungen war, erschollen die Klänge der österreichischen Kaiserhymne über das Feld, und wer für militärische Schauspiele empfänglich war, hatte an dem heutigen Morgen eine wahre Augenweide, als sich nun auch der Vorbeimarsch der Truppen vollzog. Endlos schienen die Massen. Immer neue Bilder; die Augen den Monarchen zugewandt, schritt ein Heer von Männern und Jünglingen vorüber, die jedes Land mit Stolz sein eigen nennen würde, und es schien, als ob die Mannschaft sich heute besonders bewußt wäre, welchen prüfenden Blicken sie unterstellt sei.

Der Kaiser führte die gesammten Truppen seinem hohen Gaste vorüber, nur das Kommando seines Kaiser Franz-Regiments übernahm der Gast selbst, und das erste Dragonerregiment der Prinz Albrecht. Zuerst die Fußtruppen in Kompagniefront, dann in Regimentskolonnen, die Kavallerie in Eskadron-, die Batterie in Batteriefront – beide zuletzt im Trab – zogen vorüber, und es war schwer zu entscheiden, welcher Truppengattung man den Vorzug geben sollte.

Auf dem Belleallianceplatz, in der Bellealliance- und Friedrichstraße stand das Publikum stundenlang. Namentlich als die Kaiserin bei der Rückkehr erschien, jubelte das Publikum hoch auf. Ihr bezaubernd freundliches Kopfneigen – der Kaiser mit seinem gleichsam aus Erz geschnittenen Gesicht salutirt stets mehr, als daß er die Grüße erwidert – reißt jedesmal die Berliner hin, die für eine zuvorkommende Erwiderung ihrer Huldigungem eine sehr lebhafte Empfindung haben.

Vereint in einem Wagen fuhren die Monarchen zurück, und auch an diesem Tage schien die Sonne und tauchte alles, Straßen, Menschen, Häuser und was sonst in Berlin sich geschmückt hatte, in Gold und lichte fröhliche Farben.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 606. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_606.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)