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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Schriften jener Zeit, hervor, daß das Wort „unverblümt“ fast stets gleichbedeutend ist mit „ungeschmückter“ Rede und bedeutet, daß der Verfasser oder Uebersetzer es nicht verstehe, seine Arbeit durch die flores des klassischen Lateins, durch verschönende „Redeblumen“ und Figuren zierlicher zu gestalten.

Uebrigens ist natürlich dieser Mangel an „verblümten“ Redensarten den sonst so gelehrten Humanisten nicht allzuhoch anzurechnen in einer Zeit, in welcher die ganze Uebersetzungskunst noch in der Wiege lag; schrieb doch auch Melanchthon erwiesenermaßen noch besser lateinisch als deutsch! Ein mit Redeblumen durchflochtener Stil ist also ein „verblümter“. Da nun aber die Redeblumen, die Figuren der Rede, welche statt der Sache ein Bild bringen, in ihren ersten wenig geschmackvollen Erscheinungen gewiß gar manchmal nicht verstanden wurden, so erhielt der Ausdruck „verblümt“ bald den Sinn des absichtlich Undeutlichen, Verschleierten, den das Wort, abweichend von seinem ursprünglichen, heutzutage gänzlich verschwundenen, noch bis auf unsere Zeit sich gewahrt hat; noch heute nennen wir eine Ausdrucksweise, welche nur bildlich-andeutungsweise den behandelten Gegenstand streift, ihn selbst aber in einem beabsichtigten Dunkel läßt, eine „verblümte“, eine Redeweise „durch die Blume“. –

Wie alt ist die deutsche „Zeitung?“ Müßige Frage, – als ob man das nicht ganz genau in jedem Konversationslexikon finden könnte! Als ob uns nicht jedes einzelne derselben weitläufig zu berichten wüßte, wie besonders durch italienische Vorbilder (Notizie scritte, geschriebene Nachrichten) angeregt auch in Deutschland seit dem 15. Jahrhundert die Journalistik ins Dasein gerufen wurde und wie dann die Frankfurter Meßberichte allmählich zur Gründung der ersten deutschen Zeitung im modernen Sinne, zur Gründung der seit 1616 bestehenden „Frankfurter Oberpostamtszeitung“ geführt haben, die bis zum Jahre 1866 existirt und dann erst dem heutigen „Frankfurter Journal“ Platz gemacht hat. Da haben wir es: Frankfurt also, in buchhändlerischen Beziehungen damals das heutige Leipzig und eine der hervorragendsten Pflegestätten deutscher Industrie überhaupt, hat im Jahre 1616 die erste deutsche Zeitung in neuerem Sinne geschaffen.

Dem gegenüber klingt es aber doch mindestens erstaunlich, wenn bereits in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts die „Zeitung“ wiederholt in der deutschen Litteratur erscheint! Sollte demnach das Konversationslexikon unrecht haben in seinen Angaben? Nein, nur muß man unsere Zeitung und das Wort „Zeitung“ zunächst wohl auseinanderhalten. Das Wort „zîtunge“ hatte ursprünglich durchaus nicht den Sinn des heutigen, es bezeichnete einfach eine mündlich überbrachte Nachricht, eine Mittheilung über irgend ein Ereigniß der Zeit. Und als nun nach Ausbreitung der Kunst Gutenbergs diese Nachrichten gedruckt von einem Orte zum andern, von einer Hand zur andern befördert wurden, da verblieb ihnen derselbe Name, da ward die gedruckte Neuigkeit ebenfalls zur „Zeitung“, mit der indeß noch keineswegs der Nebensinn einer gewissen Regelmäßigkeit ihres Erscheinens verbunden war, und dieser neugeschaffene Begriff wurde von da an für den alten Mutterbegriff immer gefährlicher und vernichtender.

Und doch, so zähe hing die alte Bedeutung im Sinne des Volkes, daß es einer Zeit von Jahrhunderten bedurfte, um ihr ein Ende zu bereiten, das selbst heute kaum ein ganz vollständiges zu nennen ist. Es kann nicht auffallen, wenn im 16. und 17. Jahrhundert das Wort in seinem ursprünglichen Sinne noch durchaus gäng und gäbe ist, weil in diesen Jahrhunderten der Neubegriff noch keinerlei weite Kreise gezogen hatte, wohl aber müssen wir die Lebensfähigkeit des alten Wortbegriffes bewundern, wenn wir ihm selbst noch hart am Ende des 18. Jahrhunderts und zwar gar nicht selten begegnen. Für Bodmer (1698 bis 1783) ist er geradezu ein Lieblingsbegriff, mit dem er fast durchgehends das mittelhochdeutsche „maere“ (die Mär, verkleinert das Märchen) übersetzt; in seiner Ausgabe der Nibelungen (1757) vernimmt

„Helfreich bald die traurige Zeitung, er hatte zuvor nie
Eine Zeitung so ungern gesagt, er brachte sie weinend.“

Und noch heute tönt uns das alte Wort von den weltbedeutenden Brettern entgegen, wenn wir der Gartenscene des „Don Carlos“ im schönen Aranjuez lauschen, in welcher Elisabeth den geliebten Prinzen mahnt, sie zu verlassen:

„Eh meine Kerkermeister Sie und mich
Beisammen finden und die große Zeitung
Vor Ihres Vaters Ohren bringen!“

Indeß der absterbende Wortbegriff klingt heute unseren Ohren fremd, das Jahrhundert der Tochter hat die Mutter getödtet, genau so wie es auch den erwähnten „Notizie scritte“ des Italieners ein Ende bereitet und dafür den Namen der kleinen Münze „Gazetta“, gegen deren Erlegung das betreffende Regierungsblatt erworben werden konnte, auf die Zeitung selbst übertragen hat.

Uebrigens haben wir einen der Entwickelung des Wortes „Zeitung“ ganz ähnlichen Vorgang im Namen unseres Zeitmessers, der Uhr, zu verzeichnen. Dem lateinischen hora (Stunde) entstammend, ist das Wort nicht alt in unserer hochdeutschen Sprache, in die es erst in neuhochdeutscher Zeit und zwar gleich mit seinem heutigen Begriffe aus dem Niederdeutschen herübergenommen worden ist. In dem letzteren geht es indeß bis in das 13. Jahrhundert zurück, in welchem freilich die „ôrglocke“ noch einfach die Stundenglocke des Klosters ist, – es stellt sich mithin in seiner ursprünglichen Bedeutung uns nur als Stunde dar, nicht schon als Stundenzeiger, als Uhr im heutigen Sinne, den es erst erhalten hat, seitdem im 16. Jahrhundert die Verbreitung auch der kleinen Chronometer („Nürnberger Eier“) immer mehr zunahm.

Noch heute aber denken wir weniger an das mechanische Kunstwerk selbst als an die einzelnen Stunden, die es uns anzeigt wenn wir in Uebereinstimmung mit des Franzosen „quell’ heure est-il?“ und des Italieners „che ora è?“ fragen: „Wie viel Uhr ist es?“

Und auch die seltsame Thatsache konnte in jenen früheren Zeiten noch nicht beobachtet werden, daß die am schnellsten gehenden Uhren die Wirthsuhren sind, schon deshalb nicht, weil ja diese Redensart von nicht weniger als allen Uhren gegolten hätte; denn erst die allerneueste Zeit stempelt den Wirth zum Inhaber eines Gasthauses, bis in unser Jahrhundert hinein hatte das Wort die allgemeine Bedeutung des Hausherrn, den wir bezeichnend genug heute mit Verengung des ursprünglich allgemeinen Wortbegriffes den „Haus“wirth nennen.

„An dem hûsgeraete gar
Nimt man ie des wirtes war“[1]

meint Rudolf v. Ems in seiner Legendendichtung „Barlaam und Josaphat“ in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, und noch für Goethe und seine Zeit hat das Wort ohne jegliche Begriffsverengung den alten Sinn, wenn er seine Dorothea, die sich auf dem bekannten Wege nach dem Elternhause des Jünglings den Fuß vertreten hat, zu Hermann sagen läßt:

„Laß uns ein wenig verweilen, damit Dich die Eltern nicht tadeln
Wegen der hinkenden Magd und ein schlechter Wirth Du erscheinest.“

Uebrigens weiß man, wie „unwirthlich“ sie zunächst in diesem Hause aufgenommen wurde.

Gänzlich dahingeschwunden ist das Wort in seiner schönsten Bedeutung, einer großartigen und schön gedachten Erweiterung des Haus- und Schutzherrnbegriffes, wie er uns an der Stelle unseres Nibelungenliedes entgegentritt, da Gunther sich entschließt, den ihm soeben von Hagen geschilderten Helden von Niederland Siegfried mit Ehren zu empfangen.

„Dô sprach der wirt des landes: ‚nû sî uns willekomen:
er ist edel unde küene, daz hân ich wol vernomen.‘“

Kein Geringerer als König Gunther von Burgundenland selbst ist hier der „Wirth“, der Herr und Schützer des Landes. Um wie viel traulicher, herrlicher klingt „des Landes Wirth“ als das kalte stolze Wort „Landesherr“!

Gewiß, wir haben in der Entwicklung unserer Sprache und ihrer Begriffe viele treffliche Neuschöpfungen, die uns Anlaß zu gerechter Freude geben können, aber auch klagen dürfen wir über den unwiederbringlichen Verlust so manches herzlichen Wortes „aus alter Zeit“. Dr. Söhns.





  1. Wie das Geschirr, so der Herr!
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 636. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_636.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)