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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

holländischen Küste Schiffbruch erlitt. Münzen und Gold- und Silberbarren im Werthe von anderthalb Millionen Pfund Sterling oder 30 Millionen Mark sollen sich an Bord des Schiffes befunden haben. Und so ist es wohl begreiflich, daß bei der holländischen Küstenbevölkerung wunderbare Gerüchte umgehen von den in ihrer Nähe versunkenen Schätzen, welche die Sage im Laufe der Zeit noch um das Zehnfache vergrößert hat. Erstaunlich aber klingt es gleichwohl, daß – allerdings mit mehrfachen Unterbrechungen – bis auf diesen Tag, also nahezu hundert Jahre lang, fortgesetzt Rettungsversuche angestellt werden. Viele Schätze, die tief im Sande vergraben lagen, sind ans Tageslicht befördert worden, aber es scheint, daß die Unkosten der Hebung doch noch größere Summen verschlingen. Immerhin aber stehen der Untergang der „Lutine“ und die ins Unendliche sich erstreckenden Bergungsversuche einzig in ihrer Art da, und wohl mag sich die Theilnahme für das Schiff bei den Männern von „Lloyds“ von Geschlecht zu Geschlecht vererben, um so mehr, als sie die rechtmäßigen Eigenthümer der versunkenen Schätze sind.

Was aber den tiefsten, den erschütterndsten Eindruck auf den Besucher der maritimen Börse machen dürfte, ist ein unscheinbar aussehender Foliant, „das schwarze Buch“ genannt, in welchem sämmtliche Unglücksfälle zur See von allen Ecken und Enden der Welt, sobald die Nachricht davon einläuft, verzeichnet werden. Und kaum ein Tag geht vorüber, daß nicht ein Unglück oder doch ein Unfall der einen oder andern Art geschäftsmäßig mit kurzen Worten hier eingetragen wird. Was für Bilder des Schreckens, des Heroismus, der Selbstentäußerung, freilich auch wohl feiger Selbstsucht und unentschuldbarer Fahrlässigkeit steigen da auf dem Hintergründe jener kurzen Aufzeichnungen vor uns empor! Kein Wunder, wenn auch die Börsenmänner auf dieses Buch mit Bangen blicken! Sie können die Schrecken nicht bannen, den Qualen nicht vorbeugen. Doch den Schaden an Geld wenigstens zu ersetzen, mancher Noth, welche die Schiffahrt mit sich bringt, abzuhelfen, das gelingt ihnen immerhin, und das ist die vornehmlichste Aufgabe dieser segensreichen Anstalt. Wilh. F. Brand.




Das neue Passionsspielhaus von Oberammergau.

Von Arthur Achleitner.

Eine Spanne von knappen zehn Monaten noch, und es beginnen wieder nach zehnjähriger Ruhepause die Passionsspiele zu Oberammergau, zu welchen die Gäste aus der alten und neuen Welt pilgern. Am Nordende des idyllisch gelegenen Dorfes wird sich in nächster Zeit auf der Stelle des alten Spielhauses ein neuer Bau erheben; unsere Zeichnung giebt ein Bild des Bühnenhauses vom Zuschauerraum aus gesehen.

Ziemlich an den Fuß des Bergrückens, zubenannt „Die Reichen“, wird das Bühnenhaus mit einer Mittelbühne zur Darstellung der lebenden Bilder und einer Vorbühne für die großen Umzüge der Haupthandlung zu stehen kommen. Diese Mittelbühne, welche gegen den Zuschauerraum durch die Fassade eines einfachen griechischen Tempels umrahmt ist, wird zum erstenmal seit Bestehen der Passionspiele eine vollständige, bühnentechnische Einrichtung erhalten, die allen praktischen Neuerungen Rechnung tragen, aber zugleich das Wesen der alten Ueberlieferung vollständig wahren wird. Der Holzbau auf Cementunterbau erhält das nöthige Licht durch das Proscenium und durch das erstmals mit Glas gedeckte Dach. An die beiden Seiten des Tempels schließen sich zwei Stadtthore, durch deren Bogen man in zwei Straßen Jerusalems blickt. Dann folgen die stolzen Paläste des Pilatus und des Hohenpriesters Annas, an die sich wieder zwei Säulenhallen zur Aufnahme der Sänger und des Volkes aufreihen. Stilgerecht in künstlerischer Ausführung ragen diese Gebäude zum freien Himmel auf, eine prächtig gebaute Stadt des Alterthums darstellend, über welcher sich die stolzen Berge zum Aether erheben. Ein farbenprächtiges Bild wird vor dem Zuschauer sich entrollen, belebt durch eine bis zu 500 Köpfen zählende, in die reiche Tracht, wie sie zu Beginn der christlichen Zeitrechnunug üblich war, gekleidete Volksmenge. Litt die Ausstattung der Bühne während der früheren Passionsspiele an mangelhafter Beleuchtung, ja stellenweise an bedauerlicher Verfinsterung, so ist jetzt Vorsorge getroffen, daß die Panoramadekoration sowohl durch das regulirbare Tageslicht als auch durch künstliche Beleuchtung der theilweise durchscheinenden Dekorationsstücke erhellt werden kann. Auch ist für die raschere Verwandlung der Bilder, für Flugwerke zur Himmelfahrt Christi und anderes Vorsorge getroffen.

Die Zuschauerhalle völlig neu zu erbauen, gestattet die Finanzlage der Oberammergauer Gemeinde nicht, und so ist einstweilen nur eine Vergrößerung geplant, durch welche an 5000 Zuschauern der Zutritt gesichert ist. Die Fürstenloge und eine besondere Loge für andere hervorragende Persönlichkeiten, mit Vorzimmern und allen Bequemlichkeiten versehen, werden vollständig gedeckt, ebenso etwa 1500 Sitzplätze, während die übrigen, der Bühne zunächst gelegenen Plätze den freien Himmel über sich haben, so daß der Anblick der großartigen Gebirgslandschaft erhalten bleibt. Zehn große Ausgänge führen unmittelbar ins Freie. Um möglichen Unfällen zu begegnen, wird in der Nähe des Passionsspielhauses für die Dauer der Aufführungen ein Krankenhaus mit Feuerwehrstation errichtet werden.

Die gesammte, von allen Gebäuden der Bühne und des Zuschauerraumes und den freien, innerhalb des Theaters liegenden Räumen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 665. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_665.jpg&oldid=- (Version vom 30.3.2020)