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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

ohne eine dauernde Decke bilden zu können; auch Nebel sind seltene Erscheinungen.

Ich will aber meinem Bilde einen Schatten geben und setze ein Stück aus dem Mittelmeer-Tagebuch von Gutzkow hierher, der es im Winter des Jahres 1873 recht schlecht traf. Er schreibt: „Ja, das ist ein trauriger Winter. Ich suchte Italien, um einen ständigen Katarrh, ein Rheuma in allen Gliedern loszuwerden, und wie hat uns Venedig, Genua begrüßt? In Venedig, wo alle Kirchenkuppeln mit Schnee bedeckt waren, auf dem Markusplatz jeder kleine Tümpel Wassers zu Eis gefroren war, da erkältete ich mich vollends. In dem reizenden Städtchen Pegli (dicht bei Genua) hielten wir sechs bis sieben Wochen aus. Dann mußten wir den Versuch machen und eine eigene „Villa“ miethen, ein Familienhaus in gebirgszerklüfteter Höhe. Wie hier der Sturm haust! Nachts rüttelt er an den geschlossenen Fensterläden. Er beugt die Pinien, daß sie seufzen und knacken! Das Meer wirft Westen bis auf die Eisenbahn, die sich unten an der Landstraße hinzieht nach Nizza, wo dieselben Täuschungen über den italienischen Winter etwaige Zureisende erwarten …“

Die Männer der Wissenschaft haben langjährige Beobachtungen über das Klima dieses reich gesegneten Küstenstrichs zum Wohl der leidenden Menschheit angestellt. Aus allen geht hervor, daß das Klima der Riviera eine höchst günstige und glückliche Mischung von Wärme, Feuchtigkeit und Luftzug bietet. Von der Klarheit der Luft, wenn sie einmal durch einen großen Regen gewaschen wurde, von ihrem Glanz, ihrer beflügelnden Leichtigkeit hat der Nordländer keinen Begriff. Wer solche Tage an der Riviera verlebte, Lenztage für Leib und Seele, vergißt sie nie wieder. Dann möchte der Mensch „ganz Lunge“ sein, um die Fülle dieser Luftheiterkeit in sich aufzunehmen, dann schwimmt er wie körperlos in einem erquickenden Meere von Sauerstoff.

Die Scheffel-Palmen bei Bordighera.

Und wie genießt das Auge! Die Ferne schwindet, alles ist nahe gerückt, alles nimmt reichere Formen an, was vorher flach erschien, wird plastisch, die Farben entfalten sich in voller Pracht. Felsen, Baumblätter, Gräser glänzen wie poliert, als wären sie eben erst aus der großen Schöpfungswerkstätte hervorgegangen. Ueber der Horizontlinie des tiefblauen Meeres, das sanft in die Ufer hineinathmet, erscheint das Profil einer Insel …

Das sind ligurische Sonnenfesttage!

„In diesen Silberhainen von Oliven
Hab’ ich die Heilung aller meiner Wunden
Und auch die heitre Lösung nun gefunden
Von meines Lebens ernsten Hieroglyphen.“

Ort für Ort kennen zu lernen, befahren wir die mit hohem Recht weltberühmte Uferstraße der Corniche, italienisch Cornice, was ein Architekt etwa mit „Kranzgesimsstraße“ übersetzen würde, denn in die Seiten der Ausläufer der Seealpen, in die Hänge der apenninischen Vorberge wurde sie, oft hoch über dem Meere, hineingesprengt und -geschnitten, zu einer Zeit, wo es noch keine Eisenbahn gab. Sie beginnt in der Nähe Nizzas und läuft bis Genua, alle Orte der Riviera di Ponente berührend. Ihr malerisch schönster Theil ist die Strecke von Nizza bis zu der Burgruine La Turbie, jenen weitschauenden Resten eines vom Kaiser Augustus errichteten ungeheueren Römerthurms; und diesen Theil muß jeder gesehen haben, der an die Riviera kam. Aber auch in ihrem weiteren Verlaufe, über Monaco, Mentone, Bordighera, San Remo, Savona bis Genua ist der kaleidoskopische Wechsel der landschaftlichen Bilder ein unendlicher.

Nizza liegt hinter uns. Dort steht es an der „Baie des Anges“, der „Engelsbucht“, und winkt zum Abschied. Es prangt in lustiger, sonnenheitrer Frühlingstoilette, Orangenblüthen an dem Hut, einen großen Veilchenstrauß an der Brust, und giebt den aus aller Welt Geladenen ländliche Feste, Soiréen und Diners, Theater und tausend Freuden. Nizza ist zu geräuschvoll; Erholung, idyllische Ruhe und Einsamkeit wohnt nur auf den benachbarten Bergen.

Der Weg nach Mentone führt uns durch einen mittelalterlichen Rest: das Fürstenthum Monaco, das selbstherrliche Fürstenthum Monaco. Wir sind auf der Corniche und der Küstenzauber beginnt; die Fee Morgana treibt ihr Spiel! Wir sind nicht mehr in Europa, wir sind in Afrika, das sagt uns die warme Luft, das sagt uns die üppige, fast tropische Vegetation: die Agaven mit dem Riesenblüthenstamme, die Opuntienkaktus mit den goldglühenden Blüthenflammen, die baumartigen Heidekräuter, Rieseneuphorbien, der mannshohe leuchtende Ginster, die wilde Granatblume – schwellende Formen, glühende Farben allüberall. Und wo die Natur sich nicht gleich willig fügen wollte, da hat die Menschenhand kräftig nachgeholfen, um das einst versunkene Paradies wieder auf die Oberfläche zu heben. Aber auch die alte Schlange ist wieder mit heraufgekommen: hüte Dich, Wanderer, betritt den gefährlichen Boden nicht oder nur mit einem dreifachen Panzer gewappnet: Monte-Carlo[1] ist die Spielhölle! Ob wohl der neue Herrscher von Monaco der Schlange den Kopf zertreten wird? Wird er die Hand dazu reichen, daß ein Schandfleck aus der Welt verschwinde? Wer weiß es!

Mentone taucht auf über den blauen Wellen. Sehen wir uns vorher die ganze Küstenlandschaft ein wenig aus der Vogelschau an. Das Meer bildet von der Punta St. Hospice, bei dem zunächst Nizza gelegenen Villefranche, an bis zu dem


  1. Siehe des Verf. Artikel „Gartenlaube“ Jahrgang 1884 Nr. 13.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 696. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_696.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)