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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Thalgründen; vereinzelte Lichtchen blitzten aus den am Bergesabhang zerstreuten Villen hervor. – Dort suchte noch seine Seele die Geliebte, dort, wo er sie in die Arme geschlossen – wo er sie verloren hatte! In stummes Sinnen vergraben, starrte er in die Nacht. –

An der äußersten Spitze der Marina, wo eine kleine Landzunge gegen die Citadelle hin ins Meer springt, hielt eine Barke am Fuß der Steintreppe eines einsamen Fischerhäuschens.

„Bist Du bereit, Mariano?“ fragte eine Stimme von oben.

„Ich warte,“ antwortete es von unten.

Ein Mädchen trat durch die enge Thür zu dem Schiffer herunter.

„Du weißt, was zu thun ist,“ flüsterte Nina ihm zu; „bringe dies Briefchen in die Citadelle; – Du kannst ja nicht lesen und brauchst auch nicht zu wissen, was drin steht.“

„Hm! was wird drin stehen? Eine Liebesgeschichte! Hältst Du’s mit einem Schweizer, Nina? Ein Glück, daß Du nicht mehr bei Romeo dienst!“

„Was geht das Dich an? Es könnte auch was ganz anderes sein.“

„Gut!“

„Höre! – Du wartest mit der Barke – von dort wird jemand mitkommen – Du fährst ihn hierher – und dann, später, von hier wieder zurück. – Daß Dich aber keiner sehe!“

„Selbstverständlich!“ lachte der Schiffer und stieß ab.

Nachdenklich schaute ihm Nina einen Augenblick nach. „Es ist ja nicht recht von mir,“ sagte sie bei sich selber, „aber konnt’ ich’s ihr abschlagen? Und was ist dabei, wenn er morgen auf immer dies Land verläßt? Und sie liebt ihn ja, als gäb’ es keine andere Liebe auf der Welt – und kein Mensch wird es jemals erfahren!“

Als der Schiffer in die Nähe der Citadelle kam, kreuzte er ein anderes Boot. Ein Mann saß darin – nach seiner Kopfbedeckung zu schließen, war’s ein Geistlicher.

„He, Mariano, wohin so spät?“ rief ihm der andere Schiffer zu.

„Liebesbote, Francesco! Einen Schweizer soll ich aus der Citadelle holen!“ Und er hob das Zettelchen in die Höhe.

Der Abbate war aufgestanden.

„Ist’s ein Offizier, so findest Du ihn nicht in der Citadelle; sie sind alle drüben bei Cellamare. Zeig mir den Zettel – ich kann lesen – sonst fährst Du noch irre!“

Beim Lichte der Schiffslaterne entzifferte der Abbate die Adresse.

„Eckart von Hattwyl! – sieh da! – und den holst Du ab?“

„Die Nina – die bei Romeo diente – läßt ihn rufen; – seht Ihr! Nicht Romeos Tochter war’s – wie man sich in der Stadt erzählt – sondern die Magd. – Weiberpack!“

Der Abbate blieb einen Augenblick unschlüssig.

„Dort nach dem Schifferhäuschen, wo die Nina bei ihren Verwandten wohnt, fährst Du ihn hin?“

„Nun ja! – wenn ich ihn finde und wenn er mitkommt.“

„Den findest Du – fahre nur zu!“

Und als das Boot in der Dunkelheit verschwunden war, sagte Scaglione zu seinem Schiffer:

„Dieser da verrichtet unsere Arbeit. Führe das Boot dicht an die Mauer heran, daß ich sehe, ob der Offizier einsteigt.“ –

Ein Taumel, ein Schwindel, eine Seligkeit überfiel Eckart, als er das Papier entfaltete und die kurzen Worte las, die ihm Felicita schrieb:

„Diejenige, der Du das Leben gerettet hast und die Dich mehr liebt als ihr Leben, will Dir danken. Folge dem Boten, er führt Dich zu

Felicita!“ 

Hatte er diese Worte richtig gelesen? Hielt er diesen Brief wirklich in seiner Hand? Hatte der Himmel sein Flehen erhört? Sollte er sie wiedersehen? – Er schaute über die Mauerbrüstung hinunter zur dunkeln See; – dort am Fuße der Treppe wartete ein Boot. Rasch warf er den Mantel über. Was hielt ihn ab, dem Rufe zu folgen? Zum Feste der Gräfin hatte er Urlaub erhalten, – und wenn er zu einem andern Feste, zum Feste seiner Liebe eilte, wer konnte es ihm wehren?

Frühlingsjubel im Herzen, flog er die Treppe hinab.

„Fahr zu, Schiffer!“

Die Sterne funkelten durch die Nacht, vom Ufer herüber ertönten aus dem Palaste der Gräfin die ersten Tanzweisen.

„Klinge nur, fröhlicher Faschingstanz! Glück auf die Fahrt der Liebe!“ sprach Eckart laut nach den leuchtenden Fenstern hinüber.

„Felicissima notte!“ antwortete es in seltsam scharfem Tone aus der Dunkelheit zurück.

Woher kam wohl der Gruß? Die Stimme schien Eckart nicht unbekannt. Er schaute sich um. Mit raschen Ruderschlägen flog ein Boot dem Ufer zu.

Es war wohl ein verspäteter Kamerad, der dem Davoneilenden seinen Gruß nachsandte.

Die Barke hielt an einer Steintreppe; über die unteren Stufen plätscherten die Wellen; die enge Thür dort oben stand halb geöffnet; ein Lichtschimmer glänzte hervor.

In raschem Schwung war Eckart oben. Eine verhüllte Gestalt trat ihm unter der Thür in den Weg.

„Ein Wort – ehe Du hereintrittst!“

Er erkannte die Stimme; – sie war’s!

„Felicita!“

„Ein Wort,“ wiederholte sie mit zitternder Stimme; – „antworte mir die Wahrheit: Ist es wahr, daß Eckart von Hattwyl der Geliebte der Gräfin von Cellamare ist?“

Was war das? Wie seltsam! Wie kam Felicita zu dieser Frage? in diesem Augenblick?

„Was bedeutet …?“

„Antworte!“ wiederholte das Mädchen in bestimmtem, drängendem Tone; – „ja oder nein?“

Da flog es in zornglühender Empörung aus seiner Brust hervor:

„Nein, beim Himmel! Wer sprach diese Lüge?“

Wie ein überglückliches Frohlocken jubelte es in Felicitas Herzen auf.

„Sprich es nochmals, das selige Wort! Schwöre bei dem Liebsten, das Du hast auf der Welt!“

„Bei Dir, Felicita! bei Deinem Namen schwöre ich hier, vor dem offenen Himmel, hier vor den ewigen Sternen, daß Du meine einzige, ewige Liebe …“

Sie ließ ihn nicht ausreden. Ihre Arme öffneten sich. Ihre Hand suchte die seine; ihre Lippen fanden seine Lippen und bedeckten sie mit glühenden Küssen.


19.

In den festlich geschmückten Räumen des Palazzos von Cellamare wogte ein flimmerndes Gewimmel von Damen und Herren. Trotz der rauschenden Tanzmusik und des Blitzens der Geschmeide lag aber eine düstere Gewitterschwüle auf der Gesellschaft. Die Gäste, die aus allen Vierteln der Stadt herbeigeeilt waren, hatten drohende Volkshaufen unterwegs gesehen. Man erzählte sich von sonderbaren Auftritten; noch sonderbarere Worte wurden wiederholt, die dem einen und dem andern zugerufen worden waren. Es schien, als ob das Volk etwas Besonderes für die Mitternachtsstunde erwartete: der Karneval sollte in althergebrachter Weise, aber diesmal mit besonderem Gepränge beerdigt, der volksthümliche Strohmann vor das Haus des Romeo geführt und von dort unter dem Gesange der Masken zum Meere getragen werden; mehrere Volksführer seien bei Romeo versammelt; man müsse auf das Schlimmste gefaßt sein.

Sogar die Gräfin von Cellamare schien sich der düsteren Gemüthsstimmung, die sich ihrer Gäste bemächtigt hatte, nicht erwehren zu können. In nervöser Erregung bewegte sie sich unter den Gruppen; ihr Auge flog unstet von dem einen zum andern; die an sie gestellten Fragen beantwortete sie flüchtig; die Antwort auf ihre eigenen Fragen wartete sie nicht ab.

Der Gouverneur war noch nicht erschienen; die schweizer Offiziere waren noch nicht angemeldet; sogar den geschäftigen Abbate Scaglione vermißte man noch.

Nur dort, in dem geräumigen Speisesaal, wo der Graf sich mit einigen Zechern niedergelassen hatte, schien die Faschingsfröhlichkeit in vollem Gange zu sein. Der Champagner und der süße Moscato flossen dort in Strömen, Gläsergeklirr ertönte von dort heraus und lautes lärmendes Lachen antwortete den von

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 712. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_712.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)