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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

„Zu Hilfe! Verloren!“ schrie Antonino, die Barrikade erkletternd.

Da erschien vor ihm, eine Pistole in der Rechten, wie eine rächende Kriegsgöttin, das Mädchen.

„Feigling! Wer flieht, der sterbe!“

Und zu Tode getroffen, brach Antonino zu ihren Füßen zusammen.

Die Reiter sprengten näher. Siegesjubel ertönte aus ihren Reihen.

Da stürzte Felicita zu der Kanone, – der letzte Schuß konnte retten! – Sie legte die Lunte auf das Pulver; – ein dröhnender Schlag – und in wirrem Getümmel flohen die Feinde der Citadelle zu; – die Stadt war erobert![1]
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Ein bewaffneter Volkshaufe hielt vor dem Palazzo Cellamare.

„Das ist meine Sache, Romeo!“ rief der alte Marchese seinem Freunde zu; „hier habe ich zu befehlen, – meinem elenden Rechtspraktikanten, dem Schufte, dem Marchesendieb, habe ich vorhin schon mit der flachen Klinge und in blutigen Striemen ein ewiges Gedenkblatt über den Rücken gezeichnet. – Hier habe ich eine andere Vergeltung auszuüben. Bringt die Gräfin und ihren Abbate herunter!“

Stolz, Verachtung im Blicke, trat die Gräfin zu ihm; mehr geschleppt als geführt, in den Knieen schlotternd und jammernd um Gnade flehend, folgte der Abbate.

„Habt Ihr Euren Rausch noch nicht ausgeschlafen?“ warf Teresina dem Marchese höhnend zu.

Der Hohn erstarb aber auf ihren Lippen, – dort, neben ihrem Vater, den Arm auf die pulvergeschwärzte Büchse gelehnt, stand Felicita! – Felicita, – Eckarts Geliebte! – die vormals Glückliche, – durch ihre Hand ihres Liebesglücks Beraubte! – Wie eine furchtbare vergeltende Nemesis stand das Mädchen da! – Es grauste der Gräfin vor diesem starren, wie gedankenlos auf sie stierenden Blicke! Was glühte in diesen Augen? War es Rache? War es Verachtung?

Rache? Verachtung? – Wie hätte Felicita an Rache oder an Verachtung gedacht? Was wußte die Aermste von der Gräfin Unthat? Wie konnte sie ahnen, daß vor ihr die Mörder ihres Geliebten standen? Ihr Herz wiederholte beim Anblick der Gräfin nur jubelnd Eckarts Schwur, – den Schwur, den er dort in der stillen Mondnacht auf der engen Steintreppe ihr zugerufen, – und ein kaltes Lächeln wie ein Wiederschein verlornen Glücks irrte um ihre Lippen. – „Nein!“ sang es in ihrer Seele, „Dich liebte er nicht! Mein aber, und auf ewig mein war sein Herz!“

Romeo hatte krampfhaft eine Pistole aus seinem Gürtel gerissen. Mit furchtbarem Ernste rief er den Gefangenen zu:

„Nun schlägt Eure Stunde! – Erinnerst Du Dich meiner Worte, Abbate? – Erinnert Ihr Euch meiner, Gräfin? – Verrichtet Euer Gebet! In die Kniee! In den Staub, Schlangengezücht!“

Aber rasch fiel ihm der Marchese in den Arm.

„Was beginnst Du, Romeo?“ rief er mit schallendem, höhnendem Lachen. „So leichten Kaufs sollten diese Elenden wegkommen? Bringet Stricke! Und holt mir aus dem gräflichen Stalle die längste Reitpeitsche her, daß ich mit eigener Hand dieses Mordgesindel auf ewige Zeiten brandmarke.“

Als säße schon der Hieb über ihren Schultern, so fuhr die Gräfin zusammen.

„Des Pöbels Rache!“ rief sie ihm zu.

Wie ein Traum aber erschien es ihr jetzt, – wie ein wunderbares, fast überirdisches Gesicht, – als Felicita zu den beiden Männern hintrat. Mit gebietender Gebärde, mit Hoheit und edler Würde legte sie ihre Hand auf den Arm des Marchese, und wie aus dem Munde einer Königin klangen die Worte, die sie langsam, und ohne die Gräfin eines Blickes zu würdigen, sprach:

„Mörder? … Rache? … Was haben diese beiden verbrochen?“

„Kein Wort davon zu ihr!“ flüsterte Romeo schnell dem Marchese ins Ohr; – „erspare ihr diesen letzten Schmerz!“

Der Marchese verstand; er wandte sich rasch zu Felicita:

„In diesem Hause, … von dieser beiden Hand … fiel, meuchelmörderisch getroffen, gestern ein edler Freund Siciliens! Der Mord muß gesühnt werden!“

„Nicht aber mit diesem Blut!“ erwiderte das Mädchen; – „edler und größer als diese da … sollen die Sieger denken! Mit dem Blute dieser Elenden darf unsere heilige, freie Erde nicht besudelt werden! Sie mögen das Land, das ihr Fuß entehrt, verlassen! Siciliens Verachtung sei ihre Strafe, – sei unsere Rache!“

Ihre Hand wies auf ein Boot, das am Strande angekettet lag. Ihr Blick traf Teresinas Auge.

„Fort!“ rief sie der leichenblaß nach Worten ringenden Gräfin zu.

Die verachtenden Worte Felicitas trafen die stolze Frau schwerer noch als es die Geißelhiebe vermocht hätten, die der Marchese ihr zugedacht hatte. So sollte sie, die Gräfin von Cellamare, den Hohn dieses Bürgermädchens ertragen? So sollte sie der Großmuth ihrer Nebenbuhlerin das Leben verdanken? So sollte die Tochter dieses Tischlermeisters edler gedacht und gehandelt haben als sie? – Den Gedanken vermochte sie nicht zu ertragen; – eine blinde Wuth erfaßte sie; ihre Glieder bebten; sie vergaß, wer sie war, wer sie sein wollte, mit wem sie sprach; als wäre niemals gräfliches Blut in ihren Adern geflossen, so sprang sie plötzlich mit vorgestreckten geballten Fäusten auf Felicita zu.

„Dirne!“ schrie sie; – „so rächst Du Deinen …“

Rasch und wuchtig verschloß ihr aber Romeos Hand den Mund.

„Hinunter ins Boot!“ rief er, die Wüthende mit sich reißend. „Ins Boot, Abbate! – Nun rudert los! – Eine Viertelstunde geb’ ich Euch, um Euch aus unserer Schußweite zu entfernen! Rudert, – oder bei der heiligen Madonna, wir schießen auf Euch wie auf einen Flug wilder Enten.“

Schon hatte sich der Abbate auf ein Ruder geworfen. „Rasch, Frau Gräfin!“ rief er der unbeweglich auf Felicita starrenden Frau zu, – „rasch! In der Citadelle ist Rettung!“

Ein höhnendes Gelächter erhob sich vom Strand, als die Gräfin plötzlich in das Boot sprang, ein Ruder ergriff und hurtig in die Wellen schlug. –

Auf den Zinnen der Citadelle, an eine Kanone gelehnt, saß der Major von Büren. Sein Auge folgte den Bewegungen der Menge, die sich auf der Marina umhertrieb. Plötzlich erhob er sich, griff zu seinem Fernglas und schaute unverwandten Blickes auf eine bewaffnete Gruppe, die sich vor dem Palazzo von Cellamare gebildet hatte.

„Verflucht!“ rief er halblaut vor sich hin; „Romeo stiehlt mir meine Rache!“

Dann schaute er wieder hin und wieder. Ein kaum unterdrückter Freudenschrei entrang sich seiner hochathmenden Brust; – ein Boot war vom Strande abgestoßen und ruderte auf die Citadelle los. Er drehte sich zu den an der Brüstung lehnenden Artilleristen um.

„Achtung! Ein Boot naht!“

„Herr Major!“ bemerkte ein alter neapolitanischer Unteroffizier, „eine Frau und ein Abbate sitzen drin, – es mögen wohl Freunde sein, die sich vor dem Aufstande retten.“

„Oder Spione!“ entgegnete ein Schweizer.

„Still!“ herrschte sie der Major an. „Ihr kennt des Gouverneurs Befehl: auf jedes Boot, das sich der Citadelle naht, ist mit Kartätschen zu schießen! – Achtung! – Feuer!“

Der Schuß krachte.

Als der Pulverdampf sich verzog, sah man einige zersplitterte Planken auf den bewegten Wellen schwimmen.

Der Major wischte sich den Schweiß ab, der auf seiner Stirn perlte. Dann wandte er sich langsam zu der Seite hin, wo, von den letzten Strahlen der Abendsonne beleuchtet, die Leichensteine des Militärkirchhofes sich weiß und blendend von dem tiefblauen Meeresspiegel abhoben, und, das Haupt entblößend, als spräche er mit einem unsichtbar seinem Geiste Vorschwebenden, murmelte er vor sich hin:

„Nun schlummere sanft, armer Freund! Und ruhig mag der ewige Schlaf Dich umfangen in der fremden Erde!“
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Eine verschleierte Frauengestalt klopfte bei anbrechender Nacht an das Portal des Klosters della Scala, dort, wo der Torrente sich zum Thale der Badiazza wendet.

Vor der Oberin knieete Felicita nieder.

„Nimm mich auf unter Deine Schwestern. Da, wo das wunderthätige Bild der Badiazza hängt, will ich mein Leben beschließen. Das heilige Bild möge mir Vergessen und Vergebung meiner Sünden bringen!“





  1. Historisch.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 727. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_727.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)