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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

mit geschlossenen Augen da; nur die ineinander gefalteten Hände hatten sich gelöst, und während die Linke unwillkürlich nach der fieberheißen Stirn gegriffen hatte, ruhten die schlanken Finger der Rechten fest auf der Brust.

„Astrid! Liebe Astrid!“ flüsterte Gerhard, sich zu ihr neigend. „Du riefst nach mir – ich bin bei Dir! Hast Du einen Wunsch, den ich Dir erfüllen kann?“

Auch jetzt hob sie die Lider nicht; aber sie mußte ihn gehört und verstanden haben, denn über ihre eben noch schmerzlich gespannten Züge ging es wie ein Schimmer der Freude, fast wie ein Lächeln.

„Ich weiß es – Du bist bei mir!“ hauchte sie. „Und Du wirst mich nicht von Dir stoßen! – Sage mir noch einmal, daß Du es nicht thun wirst!“

„Gewiß nicht, liebe Astrid! Du wirst hier bleiben, so lange Du selbst es wünschest!“

„Ja! Ich werde immer – immer bei Dir bleiben! Du kannst ja nicht ahnen, wie ich mich danach gesehnt habe, bei Dir zu sein!“

Gerhard erschrak. Scheu und betroffen, als wäre ihm selber ein unvorsichtiges Wort entschlüpft, blickte er zu der Aufwärterin hinüber. Die aber schlief womöglich noch fester als vorher, und für den Augenblick wenigstens war kein Belauschtwerden von ihrer Seite zu fürchten. Trotzdem empfand Gerhard eine Beklemmung, die das Pochen seines Herzens lauter und seinen Athem rascher werden ließ. Astrid sprach im Fieberwahn – daran zweifelte er nicht mehr. Aber war es denn möglich, daß ein Kranker in diesem Zustande Dinge sagte, von denen seine Seele in den Tagen der Gesundheit nichts wußte? Er suchte nach einem Wort, das sie beruhigen oder ihre Phantasie mit einem anderen Bilde erfüllen sollte; aber er vermochte dies Wort nicht zu finden, und so fuhr sie nach einem kleinen Schweigen in demselben weichen, traumhaften, wundersam bestrickenden Tone fort:

„O, wie viel habe ich gelitten in dieser langen Zeit der Trennung! – Und weil nichts Falsches zwischen uns sein soll, Gerhard – darum muß ich Dir’s gestehen, auch wenn Du mich darum für recht schlecht und thöricht hältst. Ich war eifersüchtig auf die andere, die Dich immer sehen durfte und die Du Deine Freundin nanntest. Aber ich habe trotzdem geduldig auf Dich geharrt, weil ich wußte, daß Du kommen würdest, mich zu holen, und weil ich wußte, daß Du keine andere liebst als mich allein.“

Nun war es ausgesprochen, das verhängnißvolle Wort, vor welchem Gerhard gezittert hatte, seitdem Astrid begonnen, ihren lieblichen Phantasien einen lauten Ausdruck zu geben, und nach welchem seine Seele doch gedürstet hatte, ohne daß er sich dessen vielleicht bewußt geworden war. Seine Kniee bebten, alles Blut schien ihm wild zum Herzen zu drängen, und doch brannte es auf seinen Wangen wie heiße Scham darüber, daß er hier ohne Widerstreben ein Geständniß entgegengenommen habe, welches unter anderen Umständen sicherlich weder körperliche noch seelische Qualen diesen keuschen Mädchenlippen hätten entreißen können.

Er wollte fliehen, er wollte die schlafende Aufwärterin wecken, aber er gelangte nicht dazu, das eine oder das andere zu thun. Wie unter einem Zauberbann, dem er sich vergebens zu entwinden trachtete, verharrte er in regungslosem Schweigen, und unverwandt ruhte sein Blick auf dem bleichen, lächelnden Munde Astrids, die mit der glücklichen Ahnungslosigkeit einer Träumenden weiter sprach:

„Manchmal freilich – und es waren traurige Stunden, Gerhard! – manchmal habe ich auch daran gezweifelt – denn ich bin ja so arm und unbedeutend, und Du – Du –“

Ihre Worte erstarben in einem unverständlichen Murmeln. Plötzlich aber preßte sie, wie von einer schmerzlichen Empfindung durchzuckt, beide Hände auf das Herz und ihr Gesicht nahm einen gespannten, angstvollen Ausdruck an.

„Wer war es, der mir das zugerufen hat? – O, daß ich sterben könnte, wenn es Wahrheit ist! – Aber es ist nicht Wahrheit – nein, nein, nein! Sage mir nur ein einziges Wort, Gerhard! Sage mir’s ganz leise, daß Du mich liebst!“

Die weit geöffneten, fieberglühenden Augen leuchteten ihm entgegen, so angstvoll und in so heißem, inbrünstigem Flehen, daß man wohl auf der ganzen Erde vergeblich nach dem Menschen gesucht haben würde, der ihnen widerstanden hätte.

Und rasch, ohne Zögern und Bedenken, neigte Gerhard seine Lippen ganz nahe an das Ohr der Kranken.

„Ich liebe Dich, Astrid!“ flüsterte er.

„Und keine andere als mich? – Nur mich allein?“

„Dich nur allein, Astrid!“

„Ich danke Dir, mein Geliebter! Aber ich bin thöricht! Ich – ich – habe es ja – gewußt.“

Müde fiel das heiße Köpfchen zurück. Die seidenen Wimpern lagen wieder auf den schmalen Wangen, und in dem Zimmer war von neuem nichts anderes zu vernehmen als das tiefe Athemholen der schlafenden Wärterin. – –

* * *

In der Frühe des nächsten Tages kam der Arzt in Begleitung einer Diakonissin, welche fortan die Pflege der Kranken übernehmen sollte. Gerhards bleiches und abgespanntes Aussehen, seine dunkel geränderten Augen fielen ihm auf.

„Sind Sie während der ganzen Nacht hier gewesen, mein Herr?“ fragte er.

„Ja! Ich konnte trotz meiner Bemühungen gestern abend eine Wärterin nicht mehr auftreiben, und da ich Frau Runge bereits in tiefem Schlafe auf ihrem Sessel fand, zog ich es vor, dazubleiben.“

„Jetzt aber ist auch Ihnen Ruhe und Schonung dringend nöthig! – Sie können die Sorge für die Patientin nunmehr getrost der Schwester Maria und mir überlassen. Nur einige Fragen noch! Wie verlief die Nacht? Ist unsere arme Kranke vorübergehend zum Bewußtsein gekommen?“

„Nicht, daß ich es bemerkt hätte, Herr Sanitätsrath.“

„Und hat sie phantasirt?“

„Ja!“

Eigenthümlich zögernd und gepreßt kam diese Bestätigung aus dem Munde des Künstlers. Aber der Sanitätsrath dachte nicht daran, dafür nach einer besonderen Deutung zu suchen.

„Hum!“ machte er, und sein Gesicht wurde wieder recht bedenklich. Das Anzeichen, welches er da festgestellt hatte, war jedenfalls von wenig erfreulicher Art. Er prüfte die Geschwindigkeit des Pulsschlages und stellte die Körperwärme der Kranken fest. Dann sprach er eine geraume Weile leise mit der Diakonissin, deren sanftes, gleichmäßig ruhiges Gesicht nicht die geringste Neugier oder Verwunderung ausdrückte über das, was sie hier vorfand. Gerhard, der unterdessen an das Fenster getreten war und auf die Straße hinabgeschaut hatte, wendete sich endlich wieder in das Zimmer zurück.

„Sind Sie der Meinung, daß sich ihr Befinden verschlechtert hat, Herr Sanitätsrath?“ fragte er.

„Ich kann Ihnen nicht verhehlen, daß die Krankheit allerdings in der schwereren Form verläuft. Die Hoffnung auf Genesung ist keineswegs ausgeschlossen, aber auch andere Möglichkeiten müssen ins Auge gefaßt werden.“

Mit düster gefurchter Stirn schaute Gerhard vor sich nieder. Während all der letzten Stunden hatte er mit einem Entschluß gerungen, der ihm bald als ein unabweisbares Gebot seiner Ehre, bald als eine verbrecherische Thorheit erschienen war, und der Zwiespalt, unter welchem er litt, war ihm so unerträglich, daß es ihn gebieterisch danach verlangte, demselben auf die eine oder die andere Weise ein Ende zu machen.

„Wenn es so steht, Herr Sanitätsrath, so bitte ich Sie, alles, was in eines Menschen Macht liegt, aufzubieten, um das Leben der Kranken zu erhalten. Wünschen Sie einen oder mehrere Ihrer Herren Kollegen heranzuziehen oder erscheint Ihnen irgend ein anderes Verfahren nothwendig, so dürfen Sie sich durch die Rücksicht auf die Kosten keinesfalls abhalten lassen, es einzuschlagen. Kein Opfer kann mir in diesem Fall zu groß sein, denn – wie Sie bereits erraten haben werden – die junge Dame ist nicht nur meine Pflegeschwester, sondern auch – meine – Braut!“

Das Wort schlug ihm so fremd und so überraschend ans Ohr, als wäre es nicht mit seiner eigenen, sondern mit der Stimme eines anderen gesprochen worden. Wäre noch eine Möglichkeit dagewesen, es zurückzunehmen, so würde er wahrlich nicht gezögert haben, das zu thun, denn ihm war, als müsse der erste, der das inhaltsschwere Wort vernommen hatte, ihm entgegenrufen: „Du lügst!“

Aber es geschah nichts derartiges. Weder der Arzt noch die Pflegerin schien die Mittheilung, mit welcher er seine Bitte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 775. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_775.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)