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verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Lineal-(Parentel-)Folge, indem es nach der Reihe die Kinder, die Eltern, die Großeltern, Urgroßeltern mit ihren Abkömmlingen und Stämmen zur Erbfolge beruft. Natürlich wahrt es auch das Erbrecht des überlebenden Ehegatten und spricht ihm in menschenfreundlicher Weise neben den Verwandten der zweiten und dritten Linie die gemeinsam gebrauchte Hauseinrichtung und die Hochzeitsgeschenke als ein Voraus zu. Ein Abkömmling muß sich in sein Erbe alles das aufrechnen lassen, was er bei der Verheirathung, Errichtung eines eignen Hausstands, Uebernahme eines Amts, Begründung eines Geschäftes oder einer sonstigen Lebensstellung vom Erblasser erhielt, nicht aber die Kosten seiner Vorbildung zu einem Lebensberufe.

Diese kurzen Andeutungen dürften immerhin geeignet sein, einen Ueberblick über die Größe und den Umfang der von der Kommission gelösten Aufgabe zu verleihen. Im Verein mit den bereits erschienenen Justizgesetzen ist mit diesem Werke die auf die Schaffung eines einheitlichen Rechts und einheitlichen Gerichtsverfahrens gerichtete gesetzgeberische Thätigkeit abgeschlossen. Neben den Errungenschaften kriegerischer Tüchtigkeit und der Schaffung äußerer Macht handelt es sich hier um eine Errungenschaft des durch den Krieg erlangten Friedens, um eine That des Geistes, wie sie in der langen Geschichte unseres Volkes selten in solcher Größe und Tiefe hervorgebracht worden ist. Nach mehr als tausendjährigem Ringen, Kämpfen und Zweifeln sind wir nun an dem Ziele angekommen, daß wir sagen können: Wir haben nun endlich Ein Reich – Ein Recht! Fr. Helbig.




November.

Es dampft mein Athem, die Lüfte schneiden,
Entblättert im Garten strecket ihr Bäume
Die nackten Glieder
Und schauet hernieder

5
Auf röthliches Laub,

Das dem Staub sich gesellte.

Nicht mehr die Windsbraut
Weckt eurer Stimme
Rauschenden Wohllaut,

10
Kaum noch dem Grimme

Des Sturmes entgegen
Mögt ihr die Arme zum Widerstand regen:
Bald bändigt ganz euch Winters stummer,
Gliederumspinnender Todesschlummer.

15
Wie seid ihr noch im Sterben schön!

Vom blauen Himmel mit goldenem Glanz
Umschimmert die Sonne Stamm und Gezweig:
Ihr scheint zu lächeln, froh und zufrieden,
Dem Menschen gleich, dem nach mühvollem Sein

20
Ein sanftes Ende das Schicksal beschieden.


In treuer Arbeit
Ein selbstlos Weben
War euer Leben.
Aus feinsten Fäden Blätter zu wirken

25
Zu schattenspendendem, schützendem Schirme,

Aus Schnee und Morgenroth Blüthen zu blasen,
Zu wonniger Weide dem Menschenauge,
Mit zartem Stoff goldwangige Hüllen
Und duftigen, süßen Säften zu füllen,

30
Dem Menschenherzen zu lieblicher Labe:

Das war euer Leben,
In treuer Arbeit
Ein selbstlos Weben.

Du aber, o Mensch, erhebe dein Herz

35
Zu selbstvergessenem Werk der Liebe,

Zu unverdrossener, fröhlicher Arbeit;
Treib Blüthen und Früchte
Zu Freud’ und Frommen
Dem darbenden Bruder!

40
Und wird dereinst im eignen Herbst

Nach rüstigem Schaffen die Hand dir sinken,
Dann möge so ein himmlisch Blinken,
So freundlich grüßender Sonnenschein
Dem brechenden Auge beschieden sein.

Otto Sievers.




Eine kleine Vergnügungsreise.

Humoreske von Hans Arnold.
(Fortsetzung.)


Während Helene und Anna beschäftigt waren, den Feind des Inkognitos von dem Rücken ihres Herren und Gebieters loszulösen, fand Aennchen Gelegenheit, ihrer Schwester zuzuflüstern: „Das ist Kurt!“

„Ach Thorheit!“ rief Helene überrascht und sah nun den Peiniger erst genau an, der vergeblich bemüht war, den zornigen Karl zu besänftigen, leider, wie zu vermuthen steht, mehr aus Interesse an dem reizenden Mädchen als aus allgemeiner Menschenliebe. Karl wollte aber nichts von Verzeihen hören, und selbst das Anerbieten des Unbekannten, ihm den Weg nach seinem doch entschieden verlornen Ziel zu weisen, hatte nur ein sehr mürrisches „Meinetwegen!“ zur Folge.

„Wir wollen nach dem R.-Hotel,“ fügte der Amtsrichter widerwillig hinzu, „wenn Sie wissen, wo das ist!“

Der andre lachte wieder.

„O ja, das weiß ich ganz genau,“ sagte er, „es liegt mir durchaus nicht aus dem Wege, wenn ich die Herrschaften begleiten darf!“

„Nein, ich danke,“ stieß Karl unfreundlich hervor, „sagen Sie uns nur die Richtung – ich habe sonst sehr viel Ortssinn, aber in diesem verwünschten Berlin finde sich einmal einer zurecht!“

„Darf ich mich Ihnen wenigstens bekannt machen?“ sagte der Fremde, nachdem er in Kürze den Weg beschrieben hatte, und zog schon den Hut.

„Ich danke auch dafür,“ murrte der Amtsrichter, „ich pflege Bekanntschaften nicht auf der Straße zu machen! Kommt, Kinder!“

Und nach einem kurzen, nicht gerade sehr liebenswürdigen Gruß an den jungen Mann bot er jeder seiner Damen einen Arm und zog sie mit sich fort. Der so kurz Abgefertigte sah den drei Gestalten einen Augenblick nach, pfiff unhörbar vor sich hin und ging, noch immer lachend, seiner Wege.

Inzwischen hatte Helene, durch das niedergeschlagene Gesicht ihrer Schwester gerührt, dem Gatten lebhafte Vorwürfe gemacht, daß er den Fremden so unhöflich behandelt habe.

„Ich begreife Dich gar nicht, Karl,“ sagte sie, „wie Du den jungen Mann so anfahren konntest! Es war ja zu natürlich, daß er unter diesen Verhältnissen sich den harmlosen Spaß erlaubte, Dich anzureden!“

„Dummheiten – Unverschämtheiten!“ stieß Karl ärgerlich hervor.

„Und im Grunde mußt Du ihm noch dankbar sein,“ fuhr Helene unbeirrt fort, „denn ohne ihn und seine Aufklärung liefst Du noch immer mit dem Zettel auf dem Rücken umher, wie ein Buch aus der Leihbibliothek. Der Mann sah so nett aus!“

Karl blieb stehen.

„Wißt Ihr, Kinder,“ sagte er mit Energie, „laßt mich mit Eurem unbekannten Freunde ungeschoren! So sind alle Frauen – danach bilden sie ihr Urtheil! Sah nett aus! Und solche Wesen wollen gleichberechtigte Stellung mit den Männern haben! Wenn Ihr Geschworne seid und ein überführter Mörder hat ein paar blaue Kalbsaugen, so sprecht Ihr ihn alle zusammen frei! Der Mann war entschieden ein Bauernfänger, daß Ihr’s wißt!“

„Aber Karl!“ rief Anna, vor Empörung ihre Schüchternheit vergessend. – Ihr Ideal ein Bauernfänger – das war zu viel!

Ihr Schwager sah sie scharf an.

„Was geht denn das Dich an, wenn ich fragen darf?“

„Aennchen kennt ihn ja aus D. . . !“ kam Helene der tief beschämten Schwester zu Hilfe.

„Was?“ frug Karl mißtrauisch, „Du kennst den Monsieur? Wie heißt er denn?“

Das war nun, wie wir wissen, eine unangenehme Frage! Daß der Unbekannte Kurt hieß, konnte schwerlich genügen, um den Amtsrichter über dessen Personalien zu beruhigen, und weiter

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verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1889, Seite 798. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_798.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)