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verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

unangenehmsten Jahreszeit, immer und nur in der Nacht der Geburt Christi, wann die Jungfrau der Jungfrauen . . . den Sohn Gottes gebar, trug er blühende Aepfel von Daumesdicke . . . Es pflegen daher aus Nürnberg und den umliegenden Gegenden mehrere glaubwürdige Leute herbeizukommen und die ganze Nacht zu wachen, um die Wahrheit davon zu prüfen. Ein in allem ähnlicher Baum findet sich in einem Orte der Diöcese Bamberg.“

Diese Sage erhielt sich durch die Jahrhunderte.

In seinem berühmten Buche „Von schimpff und ernst“ (Straßburg, Grieninger 1522) erzählt J. Pauli fast ein Jahrhundert später mit Berufung auf eine andere zwischenliegende Quelle[1]: „Doctor Hasseltzbach schreibt, das in de bistumb von wirtzburg seien zween öpfelbeum, die bringen in dem iar kein frucht dan in der Weihenacht, und an dem weihenacht abent ist kein zeichen da der frucht, aber zu mitternacht so sahen die beum an brossen utzstossen und blüen und an dem morgen so sein die öpsel zeitig und sein als grotz als gemeine baumnutz, das ist ein grotz wunder. Diser doctor hat brieff und siegel des bischoffs, die darumb geben sein der warheit.“

Dieselbe Geschichte findet sich dann in Abraham Sauers „Parvum theatrum urbium“ („Kleines Städteschaubuch“), das 1610 nach dem Tode des Verfassers in Frankfurt am Main erschien. Hier ist sie jedoch auf Drebern (Tribur) am Rhein übertragen, und die Umstände sowie die Zeugen sind andere. In den geographischen Werken des 16. Jahrhunderts, von denen mir allerdings nur wenige zugänglich waren, habe ich die Sage nirgends finden können.

Aus Sauer entlehnte dieselbe, wie seine eigene Randbemerkung sowie die Vergleichung lehrt, Martinus Zeiller, der 1674 sein „Itinerarium Germaniae, das ist Reisbuch durch Hoch und Nider Teutschland“ herausgab. I, 485 findet sich die Stelle: „Nicht weit von Tribur stehet ein Apfelbaum, welcher alle Jahre in der Christ-Nacht Aepffel trägt: Wann ein gutes Jahr vorhanden, so werden sie groß als eine Bonen, doch an gestalt als ein Aepffelein mit Blumen, Stiel und andern, hart und steiff: Zu andern Jahren aber, als ein Erbis (Erbse). In einer Stund bekompt der Baum seine Blühe und Obs, welches alle Jahr nach dem Alten Kalender mit sonderm fleiß von den Inwohnern observirt wird. Sonsten im Jahr trägt er Wilde Holtz Aepffel, die nach ihrer Art andern gleich seyn: Wie nicht allein gemelter Saur solches bezeuget: sondern mir auch ein vornehmer Freyherr, so neben etlichen Meintzischen und Darmstädtischen Rähten und vom Adel in einer Christ-Nacht daselbsten sich befunden, vermeldet und diß hoch betheuert hat.“ Auch Prätorius in seinen 1663 in Leipzig erschienenen „Saturnalia, das ist eine Compagnie Weihnachtsfratzen und Centnerlügen“ stellt solche Berichte zusammen.

1680 wird aus Lohr am Main ähnliches berichtet, 1697 erzählt Wagenseil in „De civitate Noribergensi“ („Ueber die Stadt Nürnberg“) dasselbe von etlichen Bäumen bei dem Nürnbergischen Städtlein Gräfenberg, und eine weitere Nachricht aus dem Ende des 18. Jahrhunderts greift wieder auf Würzburg zurück.

Am Ende des 17. und am Anfang des 18. Jahrhunderts lebte zu Pretzschendorf in der Ephorie Dippoldiswalde in Sachsen der Pfarrer Johann Samuel Adami. Er besaß eine stattliche Bücherei und war ein ehrsamer, wohlgelahrter Herr, der eine ungemeine Belesenheit und eine noch erstaunlichere schriftstellerische Fruchtbarkeit besaß. Im fünften Bande seiner „Biblischen Ergetzlichkeiten“, der 1694 erschien, berichtet er die erwähnte Weihnachtssage und zwar nach Prätorius, den er ausschrieb. Was bei allen diesen Erzählungen wundernehmen muß, ist, daß keiner der Erzähler, was doch sehr nahe gelegen hätte, sich auf eine Sitte bezieht, gemäß der man etwa in den Zimmern äpfelgeschmückte Bäume aufgerichtet hätte. Daß wir es hier mit einer uralten Sage und nicht mit einer allegorischen Weiterbildung der „Ruthe Aaronis“ oder anderer Reiser zu thun haben, liegt auf der Hand. Es geht nicht wohl an, die Erzählung von dem Wunderbaum aus den anderen Erzählungen von den Wundern der Weihnachtsnacht herauszulösen und für fremden Ursprungs zu erklären. Hierin haben sich Paulus Cassel[2] und Wilhelm Mannhardt[3] sicher vergriffen.

Wenn die Männer, welche diese Sage vor Prätorius und Adami berichten, nicht einer Sitte gedenken, in der Weihnacht Bäume aufzustellen, so folgt daraus noch nicht, daß sie eine solche nicht kannten. Sie schrieben ihre Bücher aus andern Büchern zusammen und ihrem Zwecke lag eine solche Bemerkung ganz fern. Anders bei Prätorius und Adami. Jener bezieht sich meist auf selbst Gesehenes in seinen Angaben, und auch dieser würdige Herr war keineswegs nur Bücherwurm. Er hatte sich mit eigenen Augen vielerorts recht gründlich umgesehen und kannte die abergläubischen Meinungen und Bräuche seiner Beichtkinder nur allzu genau. An einer andern Stelle desselben Werkes (Bd. XX, S. 998 ff.) giebt er ein förmliches Verzeichniß davon. Hier handelt er auch vom Weihnachtsabend, vom Lichtanzünden, mehreren Spielen und allerlei Unfug – vom Weihnachtsbaume kein Wort. Da er ohnedies eine natürliche Anlage zur Geschwätzigkeit hatte und gern aus dem Hundertsten ins Tausendste kommt, so z. B. bei der Erwähnung von Josefs Becher den gesammten deutschen Trinkbrauch seit der Urzeit mit einem gewaltigen gelehrten Aufwand von dreißig Seiten behandelt, so ist es nun und nimmermehr zu glauben, daß er die Sitte des Weihnachtsbaumes gekannt haben sollte. Das heißt aber: um 1700 kannte die Umgegend von Dresden in weiterem Sinne den Weihnachtsbaum sicher noch nicht.

Andere Gegenden kannten ihn damals längst.

Vor einem Jahre war die älteste Nachricht über den Weihnachtsbaum, die wir beibringen konnten, dessen Verurtheilung in der „Katechismus-Milch“ des Professors Dannhauer in Straßburg im Jahre 1657. Der Aufruf der „Gartenlaube“ um Mittheilung von Nachrichten über den Weihnachtsbaum hat ein Ergebniß gehabt, welches den Christbaum für dieselbe Rheinstadt unwiderruflich ein weiteres halbes Jahrhundert hinaufrückt.

Im Besitze des Herrn Georg Falck in Friedberg in Hessen befindet sich eine alte Handschrift im Umfang von zwei Bogen Kleinfolio unter der Ueberschrift Memorabilia quaedam Argentorati observata“ („Einige denkwürdige Beobachtungen aus Straßburg“). Der zweite Bogen, Bl. 3 und 4, enthält statistische Aufzeichnungen aus den Jahren 1582 bis 1604, ist also 1604 oder später geschrieben. Der erste Bogen, dessen Papier allerdings älter ist und der sich auch viel weniger gut erhalten hat, ist in den Anfang des Jahres 1605 zu setzen, denn er enthält am Ende Aufzeichnungen aus dem Februar dieses Jahres, die ihrer Einzelheiten wegen nur gleichzeitig entstanden sein können. Die Schrift beider Bogen, die zu diesen Zeitverhältnissen trefflich stimmt, ist, obwohl in der Größe nicht ganz gleich, doch das Werk derselben Hand. In der Mitte von Blatt 2 b steht:

„Auff Weihenachten richtett man Dannenbäum zu Straßburg in den stuben auff daran hencket man roßen auß vielfarbigem papier geschnitten, Aepfel, Oblaten, Zischgolt, Zucker etc. Man pflegt darum[4] ein viererkent ramen zu machen vndt vorrn … t hier …

1604 erscheint also der geschmückte Tannenbaum zu Straßburg bereits allverbreitet. Es ist demnach anzunehmen, daß er dort noch ein gutes Stück älter ist. Der „viererkent ramen“ entspricht wohl dem Kreuz, auf dem unsere Christbäume stehen. Die Lichter fehlen hier noch. Auch Dannhauer 1657 kennt sie ja noch nicht.

In Straßburg erhielt sich der Weihnachtsbaum ungestört fort. Die Baronin von Oberkirch erzählt in ihren Memoiren von Weihnachten 1785 zu Straßburg[5]: „Le grand jour arrive, on prépare dans chaque maison le Tannenbaum, le sapin couvert de bougies et de bonbons avec une grand illumination“. („Der große Tag naht heran, in jedem Hause rüstet man den ‚Tannenbaum‘, die mit Kerzen und Bonbons bedeckte Tanne, und reichen Lichterschein.“)

Bei Goethe kommt der Weihnachtsbaum, wie wir voriges Jahr sahen, zuerst 1774 im Werther vor. 1770–1771 war Goethe in Straßburg; kannte auch er den Baum vielleicht von dort?

Ein weiteres Gesichtsfeld, dessen Grenzen allerdings nur graue Nebelstreifen sind, eröffnet eine andere Mittheilung, welche infolge des Aufrufs der „Gartenlaube“ dem Verfasser zugekommen ist.[6]


  1. Bl. CIIa. Von dem weihennachttag.
  2. Weihnachten, S. 141 f.
  3. Baumkultus der Germanen, S. 242.
  4. Die Worte in Antiquadruck sind vom Verfasser ergänzt. Die Stelle ist völlig unleserlich. Darauf folgt ein Absatz, der nicht mehr dazu gehört.
  5. Leipziger Ztg. 1888. Nr. 300. H. Ludwig, der Weihnachtsbaum im alten Straßburg.
  6. Von Dr. Lange in Niederolm bei Mainz.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1889, Seite 868. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_868.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)