Seite:Die Gartenlaube (1890) 006.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Du ihn vielleicht in die Schule nehmen und einen Diplomaten aus ihm machen? Das wäre ein Hauptspaß!“

Sie begann überlaut zu lachen, und Willy, dem diese Voraussetzung ebenso komisch erschien, stimmte in der gleichen Tonart ein. Herr von Wallmoden betheiligte sich nicht an diesem dröhnenden Ausbruch von Heiterkeit, der ihm wieder auf die Nerven zu fallen schien, er zuckte nur die Achseln.

„Das beabsichtige ich in der That nicht, es würde auch wohl vergebliche Mühe sein. Aber ich und Willibald sind jetzt die einzigen Vertreter unserer Familie, und wenn ich wirklich unvermählt bleiben sollte –“

„Sollte? Denkst Du etwa noch daran, auf Deine alten Tage zu heirathen?“ unterbrach ihn seine Schwester in ihrer rücksichtslosen Weise.

„Ich bin fünfundvierzig Jahre, liebe Regine, das pflegt bei einem Manne noch nicht für alt zu gelten,“ sagte Wallmoden etwas verletzt. „Ich halte überhaupt die spät geschlossenen Ehen für die besten, man läßt sich da nicht mehr von der Leidenschaft beeinflussen, wie Falkenried es zu seinem Unglück that, sondern giebt der Vernunft das entscheidende Wort.“

„Gott steh’ mir bei! Soll Willy vielleicht mit dem Heirathen warten, bis er fünfzig Jahre auf dem Rücken und graue Haare auf dem Kopfe hat?“ rief Frau von Eschenhagen entsetzt.

„Nein, denn er hat als einziger Sohn und künftiger Majoratsherr Rücksichten zu nehmen; übrigens kommt es dabei doch auch auf seine persönliche Neigung an. Was meinst Du, Willibald?“

Der junge Majoratsherr, der eben mit seinem Schinken und seinen Eiern fertig geworden war und sich nun mit gesteigertem Appetit an die Wurst machte, war offenbar sehr erstaunt, daß er um seine Meinung gefragt wurde. Das pflegte sonst nie zu geschehen, er verfiel daher in ein tiefes Nachdenken, als dessen Ergebniß er endlich erklärte: „Ja, ich werde wohl auch einmal heirathen müssen, aber die Mama wird mir schon eine Frau aussuchen, wenn es so weit ist.“

„Das wird sie, mein Junge,“ bestätigte Frau von Eschenhagen. „Das ist meine Sache, Du brauchst Dich gar nicht darum zu kümmern, und so lange bleibst Du hier in Burgsdorf, wo ich Dich unter meinen Augen habe. Von der Universität und von Reisen ist nicht die Rede – abgemacht.“

Sie warf einen herausfordernden Blick auf ihren Bruder, aber dieser sah mit einer Art von Entsetzen auf die riesige Wurstportion, die sein Neffe und Mündel nun schon zum zweitenmal auf den Teller häufte.

„Hast Du immer einen so gesegneten Appetit, Willy?“ fragte er.

„Immer!“ versicherte Willy mit Selbstgefühl und nahm sich noch ein großes Butterbrot.

„Ja, wir leiden hier Gott sei Dank nicht an Magenbeschwerden,“ sagte Frau Regine etwas anzüglich, „aber wir verdienen uns auch rechtschaffen unser Brot. Erst beten und arbeiten und dann essen und trinken, aber gründlich, das hält Leib und Seele zusammen. Sieh Dir den Willy an, wie der dabei gerathen ist, ich meine, der kann sich sehen lassen!“

Sie schlug ihrem Bruder freundschaftlich auf die Schulter bei den letzten Worten, aber diese Freundschaftsbezeigung war so herzhafter Natur, daß Wallmoden schleunigst seinen Stuhl seitwärts rückte und sich aus dem Bereich der schwesterlichen Nähe brachte. Sein Gesicht verrieth deutlich, daß er wieder einmal ein „gelindes Haarsträuben“ empfand. Er gab es diesen urwüchsigen Verhältnissen gegenüber auf, die Vormundschaftsrechte geltend zu machen, die er ja überhaupt nur dem Namen nach ausübte. Willy dagegen fand offenbar auch, daß er außerordentlich gut gerathen sei, und sah sehr vergnügt aus bei diesem Lobe seiner Mutter, die jetzt ärgerlich fortfuhr:

„Und Hartmut ist wieder einmal nicht zum Frühstück gekommen! Er scheint sich hier in Burgsdorf alle möglichen Unpünktlichkeiten zu erlauben, aber ich werde mir den jungen Herrn ernstlich vornehmen, wenn er kommt, und ihm klar machen –“

„Da ist er schon!“ klang eine Stimme vom Garten her. In den hellen Sonnenschein, der durch das offene Fenster hereinfluthete, fiel ein Schatten und in dem Rahmen dieses Fensters erschien urplötzlich eine schlanke jugendliche Gestalt, die sich von draußen auf die Brüstung schwang.

„Junge, bist Du denn ganz des Kuckucks, daß Du nun gar zum Fenster hereinkommst?“ rief Frau von Eschenhagen entrüstet. „Wofür sind die Thüren da?“

„Für Willy und die anderen wohlerzogenen Menschen,“ lachte der Eindringling im vollsten Uebermuth. „Ich gehe immer den nächsten Weg und der führte diesmal gerade durchs Fenster.“ Damit sprang er mit einem Satze von der ziemlich hohen Brüstung mitten in das Zimmer hinein.

Hartmut Falkenried stand, wie der junge Majoratsherr von Burgsdorf, auf der Grenze zwischen Knabe und Jüngling, aber es bedurfte nur eines Blickes, um zu erkennen, daß er seinem gleichalterigen Gefährten in jeder Hinsicht überlegen war. Er trug die Uniform eines Kadetten und sie kleidete ihn sehr vortheilhaft, aber dennoch lag etwas in der ganzen Erscheinung, was dem strengen militärischen Zuschnitt zu widerstreben schien. Der schlanke hochgewachsene Knabe war ein wahres Bild von Jugend und Schönheit, doch diese Schönheit hatte etwas Fremdartiges, die Bewegungen und das ganze Auftreten etwas Wildes, Unbändiges und kein einziger Zug erinnerte an die markige Soldatengestalt, an die ernste Ruhe des Vaters. Dichtes üppiges Lockenhaar fiel auf eine hohe Stirn und das tiefe, bläuliche Schwarz dieser Locken, die warme dunkle Färbung der Haut deuteten mehr auf einen Sohn des Südens als auf die deutsche Abkunft. Auch die Augen, die in dem jugendlichen Antlitz flammten, gehörten nicht dem kühlen, ernsten Norden an, es waren räthselvolle Augen, dunkel wie die Nacht und doch voll heißen, leidenschaftlichen Feuers. So schön sie waren, es barg sich etwas darin, was beinahe unheimlich berührte, und so übermüthig das Lachen klang, mit dem Hartmut jetzt von einem der Anwesenden zum andern blickte, ein frohes herzliches Knabenlachen war es nicht.

„Du führst Dich ja in einer recht zwanglosen Art ein,“ sagte Wallmoden scharf. „Du scheinst es Dir zu Nutze zu machen, daß man in Burgsdorf nicht viel auf Etikette hält, ich glaube aber nicht, daß Dein Vater Dir einen solchen Eintritt in das Speisezimmer gestatten würde.“

„Bei dem untersteht er sich auch dergleichen nicht,“ sagte Frau von Eschenhagen, die zum Glück den Stich nicht fühlte, der auch für sie in der Bemerkung ihres Bruders lag. „Also jetzt kommst Du endlich, Hartmut, wo wir mit dem Frühstück fertig sind? Aber Nachzügler bekommen nichts zu essen, das weißt Du doch.“

„Ja, das weiß ich,“ versetzte Hartmut ganz unbekümmert, „und deshalb habe ich mir bereits von der Wirthschafterin ein Frühstück geben lassen. Aushungern kannst Du mich nicht, Tante Regine, dazu stehe ich auf viel zu gutem Fuße mit all Deinen Leuten.“

„So, und deshalb glaubst Du, Dir ungestraft alles erlauben zu dürfen!“ rief die Gutsherrin zornig. „Die Hausordnung brechen, keinen Menschen und kein Ding in Ruhe lassen und ganz Burgsdorf auf den Kopf stellen – das Handwerk wollen wir Dir doch legen, mein Junge. Morgen schicke ich einen Boten zu Deinem Vater hinüber und lasse ihn bitten, seinen Herrn Sohn, dem nun einmal keine Pünktlichkeit und kein Gehorsam beizubringen ist, gefälligst wieder abzuholen.“

Die Drohung wirkte. Der Uebermüthige erschrak und fand es für gut, einzulenken.

„Aber das ist ja alles nur Scherz und Neckerei, soll ich denn die kurze Ferienzeit nicht ausnützen –“

„Mit allerlei Dummheiten?“ fiel Frau von Eschenhagen ein. „Willy hat in seinem ganzen Leben nicht so viel Unsinn angerichtet, wie Du in diesen letzten drei Tagen, und schließlich verdirbst Du ihn mir mit Deinem schlimmen Beispiel und stiftest ihn gleichfalls zur Unbotmäßigkeit an.“

„O, Willy ist gar nicht zu verderben, bei dem ist alle Mühe umsonst,“ gestand Hartmut sehr offenherzig.

Der junge Majoratsherr sah allerdings nicht aus, als sei er zur Unbotmäßigkeit geneigt, er vollendete, unbekümmert um all diese Verhandlungen, in vollster Seelenruhe sein Frühstück, indem er sich nach dem letzten Butterbrote noch ein allerletztes nahm; seine Mutter aber war höchlich aufgebracht über diese Bemerkung.

„Das thut Dir wohl außerordentlich leid?“ rief sie. „Deine Schuld ist es freilich nicht, Du hast Dir Mühe genug gegeben, ihn zu verderben also es bleibt dabei, ich schreibe morgen Deinem Vater –“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_006.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)