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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Quitt.

Roman von Theodor Fontane.
(Fortsetzung.)
5.

Opitz hatte sich ausgewettert, und als ihm gleich danach eine behaglichere Stimmung wiederkehrte, trat er auch wieder ans Fenster und lehnte sich hinaus, um sich an den Narzissen und Aurikeln zu freuen, die spärlich in seinem Vorgarten blühten. Dabei blies er Wolken aus seinem Meerschaum in die stille Luft und ließ, unter behaglichem Träumen, alles an sich vorüberziehen, was der Tag gebracht hatte.

Lehnert war, als er an Opitz vorbei war, auf sein Haus zugegangen, das unmittelbar jenseit der Lomnitz lag, der Försterei so nahe, daß man sich gegenseitig in die Fenster sehen konnte. Nichts als Fluß und Fahrstraße trennte beide Gehöfte, deren gesammtes Acker- und Heideland in alten Zeilen ausschließlich Stellmacher Menzsches Eigenthum gewesen war, bis man auf dem diesseit der Lomnitz gelegenen Kusselstreifen eine Försterei gebaut und nur alles jenseit des Flusses Gelegene bei den Menz belassen hatte. Das war jetzt runde dreißig Jahr und fast eben so lange hatte man hüben und drüben ohne Neid und Eifersucht gelebt, trotzdem zum Neid, wie nun ’mal die Menschen sind, vielleicht Grund gewesen wäre. Denn wenn einerseits die neue Försterei mit ihrer Sauberkeit und ihrem rothen Dach die drüben gelegene, hier und da sehr baufällige Stellmacherei weit in Schatten stellte, so hatte diese dafür die „fette Seite“ behalten, während sich die Förstersleute, den kleinen Vorgarten abgerechnet, mit einem Streifen Heideland und einem noch schmaleren Lupinenstreifen begnügen mußten. Aber das alles hatte die ganze Zeit über keinen Aerger geschaffen und noch weniger der rein zufällige Umstand, daß das auf einer Stein- und Geröllinsel inmitten zweier Lomnitzarme gelegene Menzsche Wohnhaus, so wenig gepflegt es war, doch kastellartig auf alles unmittelbar Umhergelegene herabsah und natürlich auch auf die Försterei. Zu keiner Zeit, um es zu wiederholen, war an diesem und ähnlichem Anstoß genommen worden, bis Opitz ans Regiment kam, von dem, ohne daß er es zugab, die Hochlage der Stellmacherei drüben einfach als eine Beleidigung empfunden wurde.

Selbstverständlich unterhielt diese malerische Kastellinsel auch ihre Verbindungen mit dem Festland, und zwar mit Hilfe zweier Brückenstege, von denen der eine beinah unmittelbar nach der Försterei, der andere nach der entgegengesetzten Seite hin nach dem Menzschen Ackerland hinüberführte, hinter dem gleich der schräg ansteigende gräfliche Forst begann. Der Ackerstreifen war mit Roggen und Kartoffeln bestellt, von denen der Roggen in diesem Jahre ganz wundervoll stand, auf dem Inselchen selbst aber befand sich, in geringer Entfernung vom Wohnhaus, noch ein Arbeitsschuppen, drin Lehnert die schon von Vater und Großvater her ererbte Stellmacherei betrieb, ein Geschäft, das im Frühjahr und Herbst meist gut ging, im Sommer aber beinah’ ruhte.

So war es auch heut. Alles still. Freilich sah man einen Pflug und ein paar alte Karren und Wagenachsen unter dem Schuppen stehen, aber all diese Dinge konnten ebenso gut zur eignen Wirthschaft gehören, wie zur Ausbesserung abgeliefert sein. In dem abgeschrägten Vorgarten von nur geringer Tiefe, durch den eine Feldsteintreppe zu dem Häuschen hinaufführte, blühten Georginen und Reseda, während ein alter Rosenstrauch von beträchtlicher Stärke neben der Hausthür aufwuchs und sein mit gelben Rosen überdecktes Gezweig unter dem Strohdach hin ausspannte, Nachmittagssonne lag auf Haus, und Gehöft und nichts war hörbar, als die doppelarmig vorüberschießende Lomnitz und das Meckern einer Ziege vom Stall her. Ein Hahn, ein schönes Thier mit Silberhals, stolzierte den Schuppen entlang, aber er krähte nicht und hatte wenig Aufmerksamkeit für die Hühner, die sich Erdlöcher gemacht hatten, um sich zu kühlen.

Nicht ganz so still war es drinnen im Hause, in welchem Lehnert inzwischen eingetroffen war.

Er hatte sich unterwegs nicht beeilt, ebenso wenig wie Opitz. Vom Pastorhause war er zunächst nach dem Kretscham hinübergegangen und hatte hier von dem ihn begrüßenden Wirth erfahren, daß Frau Menz, seine Mutter, eben da gewesen sei und gerad’ an demselben Tisch erst einen „Grünen“ und dann einen Ingwer getrunken habe. Das hörte Lehnert nicht gern. Er gönnte der alten Frau die kleine Herzstärkung, denn er liebte sie trotz all ihrer Schwächen, aber er ärgerte sich wieder über die Heimlichkeit, und dieser Aerger war noch nicht voll verwunden, als er beim Betreten der Schwelle seines Hauses der am Herde hantierenden Alten ansichtig wurde.

„Guten Tag, Metier. Pohl läßt grüßen.“

„Welcher?“

„Nu, der aus dem Kretscham unten.“

„So, der! Warst Du da?“

„Ja, Mutter. Und Du kannst Dir denken, ich habe mich just da hingesetzt, wo Du gesessen hattest. Und Dir zu Ehren hab’ ich meinen Ingwer aus Deinem Glase getrunken. Es stand noch da.“

Die Alte sah verlegen vor sich hin und sagte dann: „Aber nur einen, Lehnert. Mir war so schwach.“

Lehnert lachte. Dann ging er auf sie zu und sagte, während er ihr das graue Haar streichelte: „Gott, Mutter, wie Du so bist! Wenn das einer hört, so müßt’ er denken, der Lehnert ist ein Filz und schlechter Kerl und gönnt seiner alten Mutter nicht einmal einen Tropfen Stärkung. Aber wie liegt es denn? Ich gönne Dir nicht einen Ingwer, ich gönne Dir zwei, und wenn Dir’s nicht zu viel wird, Alte, dann können es auch drei und vier werden. Ich habe Dich auch noch eigens gefragt und da hast Du ,nein’ gesagt, aber freilich, als Du ,nein’ sagtest, da sagtest Du schon ,ja’, und als ich die Klingelthür bei Siebenhaar noch kaum aus der Hand hatte, da bist Du schon hinübergegangen. Immer versteckt! Du kannst nichts offen thun, auch nicht ’mal das, was die Sonne gar nicht zu scheuen braucht. Alles muß heimlich sein. Und sieh, Mutter, so hast Du mich auch erzogen und angelernt. Das muß ich Dir immer wieder sagen. Gott sei’s geklagt, daß ich’s muß. Es ist immer ein und dasselbe, was Du so bei Dir denkst: es sieht es ja keiner; bei Nacht sind alle Katzen grau und es darf bloß nicht ’rauskommen. Und wenn es nicht ’rauskommt, dann ist alles gleich. So denkst Du bei Dir und denkst auch wohl: ach, der liebe Gott, der is nicht so, der ist gut und freut sich, wenn man einem Förster oder Grenzaufseher ein Schnippchen schlägt.“

„Ach, Lehnert, rede doch nicht so! Du weißt ja doch . . .“

„Und wenn es dann schief geht, ja, dann ist es wieder anders. Dann geht es in die Predigt und Siebenhaar . . . na, Du weißt schon, ich hab’ es Dir heute schon ’mal gesagt . . . der muß dann wieder einen Heiligen aus mir machen. Ach, Mutter, Du meinst es mit keinem bös, und mit mir erst recht nicht, aber Du hast das Ehrlichsein nicht gelernt und davon ist alles gekommen . . . Und nun will auch Siebenhaar noch mit ihm sprechen, mit Opitz, als ob das was helfen könnte, will mich mit ihm versöhnen, und ich hab’s auch versprechen müssen. Aber ich mag nicht. Ich hasse ihn, und Haß ist überhaupt das beste, was man hat?“

„Ueberlege Dir’s, Lehnert! Er ist ein gräflicher Förster und is nu doch ’mal der Herr.“

„Ach was, der Herr! Ein Diener is er. Ich bin ein Herr, eher als er, und kann machen, was ich will.“

„Er hat das Ansehen vor den Leuten und ich weiß es von Christine, er ist nicht so schlimm, wie Du glaubst und ihn immer machen willst. Er kann auch durch die Finger sehen. Aber er verlangt, daß man ihm gute Worte giebt und ihn für was Besonderes ansieht. Und das thust Du nicht. Er kann bloß Deinen Trotz nicht leiden. Und darum hab’ ich Siebenhaar gebeten . . .“

„Aha,“ lachte Lehnert. „Also Du! Nun meinetwegen.“

„Und darum,“ so wiederholte die Alte, „Hab’ ich Siebenhaar gebeten, als ich nu doch ’mal mit ihm sprach, daß er ihn gut für uns stimme. So viel weiß ich, er giebt was auf Siebenhaar und wenn der ihn ’rum kriegt und Opitz Dir dann die Hand giebt, dann nimm sie, dann stoße sie nicht weg und vergiß all das Alte. Sieh, Lehnert, es hat ja doch alles seine zwei Seiten und vielleicht hat er nicht so ganz unrecht gehabt und Du hast

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_053.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)