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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

hinabgestiegen. Die angeblich verlorene Brieftasche ruhte sicher an ihrem gewohnten Platze, sie hatte ihrem Besitzer nur den Vorwand liefern müssen, um sich auf kurze Zeit frei zu machen. Adelheid von Wallmoden hatte im Laufe des Gespräches erwähnt, daß sie in Begleitung ihres Gemahls gekommen, daß er aber unten im Wirthshause geblieben sei, weil er das beschwerliche Steigen auf den steilen dunklen Stufen scheue. Hartmut konnte also ein Zusammentreffen mit ihm nicht vermeiden, aber es sollte wenigstens ohne Zeugen stattfinden. Wenn Wallmoden den Sohn des Jugendfreundes, den er ja nur als Knaben gesehen hatte, trotzdem wiedererkannte, so blieb er vielleicht doch nicht Herr seiner Ueberraschung.

Hartmut fürchtete dies Zusammentreffen nicht, wenn es ihm auch peinlich und unbequem war. Es gab nur eins auf der ganzen Welt, was er fürchtete, ein Antlitz, zu dem er nicht gewagt hätte, das Auge zu erheben, und das weilte fern, das sah er voraussichtlich niemals wieder. Jedem anderen trat er mit dem stolzen Trotze eines Mannes gegenüber, der nur sein Recht gebraucht hatte, als er sich einem gehaßten Berufe entzog. Er war entschlossen, es zu keiner Frage und keinem Vorwurfe kommen zu lassen, sondern, wenn er erkannt würde, den Gesandten in der entschiedensten Weise zu ersuchen, gewisse alte Beziehungen, mit denen er völlig gebrochen habe, als nicht mehr bestehend anzusehen. Mit diesem Entschluß trat er in das Freie.

Auf der kleinen Veranda vor dem Wirthshause saß Herbert von Wallmoden mit seiner Schwester. Der Oberforstmeister wurde durch die bevorstehende Ankunft des Hofes, dessen Jagden er zu leiten hatte, sehr in Anspruch genommen, und auch das Brautpaar war zu Haus geblieben, aber der Tag hätte zu dem Ausfluge nicht besser gewählt werden können. Die Aussicht war vollkommen klar und die Luft warm wie im Sommer.

„Dieser Hochberg ist wirklich sehenswerth!“ sagte Frau von Eschenhagen, indem sie die Augen über die Landschaft schweifen ließ. „Aber wir haben hier fast denselben Blick wie droben auf dem Thurme. Wozu da erst klettern und sich erhitzen und den Athem verlieren auf den endlosen Stufen – ich danke dafür!“

„Adelheid war doch anderer Meinung,“ entgegnete Wallmoden, mit einem flüchtigen Blick nach dem Thurme. „Sie kennt freilich keine Ermüdung und Erhitzung.“

„Und auch keine Erkältung. Das zeigte sich vorgestern, als sie so durchnäßt zurückkam, sie hat nicht einmal einen Schnupfen davongetragen!“

„Ich habe sie aber doch gebeten, künftig auf ihren Spaziergängen Begleitung mitzunehmen,“ sagte der Gesandte ruhig. „Sich im Walde verirren, einen Bach durchwaten und sich schließlich von dem ersten besten Jäger führen und zurechtweisen lassen, das sind doch Dinge, die sich nicht wiederholen dürfen. Adelheid sah das auch vollkommen ein und versprach sofort, meinem Wunsche nachzukommen.“

„Ja, sie ist eine vernünftige Frau, eine durch und durch gesunde Natur, der alles Romantische und Abenteuerliche fern liegt,“ lobte Regine. „Aber es scheint noch mehr Besuch auf dem Thurme gewesen zu sein, ich glaubte, wir seien heut die einzigen Gäste.“

Wallmoden blickte gleichgültig dem hochgewachsenen, schlanken Herrn entgegen, der soeben aus der kleinen Pforte des Thurmes trat und nach dem Wirthshause schritt; auch Frau von Eschenhagen sah ihn nur flüchtig an, auf einmal aber schärfte sich ihr Blick und sie fuhr auf.

„Herbert – sieh nur!“

„Was?“

„Den Fremden da – welche seltsame Aehnlichkeit!“

„Mit wem?“ fragte Herbert, der jetzt auch aufmerksam wurde und den Fremden genauer in das Auge faßte.

„Mit – unmöglich, das ist keine bloße Aehnlichkeit. Das ist er selbst!“

Sie war aufgesprungen, bleich vor Erregung, und ihr Blick bohrte sich förmlich in das Gesicht des Nahenden, der eben den Fuß auf die erste Stufe der Veranda setzte. Jetzt begegnete sie seinen Augen, diesen dunklen Flammenaugen, die ihr so oft aus dem Antlitz des Knaben geleuchtet hatten. und jetzt schwand der letzte Zweifel.

„Hartmut! Hartmut Falkenried, Du –“

Sie verstummte plötzlich, denn Wallmoden legte schwer die Hand auf ihren Arm und sagte langsam, aber mit Schärfe: „Du bist im Irrthum, Regine, wir kennen den Herrn da nicht!“

Hartmut stutzte, als er Frau von Eschenhagen erblickte, die seinem Blicke bisher durch das Laubwerk der Veranda entzogen gewesen war; auf ihre Anwesenheit war er allerdings nicht vorbereitet. Aber in dem Augenblick, wo er sie erkannte, trafen auch jene Worte des Gesandten sein Ohr, und er verstand nur zu gut diesen Ton, der ihm das Blut in die Schläfe trieb.

„Herbert!“ Regine sah ungewiß den Bruder an, der ihren Arm noch immer fest hielt.

„Wir kennen ihn nicht!“ wiederholte er in dem gleichen Tone. „Muß ich Dir das erst sagen, Regine?“

Sie begriff jetzt auch die Mahnung, mit einem halb drohenden, halb schmerzlichen Blicke wandte sie dem Sohne des Jugendfreundes den Rücken und sagte mit tiefer Bitterkeit:

„Du hast recht – ich habe mich geirrt.“

Hartmut zuckte zusammen und wie im auflodernden Zorne trat er einen Schritt näher.

„Herr von Wallmoden!“

„Sie wünschen?“ fragte dieser, ebenso scharf und ebenso verächtlich wie vorhin.

„Sie kommen meinen Wünschen zuvor, Excellenz,“ sagte Hartmut, sich gewaltsam zur Ruhe zwingend. „Ich wollte Sie soeben ersuchen, mich nicht zu kennen. Wir sind uns also fremd.“

Damit wandte er sich um und trotzig, hoch aufgerichtet davonschreitend, trat er durch einen anderen Eingang in das Haus.

Wallmoden sah ihm mit gerunzelter Stirn nach, dann wandte er sich zu seiner Schwester.

„Konntest Du Dich nicht besser beherrschen, Regine? Wozu die Scene bei einer derartigen Begegnung! Dieser Hartmut existirt nicht mehr für uns.“

Regines Gesicht verrieth nur zu sehr, wie das Zusammentreffen sie erschüttert hatte, ihre Lippen bebten noch, als sie erwiderte:

„Ich bin kein gewiegter Diplomat wie Du, Herbert. Ich habe es noch nicht gelernt, ruhig dazusitzen, wenn einer, den ich längst gestorben und verdorben glaubte, urplötzlich leibhaftig vor mir steht.“

„Gestorben? Das war wohl nicht anzunehmen bei seiner Jugend. Verdorben? Das mag allerdings zutreffen – sein bisheriges Leben war danach!“

„Das weißt Du?“ fuhr Frau von Eschenhagen betroffen auf. „Kennst Du dies Leben etwa?“

„Wenigstens theilweise. Falkenried steht mir denn doch zu nahe, als daß ich nicht hätte nachforschen sollen, was aus seinem Sohne geworden ist. Selbstverständlich schwieg ich darüber gegen ihn und auch gegen Dich, aber sobald ich damals auf meinen Posten zurückgekehrt war, benutzte ich unsere diplomatischen Verbindungen, die ja überall hinreichen, um Nachrichten einzuziehen.“

„Nun, und was erfuhrst Du?“

„Im Grunde nur das, was sich voraussehen ließ. Zalika hatte sich mit ihrem Sohne zunächst nach ihrer Heimath gewendet. Du weißt ja, daß ihr Stiefvater, unser Vetter Wallmoden, bereits todt war, als sie nach der Scheidung zu ihrer damals noch lebenden Mutter zurückkehrte. Seitdem wurden die Beziehungen unsererseits abgebrochen, jetzt aber erfuhr ich, daß sie kurz vor ihrem Wiederauftauchen in Deutschland in Besitz der Rojanowschen Güter gelangt war.“

„Zalika? Hatte sie nicht einen Bruder?“

„Allerdings, und er war auch etwa zehn Jahre lang Herr der Güter, aber er starb unvermählt und plötzlich durch einen Unfall auf der Jagd, und da die zweite Ehe der Mutter kinderlos geblieben war, so trat Zalika allein die Erbschaft an – wenigstens dem Namen nach, denn bei dieser verlotterten Bojarenwirthschaft gehörte natürlich das Meiste den Wucherern. Gleichviel, sie fühlte sich als Herrin und plante nun jenen Gewaltstreich, mit dem sie ihren Sohn an sich riß. Einige Jahre wurde dann noch das alte, wilde Leben auf den Gütern fortgesetzt und unsinnig weiter gewirthschaftet, dann brach die Herrlichkeit zusammen. Es kam zum Bankerott und Mutter und Sohn gingen wie ein paar Zigeuner in die weite Welt hinaus!“

Wallmoden berichtete das alles mit derselben kalten Verachtung, die er vorhin Hartmut gegenüber gezeigt hatte, und auch in den Zügen seiner Schwester malte sich der Abscheu, den die pflichttreue,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_138.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)