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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

„Mein Gott, ich kann doch nicht auch Medizin studieren, wie mein Vater und Großvater!“ rief Marietta hell auflachend. Die Sache machte ihr unendlichen Spaß, die Bemerkung mißfiel jedoch ihrer strengen Richterin, die mit voller Schärfe erwiderte:

„Es giebt Gott sei Dank noch genug anständige und ehrenvolle Berufswege für ein junges Mädchen. Sie sind Sängerin?“

„Ja, gnädige Frau, am Hoftheater.“

„Ich weiß es! – Sind Sie geneigt, Ihre Entlassung zu nehmen?“

Die Frage wurde so plötzlich und in einem so herrischen Tone gestellt, daß Marietta unwillkürlich zurückwich. Sie war noch immer der Meinung, daß der Majoratsherr von Burgsdorf mit seiner hartnäckigen Schweigsamkeit und seinem stürmischen Davonlaufen nicht ganz zurechnungsfähig sei, und jetzt kam ihr der Gedanke, das könne ein Familienübel sein, das er von seiner Mutter ererbt habe; denn mit dieser war es offenbar auch nicht ganz richtig.

„Meine Entlassung?“ wiederholte sie. „Aber weshalb denn?“

„Aus Gründen der Moral! Ich bin bereit, Ihnen dazu die helfende Hand zu bieten. Wenden Sie sich ab von diesem Pfade des Leichtsinns, und ich mache mich anheischig, Ihnen eine Stelle als Gesellschafterin zu verschaffen.“

Die junge Sängerin begriff jetzt endlich, um was es sich handelte; halb gereizt und halb spöttisch warf sie das Köpfchen mit den krausen Locken zurück.

„Ich muß sehr danken. Ich liebe meinen Beruf und denke nicht daran, ihn gegen eine abhängige Stellung zu vertauschen; ich passe überhaupt nicht zu einer höheren Kammerjungfer.“

„Die Antwort habe ich erwartet,“ sagte Frau von Eschenhagen mit einem düsteren Kopfnicken; „aber ich hielt es für meine Pflicht, Ihnen noch einmal ins Gewissen zu reden. Sie sind noch sehr jung und daher nicht im vollen Maße verantwortlich; der schwerste Vorwurf fällt auf den Dokor Volkmar, der das Kind seines Sohnes einem solchen Leben überantwortete.“

„Gnädige Frau, ich muß bitten, meinen Großvater aus dem Spiel zu lassen,“ fuhr Marietta heftig auf. „Sie sind Tonis künftige Schwiegermutter, sonst hätte ich Ihrem Examen überhaupt nicht standgehalten. Eine Beleidigung meines Großvaters aber dulde ich nicht, von keinem Menschen auf der Welt!“

Die beiden bemerkten es in ihrer Erregung nicht, daß die nach dem Vorzimmer führende Thür leise geöffnet wurde und Willibald erschien. Er erschrak sichtlich, als er seine Mutter erblickte, und versenkte etwas, das er sorgfältig in Papier eingehüllt in der Hand trag, schleunigst in seine Rocktasche, aber er blieb auf der Schwelle stehen.

„Ich beabsichtige nicht, mit Ihnen zu streiten, mein Kind,“ sagte Frau Regine in sehr hohem Tone; „aber ich bin allerdings Tonis künftige Schwiegermutter und habe als solche das Recht, sie vor einem Umgang zu bewahren, der mir nicht passend erscheint. Bitte, mißverstehen Sie mich nicht! Ich bin nicht hochmüthig, und die Enkelin des Doktors Volkmar wäre in meinen Augen durchaus berechtigt zur Fortsetzung dieser Jugendfreundschaft; aber eine Dame vom Theater hat ihren Verkehr wohl ausschließlich in Theaterkreisen zu suchen, und hier in Fürstenstein – ich hoffe, Sie verstehen mich.“

„O ja, ich verstehe Sie, gnädige Frau!“ rief Marietta, deren Antlitz sich plötzlich in flammende Gluth tauchte. „Sie brauchen nichts weiter zu sagen, ich bitte nur noch um ein Wort. Ist Herr von Schönau, ist Antonie einverstanden mit dem, was Sie mir da mittheilen?“

„In der Sache selbst allerdings, aber man wollte Sie begreiflicherweise nicht durch eine Abweisung –“ ein sehr bezeichnendes Achselzucken vervollständigte den Satz. Die sonst so gerechte und wahrheitsliebende Frau fühlte es nicht einmal, daß sie sich einfach einer Unwahrheit schuldig machte; sie hatte sich so verrannt in ihre Auffassung, daß sie fest überzeugt war, der Oberforstmeister halte nur aus Widerspruchsgeist und Antonie nur aus Gutmüthigkeit an einem Verkehr fest, der ihnen selbst peinlich sei, und war fest entschlossen, der Sache ein Ende zu machen. Da geschah etwas ganz Unerwartetes; Willibald, der noch immer auf der Schwelle stand, trat in das Zimmer und sagte, halb bittend und halb vorwurfsvoll:

„Aber Mama!“

„Du bist es, Willy? Was thust Du hier?“ fragte Frau von Eschenhagen, die ihn erst jetzt bemerkte und der die Unterbrechung sehr unwillkommen war.

Willibald sah und hörte es recht gut, daß die Frau Mutter höchst ungnädig war, und pflegte sonst stets den Rückzug zu nehmen, wenn er sie in dieser Stimmung wußte. Heute aber hielt er mit ungewohnter Tapferkeit stand. Er trat noch näher und wiederholte:

„Aber Mama, ich bitte Dich, Toni hat ja nie daran gedacht, Fräulein Volkmar –“

„Was unterstehst Du Dich? Willst Du mich vielleicht Lügen strafen?“ fuhr ihn die gereizte Mutter an. „Was geht es Dich an, was ich mit Fräulein Volkmar verhandle. Deine Braut ist nicht hier, das stehst Du doch, also mach’, daß Du fortkommst!“

Der junge Majoratsherr wurde dunkelroth bei diesem Tone, an den er allerdings gewöhnt war; aber er schien sich vor dem jungen Mädchen doch einigermaßen dieser Behandlung zu schämen und sah aus, als wolle er einen Widerspruch versuchen. Sein Gesicht nahm einen trotzigen Ausdruck an, auf ein drohendes „Nun, hast Du nicht gehört?“ aus dem Munde seiner Mutter aber siegte die alte Gewohnheit. Er wandte sich zögernd zum Gehen und ging auch wirklich, aber die Thür blieb zur Hälfte offen.

Marietta blickte ihm mit verächtlich gekräuselten Lippen nach und wandte sich dann zu ihrer Gegnerin.

„Sie können unbesorgt sein, gnädige Frau, ich bin das letzte Mal in Fürstenstein gewesen. Als der Herr Oberforstmeister mich mit der alten Güte und Antonie mit der alten Herzlichkeit empfingen, da konnte ich nicht ahnen, daß mir jetzt in ihren Augen ein Makel aufgedrückt ist, sonst wäre ich ihnen sicher nicht lästig gefallen mit meinen Besuchen. Es wird in Zukunft nicht geschehen – nie mehr!“

Die Stimme versagte ihr, sie drängte gewaltsam die Thränen zurück, aber um den kleinen Mund zuckte es so bitter und schmerzlich, daß Frau von Eschenhagen doch fühlte, sie sei in der Rücksichtslosigkeit zu weit gegangen.

„Ich wollte Sie nicht kränken, mein Kind,“ sagte sie einlenkend. „Ich beabsichtigte nur, Ihnen klar zu machen –“

„Nicht kränken wollen Sie mich und sagen mir solche Dinge?“ unterbrach das junge Mädchen sie in aufflammendem Zorn. „Sie behandeln mich ja wie eine Ausgestoßene, die es nicht mehr wagen darf, anständigen Kreisen zu nahen, weil ich mit einem Talent, das mir Gott gegeben hat, mein Brot erwerbe und den Menschen Freude mache. Sie schmähen meinen alten lieben Großvater, der so mühselig die Opfer für meine Ausbildung gebracht hat, der mich mit so schwerem Herzen in die Welt hinausziehen ließ. Die bitteren Thränen haben ihm in den Augen gestanden, als er mich beim Abschied noch einmal in seine Arme zog und sagte: ‚Bleib’ brav, meine Marietta, man kann es in jedem Stande sein. Ich kann Dir nichts zurücklassen, wenn ich heut oder morgen die Augen schließe, Du mußt für Dich selbst sorgen!‘ Nun, ich bin brav geblieben und werde es bleiben, wenn es mir auch nicht so leicht gemacht wird wie der Toni, die das Kind eines reichen Vaters ist und ihr Elternhaus nur verläßt, um in das Haus ihres Mannes zu gehen. Aber ich beneide sie nicht um das Glück, Sie Mutter zu nennen!“

„Fräulein Volkmar, Sie vergessen sich!“ rief Regine beleidigt, indem sie sich zu ihrer ganzen stattlichen Höhe aufrichtete. Aber Marietta ließ sich nicht einschüchtern, sie wurde nur noch heftiger.

„O nein, ich bin es nicht, die sich vergißt, Sie waren es, die mich ohne allen Grund beleidigte, und ich weiß auch, daß der Oberforstmeister und Antonie unter Ihrem Einfluß stehen, wenn sie sich von mir abwenden. Gleichviel, ich will keine Güte und keine Freundschaft, die so wenig fest steht, und mit einer Freundin, die mich aufgiebt nur auf Befehl ihrer Schwiegermutter, bin ich ein für allemal fertig – sagen Sie ihr das, Frau von Eschenhagen!“

Sie wandte sich mit einer stürmischen Bewegung ab und verließ das Gemach. Draußen im Vorzimmer aber wollte die mühsam behauptete Fassung nicht mehr standhalten, der Schmerz überwog den Zorn und die bisher so tapfer bekämpften Thränen brachen heiß hervor. Mit einem leidenschaftlichen Schluchzen lehnte das junge Mädchen den Kopf an die Wand und weinte bitter und schmerzlich über die erlittene Kränkung.

Da hörte sie leise und schüchtern ihren Namen nennen und aufblickend gewahrte sie Willibald von Eschenhagen, der vor ihr stand und ihr das Papier entgegenhielt, das er vorhin so eilig verborgen hatte. Es war jetzt auseinandergeschlagen und darin

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_167.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)