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verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Prinzessin Sophie wußte sehr genau, daß dem Gesandten mit seinem altpreußischen Adel diese Erörterungen über die Herkunft seines Schwiegervaters nicht angenehm waren, und es gereichte ihr zur Genugthuung, daß der sie umgebende Kreis kein Wort von der Unterhaltung verlor, die ja nur darauf berechnet war, die bürgerlich Geborene zu demüthigen. Aber sie irrte sich, wenn sie bei dieser auf irgend eine Verlegenheit oder ein Ausweichen rechnete. Die junge Frau richtete sich mit ihrem ganzen Stolze empor.

„Hoheit sind ganz recht berichtet. Mein Vater kam als armer Knabe, ohne alle Hilfsmittel nach der Hauptstadt. Er hat sich schwer emporringen müssen und jahrelang als einfacher Handwerker gearbeitet, ehe er den Grund zu seinen späteren Unternehmungen legte.“

„Wie stolz Frau von Wallmoden das sagt!“ rief die Prinzessin lächelnd. „O, ich liebe diese kindliche Anhänglichkeit über alles! Also Herr Stahlberg – oder wohl von Stahlberg? Die großen Industriellen führen ja oft den Adelstitel!“

„Mein Vater führte ihn nicht, Hoheit,“ erklärte Adelheid, dem Blick der fürstlichen Dame fest und ruhig begegnend. „Der Adel wurde ihm allerdings angeboten, er hat ihn aber abgelehnt.“

Der Gesandte preßte die schmalen Lippen zusammen, er konnte doch nicht umhin, diese Aeußerung seiner Gemahlin sehr undiplomatisch zu finden. In der That nahmen die Züge der Prinzessin einen gereizten Ausdruck an, und sie entgegnete mit beißendem Spotte: „Nun, dann ist es wenigstens ein Glück, daß diese Abneigung sich nicht auf seine Tochter vererbt hat, Seine Excellenz wird das zu schätzen wissen! – Ich bitte um Ihren Arm, Egon, ich möchte meinen Bruder aufsuchen.“

Sie neigte das Haupt gegen ihre Umgebung und rauschte davon am Arm des jungen Fürsten, in dessen Mienen deutlich die Ueberzeugung zu lesen war:

„Jetzt komme ich an die Reihe!“

Er hatte sich nicht getäuscht, Ihre Hoheit dachte nicht daran, den Herzog aufzusuchen, sondern ließ sich in einem der nächsten Zimmer mit dem jungen Verwandten nieder, den sie unter vier Augen zu haben wünschte. Zunächst freilich ergoß sich ihr Zorn über diese unerträglich hochmüthige Frau von Wallmoden, die mit dem Bürgerstolze ihres Vaters prahlte, während sie aus Eitelkeit einen Baron heirathete, denn Neigung konnte sie doch unmöglich für einen Mann fühlen, der dem Alter nach ihr Vater hätte sein können. Egon schwieg dazu, denn er hatte sich selbst schon die Frage vorgelegt, wie diese ungleiche Ehe eigentlich zustande gekommen sei, ohne eine Antwort darauf zu finden; sein Schweigen wurde ihm aber sehr verübelt.

„Nun, Egon, Sie sagen gar nichts? Freilich, Sie scheinen sich ja dieser Dame zum Ritter geschworen zu haben, Sie waren unaufhörlich an ihrer Seite!“

„Ich huldige der Schönheit, wo sie mir entgegentritt, das wissen Sie ja, gnädigste Tante,“ vertheidigte sich der junge Fürst, rief aber damit nur einen neuen Sturm wach.

„Ja, das weiß ich – leider! Sie sind in dieser Beziehung von einem unglaublichen Leichtsinn. Sie erinnern sich wohl gar nicht mehr meiner Mahnungen und Warnungen vor Ihrer Abreise?“

„O, nur zu sehr!“ seufzte Egon, dem es jetzt noch ganz schwül wurde bei der Erinnerung an die endlose Predigt, die er damals hatte hinnehmen müssen.

„Wirklich? Sie sind deshalb aber nicht vernünftiger und gesetzter zurückgekommen. Ich habe Dinge gehört – Egon, für die giebt es nur noch eine Rettung – Sie müssen heirathen!“

„Um Gotteswillen! Nur das nicht!“ fuhr der junge Fürst so entsetzt auf, daß Prinzessin Sophie entrüstet ihren Fächer auseinanderschlug.

„Was meinen Sie damit?“ fragte sie in ihrem schärfsten Tone.

„O, nur meine eigene Unwürdigkeit, in diesen heiligen Stand zu treten. Sie selbst, Hoheit, haben mich unendlich oft versichert, ich sei eigens geschaffen, eine Frau unglücklich zu machen.“

„Wenn es dieser Frau nicht gelingt, Sie zu bessern, allerdings! Aber ich gebe diese Hoffnung noch immer nicht auf. Hier ist freilich nicht der Ort, über solche Dinge zu reden, aber die Herzogin plant einen Besuch in Rodeck, und ich beabsichtige, mich ihr anzuschließen.“

„Welch ein reizender Gedanke!“ rief Egon, den der angekündigte Besuch fast ebenso sehr in Schrecken jagte wie der Heirathsplan. „Ich bin ganz stolz darauf, daß Rodeck, sonst ein kleines langweiliges Waldnest, gerade jetzt imstande ist, einige Merkwürdigkeiten zu bieten. Ich habe so vieles von der Reise mitgebracht, unter anderem auch einen Löwen, zwei junge Tiger, verschiedene Schlangen –“

„Doch nicht etwa lebendige?“ fiel die Dame erschrocken ein.

„Natürlich, Hoheit!“

„Aber mein Gott, dann ist man bei Ihnen ja seines Lebens nicht sicher!“

„O, die Sache ist nicht so gefährlich. Allerdings sind uns schon einige der Bestien ausgebrochen – die Leute sind so nachlässig bei der Fütterung – aber sie wurden stets wieder eingefangen und haben bis jetzt noch keinen Schaden angerichtet.“

„Bis jetzt! Das sind ja liebliche Zustände!“ sagte die Prinzessin ärgerlich. „Sie setzen ja die ganze Umgegend in Gefahr damit, der Herzog sollte Ihnen diese gefährliche Spielerei verbieten.“

„Das will ich nicht hoffen, denn ich beschäftige mich gerade jetzt ernstlich mit Zähmungsversuchen. Uebrigens kann ich auch manches Einheimische bieten, das des Anschauens werth ist, unter meiner Dienerschaft befinden sich einige Mädchen aus hiesiger Gegend, die in ihrer Landestracht ganz allerliebst aussehen.“

Egon dachte mit geheimem Schauder an seine „Weiblichkeit mit den wackelnden Köpfen“, deren er sich durch die Fürsorge Stadingers noch immer erfreute, aber er hatte ganz richtig gerechnet: seine allergnädigste Tante war empört und maß ihn mit einem vernichtenden Blick.

„So? Dergleichen haben Sie also auch in Rodeck?“

„Gewiß, da ist besonders die Zenz, die Enkelin meines Schloßverwalters, ein reizendes kleines Ding, und wenn Sie mir die Ehre Ihres Besuches schenken, gnädigste Tante –“

„Das werde ich jetzt wohl unterlassen!“ fiel die erzürnte Dame ein, indem sie heftig ihren Fächer gebrauchte. „Das muß ja eine seltsame Wirthschaft sein, die Sie da in Rodeck führen, mit dem jungen Ausländer, den Sie sich wohl auch als eine Merkwürdigkeit von der Reise mitgebracht haben. Er hat ein vollständiges Brigantengesicht.“

„Mein Freund Rojanow! Er geizt schon längst nach der Ehre, Ihnen vorgestellt zu werden, Hoheit, Sie erlauben mir das, nicht wahr?“ Und ohne eine Antwort abzuwarten, eilte er davon und bemächtigte sich Hartmuts.

„Jetzt kommst Du an die Reihe!“ raunte er ihm zu, während er ihn rücksichtslos mit sich schleppte. „Ich bin lange genug das Opferlamm gewesen und meine allergnädigste Tante muß nun einmal jemand haben, den sie langsam auf dem Roste braten kann. Mich will sie nebenbei auch noch verheirathen und Du hast in ihren Augen ein Brigantengesicht, aber nach Rodeck kommt sie Gott sei Dank nicht, dafür habe ich gesorgt.“

In der nächsten Minute stand er mit seinem Freunde vor Ihrer Hoheit und stellte ihn mit dem liebenswürdigsten Lächeln vor.

Herr von Wallmoden hatte nach der Entfernung der Prinzessin noch einige Minuten in jenem Kreise verweilt, dann schritt er, seine Gemahlin am Arme, langsam durch die Säle, hier einen Bekannten grüßend, dort ein flüchtiges Gespräch anknüpfend, bis sie in den letzten der Festräume gelangten, der verhältnißmäßig leer war. Das Thurmzimmer, das sich unmittelbar daran schloß, wurde für gewöhnlich nur als Aussichtspunkt benutzt, für den heutigen Abend aber hatte man es mit Vorhängen, Teppichen und einer malerisch geordneten Blumengruppe zu einem lauschigen kleinen Gemach umgeschaffen, das, nur matt erhellt, einen wohlthuenden Gegensatz zu der blendenden Helle und dem Gewühl der Säle bildete. Es befand sich augenblicklich niemand dort, und darauf schien der Gesandte gerechnet zu haben, als er mit seiner Frau eintrat und sie auf dem Divan Platz nehmen ließ.

„Ich muß Dich doch darauf aufmerksam machen, Adelheid, daß Du Dir vorhin eine Unklugheit zu Schulden kommen ließest,“ begann er in gedämpftem Tone. „Deine Aeußerung der Prinzessin gegenüber –“

„War Nothwehr!“ unterbrach ihn die junge Frau. „Du fühltest doch wohl so gut wie ich, was der eigentliche Zweck dieses Gespräches war.“

„Gleichviel, Du hast Dir gleich bei Deinem ersten Auftreten eine Gegnerin geschaffen, deren Ungnade Dir und mir die Stellung empfindlich erschweren kann.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1890, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_172.jpg&oldid=- (Version vom 3.5.2021)