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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

gestellt hatte, rief er Tobys Namen. Aber nur das Echo antwortete. So vergingen Minuten. Alles blieb still. Das über den Kamm hin ausgebreitete Licht erlosch und Lehnert fühlte, daß es keinen Sinn mehr habe, auf seiner Felsenhöhe zu verweilen. Und so wollt’ er denn rasch wieder hinab, um wenigstens vor Beginn völliger Dunkelheit noch bis Eagle’s Point zu kommen, wo, wenn das Rufen vergeblich blieb, Uncas ihm Beistand leisten und in dem Gestrüpp umhersuchen konnte. Fand er ihn nicht – und seine frühere Zuversicht hatte ihn zu nicht kleinem Theil verlassen – so wollt’ er nach dem Vorwerk zurück und am andern Morgen von dort aus das Suchen erneuern.

Er hatte sich die Stelle gemerkt, wo er aufgestiegen war, und an eben dieser Stelle wollt’ er auch – schon der ziemlich vielen Sträucher und Zwergbüsche halber – wieder zurück. Die waren ihm eine Hilfe, wenn er ins Gleiten und Glitschen kam. Zwei-, dreimal hatte er beim Ausrutschen zufassen und sich halten können; auch der Gewehrkolben kam ihm mehr als einmal zu paß, und bis zu der Stelle hin, wo Uncas die Jagdtasche bewachte, waren keine dreißig Fuß mehr. Auch die Steile war hier geringer, und so gab Lehnert denn die Vorsicht auf, die er bis dahin geübt hatte. Aber nicht zu seinem Heil. Denn mit einemmal kam er in ein halbes Stürzen, und weil zufällig kein Strauch mehr da war, dran er sich klammern konnte, schoß er wie von einer Rutschbahn mit aller Gewalt auf den Plateaurand nieder und mußte froh sein, unterwegs auf eine stumpfe Steinkante zu stoßen, die den Sturz einigermaßen aufhielt. In der That war die Erschütterung, als er auf dem Plateaurand ankam, nicht allzu groß, ebenso wenig empfand er einen Schmerz, und so stand er denn auf dem Punkt, zu dem Stein des Anstoßes, der den jähen Absturz gehemmt hatte, sich aufrichtig zu beglückwünschen, als er bei dem Versuche sich aufzurichten erkennen mußte, daß der Stein des Anstoßes wohl geholfen, aber doch noch mehr geschadet habe. Der Hüftknochen mußte ihm, als er mit der Hüfte gegen den Stein fuhr, aus dem Gelenk gesprungen sein. Er erhob sich mit äußerster Anstrengung, aber nur um im selben Augenblick wieder zusammenzubrechen. Jetzt kamen auch Schmerzen, begleitet von einer schweren Ohnmacht, und als er nach einiger Zeit – er wußte nicht, nach wie langer – wieder erwachte, standen schon die Sterne am Himmel.

Ueber sich die Sterne und unten die Lichter von Nogat-Ehre, sonst alles dunkel um ihn her. Dazu kam ein Frösteln. Er hing sich mühsam die neben ihm liegende Jagdtasche um und schob sich seitwärts bis an eine Stelle, wo ein Erlenbusch stand, verkrüppelt, mit halb am Boden ausgestrecktem Gezweig. Unter dies Gezweige kroch er. Es gab Schutz gegen den Nachtwind; Uncas legte sich neben ihn und als Mitternacht heran war, schlief Lehnert ein.

Er schlief mehrere Stunden und die Sonne stand schon über dem Horizont, als er aufwachte. Die Schmerzen hatten nachgelassen, aber das Bewußtsein seiner Lage packte ihn jetzt mit doppelter Gewalt. Gewiß, daß man im Laufe des Tages nach ihm suchen werde. Gewiß, gewiß! Und sie würden ihn auch finden. Aber wann? Bis dahin war es vielleicht um ihn geschehen. „Und wenn es so kommen soll, wenn kein Entrinnen, dann, Du Vater im Himmel, mach’ es rasch, laß es rasch vorüber sein!“

Das war das Morgengebet, mit dem er seinen Tag einleitete.

Die Sonne zog herauf, immer höher, und als es Mittag war, meldete sich Hunger und bald auch ein brennender Durst. Er durchsuchte die Jagdtasche nach etwas, das ihn erfrischen mochte, aber er fand nichts als etwas Brot, das ihm widerstand. Und so warf er’s dem Hunde hin. Der aber winselte nur und kroch wieder zu Lehnert heran und leckte ihm die Hand.

Lehnert freute sich dieses Liebeszeichens und streichelte das schöne Thier. Und mit eins schoß es ihm. durch den Kopf: „Uncas, Du kannst mich retten, Du bist klug. Und nun höre gut zu! Sieh, wenn Du jetzt nach Hause trabst, zu Ruth, zu Miß Ruth, hörst Du, dann kannst Du sie Hierher führen, und dann finden sie mich und dann retten sie mich. Und nun auf!“

Uncas hatte jedes Wort verstanden, aber er schüttelte nur den Behang und streckte sich still wieder nieder und sah Lehnert an. Und dieser las aus dem treuen Auge mit Schrecken heraus: ich bleibe.

„Geh, Uncas! Lauf! Fort!“

Und als alles nichts half, nahm er das Gewehr und stieß nach ihm. Und bald danach erhob sich Uncas auch wirklich und trabte langsam und ohne sich umzusehen den unteren und verhältnismäßig wenig steilen Theil der Felspartie hinab. Lehnert sah ihm nach und ein Hoffnungsschimmer umleuchtete seine Stirn. Aber keine Viertelstunde, so war der Hund wieder da. Er war nur bis an den Quell gegangen und hatte getrunken, und kaum wieder frisch, war er auch frisch wieder in seiner Pflicht und seinem Vorhaben. Und kurzum, da war er wieder.

„Es soll sein,“ sagte Lehnert, über den plötzlich eine volle Ergebung in sein Schicksal kam. „Es ist Gottes, Wille . . . Komm, Uncas . . . Es ist mir eine schöne Lehre: Treue . . . thun, was recht ist . . . aushalten.“

Und er verfiel alsbald in ein fieberhaftes Träumen und wurde erst wieder wach, als ein Läuten aus dem Thale herauf drang. Es war die Glocke, die sonst zum Gottesdienst läutete. „Sie wollen mir ein Zeichen geben. Und ich will ihnen antworten, so gut ich kann.“

Und dabei nahm er das neben ihm liegende Gewehr und schoß, und der Rauch zog am Gebirge hin und das Echo trug den Schall immer weiter und weiter und vielleicht bis hinunter zu Thal. Er horchte nach, bis es verklang. Und nun schwieg es und im selben Augenblick war es ihm, als höre er von weit her einen Ruf: „Hilfe.“

Wessen Stimme war das?

Er richtete sich auf und horchte noch einmal hinüber und einen Augenblick überkam ihn der Gedanke, daß es Toby sein könnte.

„Nein, es war ein anderer, der rief . . . Gut . - Ich bin fertig . . . Ich komme.“

Und nun fiel er mit dem Kopf auf das Lager zurück, das er sich gemacht hatte.


26.

Zwischen den Feldern hin huschte ’was. Was es war, war nicht deutlich erkennbar, das Korn stand zu hoch, und die Dämmerung war noch zu dicht. Aber jetzt kam ein gemähter Wiesengrund, der ganz zuletzt zwischen den Maisfeldern und dem Dorfe lag, und nun ließ sich’s erkennen, daß es Uncas war, der in Sprüngen auf Nogat-Ehre zujagte. Nur noch das Stück Parkland und die Brücke war zu durchlaufen. Und nun war er heran und gab einen lauten Blaff, zwei-, dreimal, und sprang dann an dem Erdgeschoß in die Höh’ und kratzte an den Läden, die das Fenster von Obadjas Zimmer schlossen.

Obadja stand auf und warf einen Pelzrock über, den zu tragen er sich in den langen Wintertagen von Dakota gewöhnt hatte. Dann ging er hinaus auf den Flur, den Hund einzulassen. Wer Uncas sprang ihm schon entgegen, weil L’Hermite – der sich für alle Fälle halb angekleidet aufs Bett geworfen hatte – schneller als Obadja zur Hand gewesen war. Gleich danach kamen auch Ruth und Maruschka die Treppe herab, und mit ihnen Toby; Toby, der noch am selben Abend, wo Lehnert auf die Suche nach ihm ausgezogen, wohl und munter und völlig unverletzt heimgekommen war. Und ein wunderlicher Anblick war es, den die Halle jetzt bot. Front- und Hofthür standen offen und von beiden Seiten her fiel ein fahles Dämmerlicht herein, während das Licht in der herahhängenden Flurlampe zu verschweelen begann. Uncas lief hin und her und sprang empor und beschäftigte sich vor allem mit Ruth, an deren Kleid er zerrte, wie um zu zeigen, daß sie folgen solle.

Jeder wußte, was geschehen, und war erschüttert. Am meisten Toby, der, wenn auch schuldlos, die Veranlassung von all dem war, was jetzt auf jedem lastete.

Obadja faßte sich zuerst und gab, als er sah, daß Uncas, wie um die einzuschlagende Richtung anzugeben, immer wieder auf die Steindrucke zulief, kurze Weisungen für das, was zunächst zu thun sei.

Toby solle mit Shortarm und einem andern Indianer, Yellow Cat, von dem bekannt war, daß er wie eine Katze klettere, zunächst nach dem Vorwerk ausbrechen und dort die weitere Führung an Kaulbars abtreten. Er, Obadja, so sehr er es wünsche, könne sich dem Zuge nicht anschließen, das würde nur Hindernisse schaffen. Und keine fünf Minuten mehr, so brach denn auch Toby mit den zwei Gefährten auf, während Uncas abwechselnd vorantrabte und dann wieder an Tobys Seite war. Man sah dem Hunde an, wie er seine Freude bezeigte, daß man ihn endlich verstanden.

Es war vier Uhr und die Sonne stieg eben herauf, als Toby auf dem Vorwerk eintraf. Das Ehepaar Kaulbars war schon auf und nahm eben seinen Morgenkaffee.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_183.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)