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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Die Kapelle an der Gotthard-Straße. (Zu dem untenstehenden Bilde.) Bevor die Masse des St. Gotthardgebirgs durch die Gewalt neuzeitlicher Technik durchbohrt wurde, um den Süden mit dem Norden durch den Schienenstrang zu verbinden, war der Uebergang über den Berg oft mit den größten Mühseligkeiten, ja mit Lebensgefahr verknüpft. Der Winter mit seinen Schneemassen und Stürmen forderte jedes Jahr seine Opfer, die Lawinen begruben oft ganze Karawanen von Menschen und Thieren in Schnee und Schutt. Es gab eine Zeit, da allein der alte rohe Saumweg hinüberführte, Schutzhäuser und Galerien noch nicht vorhanden, die Wanderer auf sich selbst und ihr Glück angewiesen und dem Unwetter auf diesen unwirthlichen Höhen hilflos preisgegeben waren. Erst später, im Jahre 1431, wurde zum Schutze der auf das Concil nach Basel ziehenden Bischöfe und Prälaten auf der Paßhöhe eine Herberge errichtet. Im Jahre 1799 aber, als Suworow seinen berühmten Uebergang über den Gotthard gegen die Franzosen erkämpfte, da wurde das alte Hospiz zerstört und das Holz zur Feuerung verwendet.

Zu Anfang dieses Jahrhunderts wurde die neue Kunststraße von den schweizerischen Kantonen Uri und Tessin hergestellt; wohl blieb auch jetzt noch im Winter und Frühling die Reise nicht ungefährlich, aber der Verkehr steigerte sich doch ganz gewaltig, so daß die Gotthardstraße der begangenste aller Alpenübergänge wurde. Die Postwagen und andere Fuhrwerke beförderten eine Menge Reisende und Waren, zahlreiche Fußwanderer zogen herüber und hinüber, viele Hunderte von unbemittelten Reisenden wurden in dem Hospiz auf der Paßhöhe kostenfrei verpflegt und mit Kleidungsstücken versehen. Die größte Anhäufung im Fremdenspital fiel unstreitig in die Zeit des Tunnelbaues 1872 bis 1880; jährlich wurden 16- bis 18 000 arme Durchreisende genährt und gepflegt und zwar meistens aus dem Ertrag von milden Beisteuern. Trotzdem konnten selbstverständlich Todesfälle durch Erfrieren, Ermattung etc. nicht verhindert werden. Die aufgefundenen Todten wurden bis zur Feststellung der Persönlichkeit und bis zur Beerdigung, die sich oft lang verzögerte, in der kleinen Kapelle niedergelegt, welche unsere Abbildung zeigt. Die dünne kalte Luft in dieser Höhe (2100 m) leistet der Verwesung Widerstand. Nicht weit vom Hospiz, auf einem großen Granitfelsen, steht noch diese Todtenkapelle; wohl wird sie heute nicht mehr benutzt, aber sie bleibt doch ein warnendes Zeichen für den Wanderer, sich selbst nicht zu viel zuzutrauen.

Die Kapelle an der Gotthardstraße.
Nach einer Skizze von C. Käsli-Schultheiß gezeichnet von R. Püttner.


Vertilgung der Kreuzotter. Vor einigen Jahren haben wir wiederholt in der „Gartenlaube“ darauf hingewiesen, daß in Deutschland so wenig geschehe, um die einzige Giftschlange unserer Heimath, die Kreuzotter, auszurotten. Wie dies anderwärts geschehen, haben auch wir den Vorschlag gemacht, die Behörden möchten Preise für getödtete Kreuzottern aussetzen. Der Vorschlag ist nicht unberücksichtigt geblieben, und unseres Wissens sind namentlich in Sachsen einige Gemeindebehörden mit gutem Beispiel vorangegangen und haben Preise von je 50 Pfennig bis 1 Mark für abgelieferte todte Kreuzottern ausgesetzt. Aus den in Tageszeitungen zerstreuten Berichten konnte man erfahren, daß infolge dessen Hunderte von Kreuzottern vernichtet wurden. Dieses gute Beipsiel möchten wir auch anderen Gemeinden, in deren Bezirk die Giftschlange heimisch ist, zur Nachahmung empfehlen; denn die Unfälle, welche durch den Biß der Kreuzotter verursacht werden, sind zahlreicher, als man im allgemeinen anzunehmen pflegt. *     


Karl von Holtei. Der beliebte schlesische Volksdichter und Vorleser, von welchem Feodor Wehl in ihm gewidmeten Erinnerungsblättern manche ergötzliche Anekdote erzählt, hatte die üble Angewohnheit des Fluchens und Schimpfens. Einmal kam er bei dem jungdeutschen Schriftsteller Theodor Mundt mit der Gräfin Hahn-Hahn zusammen. Frau Mundt beschwor ihn, wenigstens an diesem Abend nicht so mit Flüchen um sich zu werfen. Holtei saß den ganzen Abend stumm wie ein Fisch. Endlich redete ihn die Gräfin an, warum er so schweigsam sei. „Erlauben Sie, Frau Gräfin,“ sagte Holtei, erhob sich ernst und würdevoll, ging zur Thür, machte sie auf und rief hinaus: „Dreimalhunderttausend Schock Kreuzdonnerwetter“ – schloß die Thür wieder zu, setzte sich auf seinen Platz und fuhr dann in seinem gefälligsten Tone fort: „Ein Fluch ist die Thürklinke zu meiner Unterhaltung; das ist unser Herrenrecht zu Arras! Nun, Gnädigste, stehe ich zu Dienst!“ Die Gräfin Hahn-Hahn war ganz erschrocken und rückte verlegen von ihm fort. Aber Holtei, der sich Holteiisch Luft gemacht hatte, begann nun so komisch von seiner Angewohnheit des Schimpfens und von Mundts Angst, er möchte sich derselben in Gegenwart der Gräfin überlassen, zu erzählen, daß diese dadurch heiter gestimmt wurde und später zu Holteis wärmsten Verehrerinnen gehörte.

In Berlin hatte Wehl seinen Freund Holtei ins Königsstädtische Theater abgeholt.[WS 1] Dieser war auf dem Wege trübsinnig und verstimmt; ein armer Schauspieler war bei ihm gewesen und hatte ihm sein Elend geklagt, Holtei hatte ihm an Geld gegeben, was er nur entbehren konnte. Kaum waren die Freunde in den Sperrsitzraum des Theaters getreten, als Holtei rasch wieder hinaus in die Gänge stürzte. Wehl eilt ihm verwundert nach und findet ihn draußen, wie er einen jungen Menschen schüttelt, dem er mit Donnerstimme zuruft:

„Du verfluchter Halunke! Mir lockst Du mit Deiner Hungerleiderei das Geld aus der Tasche, und hier finde ich Dich Kuchen im Theater fressen. Gieb heraus, was Du noch hast, und dann scher’ Dich zum Teufel und seiner Großmutter, die Deine Verwandtschaft sind!“

Der Gepackte gab ihm zitternd die Hand voll Silbergeld hin und verschwand. Holtei gab das Geld an Bettler, die er auf der Straße fand. Ein anderes Mal fand Wehl bei einem Besuch Holtei in Thränen aufgelöst; vormittags sei ein Student bei ihm gewesen, der ihn um zehn Thaler gebeten habe. „Wenn Sie mir diese Kleinigkeit verweigern, erschieße ich mich,“ habe er gesagt, und zwar in einer so zudringlichen Weise, daß Holtei ihn für betrunken gehalten und ihm die Thür gewiesen habe. Wenige Minuten danach habe er sich auf der Treppe wirklich erschossen. Holtei war außer sich. „Nie in meinem Leben wieder versage ich armen Bittenden meine Hilfe,“ stöhnte er ein Mal über das andere. „Der Tod dieses Unglücklichen wird mir ewig auf der Seele brennen.“ †     

Die Deutschen in Korea. In ganz Ostasien, China, Japan, Siam finden sich europäische Beamte und Offiziere, welche im Militär-, Verwaltungs- und Justizwesen Reformen nach europäischem Muster anzubahnen suchen. Darunter giebt es seit 1870 auch viele Deutsche, welche besonders in Japan vor den andern Nationen bevorzugt werden. In Korea, jener Halbinsel zwischen China und den japanischen Inseln, hatte ein Deutscher, Herr von Möllendorf, in den Jahren 1883 bis 1885 eine bedeutende Rolle gespielt; er war Vicepräsident des Auswärtigen Amtes, Generaldirektor der Zölle, Münzdirektor, hatte großen Einfluß beim Könige und ging fast immer in koreanischer Tracht; er hat dort das Arsenal, eine englische Schule, ein Hospital, eine Münzstätte, die Zollhäuser in den drei Häfen und eine Seidenraupenzucht begründet. Doch vermochte er sich gegenüber den Intriguen der Engländer und Amerikaner nicht zu halten; einer der letzteren wurde sein Nachfolger als Rathgeber des Königs, führte aber keine der Möllendorfschen Reformen zur Vollendung. Nach den Berichten von Friedrich Kraus, der früher Münzdirekor in der Landeshauptstadt Söul war, ist Korea keineswegs als ein Dorado den Deutschen zu empfehlen, am wenigsten als ein geeignetes Kolonialland.

In seinen Handelsverträgen sind ausdrücklich nur drei Häfen und zwei Städte bezeichnet, wo Deutsche sich niederlassen dürfen, es kann also gar nicht davon die Rede sein, daß hier deutsche Kolonien im größeren Maßstabe angelegt werden könnten. Dagegen haben mehrere deutsche Fachmänner die Bergwerke in den acht Provinzen zum Theil im Auftrage des Auswärtigen Amtes bereist, und wenn es einer deutschen Gesellschaft gelänge, die Ausbeutung der Bergwerke durch Vertrag mit der Regierung an sich zu bringen, so stände ein sicherer Gewinn in Aussicht. Das Leben in Korea ist ganz angenehm, wenn auch Theater, Konzerte, Wettrennen fehlen; die Deutschen leben mit den andern Europäern in geselligem Verkehr, ebenso mit den Amerikanern, Chinesen und Japanern.


Kleiner Briefkasten.

J. F., Mitglied des Deutschen Sprachvereins in P. Besten Dank für Ihre freundlichen Zeilen! Auch wir haben uns darüber gewundert, daß der Aufsatz von Ernst Eckstein „Ueber den Urgrund der Fehde wider die Fremdwörter“ in Halbheft 2 dieses Jahrgangs mehrfach dahin mißverstanden wurde, als ob Eckstein den „Allgemeinen Deutschen Sprachverein“ angegriffen hätte. Eckstein hat lediglich die Erscheinung der Fremdwörterfehde einmal von einer andern und, wie auch Sie zu unserer Freude bezeugen, sehr beachtenswerthen Seite betrachtet. Der „Gartenlaube“ selbst könnte ja nichts ferner liegen, als sich zum Sprachrohr eines Angriffs auf den „Allgemeinen Deutschen Sprachverein“ zu machen. Ist es doch ein Theil ihres Wesens jederzeit gewesen, alle Regungen eines kräftigen Volksbewußtseins – und das ist der Sprachreinigungstrieb mit in erster Linie – aus vollem Herzen zu unterstützen, und hat sie es sich doch seit einer Reihe von Jahren zur Pflicht gemacht, entbehrliche Fremdwörter in stetigem Fortschritt aus ihren Spalten zu beseitigen. Freilich, auf einen Schlag eine überstürzte Austreibung aller Fremdwörter vorzunehmen, dazu kann sich die „Gartenlaube“ vernünftigerweise nicht entschließen, da dies der guten Sache mehr schaden als nützen dürfte; aber auch mit solchem maßvollen Vorgehen bewegt sie sich ganz auf den Bahnen des „Allgemeinen Deutschen Sprachvereins“, unter dessen Verdiensten die Zügelung der Uebereifrigen nicht das geringste ist.

Paula E. in Paris u. R. K. in Chemnitz. Wir bitten um Angabe Ihrer näheren Adresse, damit wir Ihnen brieflich antworten können.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: ahgeholt.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 195. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_195.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)