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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

schon auf unserer Heimfahrt vom Rennen. Bist Du denn so sicher, daß Du es erfunden haben würdest?“

„Bei Leibe nicht!“ lachte der Dragoner. „Und wer mir künftig bezweifelt, daß Prinz Lamoral der geistreichste aller lebenden Kavaliere ist, den lasse ich ohne Gnade und Barmherzigkeit über die Klinge springen. Ist Dir das genug?“

„Ach, Du bist unausstehlich! – Weißt Du denn wirklich von nichts Gescheiterem zu sprechen?“

„O, ja! Zum Beispiel von etwas ganz Außerordentlichem, Phänomenalem, das ich gestern abend im Wintergarten gesehen habe. Miß Viktoria, die Königin der Luft – lch sage Dir, Cilly, eine Perle von einem Wei – von einer Künstlerin, meine ich! Riesen-Doppel-Saltomortale durch den halben Saal und dabei höchstens siebzehn Jahre alt – mit lang nachwehendem, rothblondem Haar – ein fliegender Engel, wie er im Buche steht!“

„Engelbert!“ mahnte Ihre Excellenz wieder, mit beiden Backen kauend; der General aber warf seiner Gemahlin einen Blick zu, den sie verstand. Mit einem Aufseufzen, das vielleicht der Leichtfertigkeit der Jugend, vielleicht aber auch dem noch immer ganz ansehnlichen Rest der Fasanenbrust auf ihrem Teller galt, legte sie Messer und Gabel nieder und rückte ihren Stuhl. Die Frühstückstafel war aufgehoben; man wünschte sich gesegnete Mahlzeit, und die drei Herren zündeten die ihnen von dem Diener gebotenen Cigarren an.

„Komm, Engelbert, ich will Dir mein neues Pelzjäckchen zeigen,“ sagte Cilly, sich in den Arm des Bruders hängend. „Du hast es im Grunde nicht um mich verdient: aber wir sind ja nun einmal das schwache Geschlecht und müssen uns Eure Rücksichtslosigkeiten geduldig gefallen lassen!“

Er gab ihr eine artige Antwort, und sie verließen das Zimmer, begleitet von der Generalin, die im Bewußtsein ihrer hundertundneunzig Pfund etwas schwerfällig einherschritt.

Lothar von Brenckendorf stand mit ernster Miene am Fenster. Der in seinem spätherbstlichen Gewande recht unfreundliche Garten schien noch immer seine besondere Aufmerksamkeit zu erregen. Ueber seine Zeitung hinweg betrachtete der General vom Sofa her den wortkargen jungen Mann. Es war nicht mehr jenes behagliche, fast geschmeichelte Lächeln auf seinem Gesicht, mit welchem er vorhin den sporenklirrend eintretenden Engelbert begrüßt hatte. Und die Verlegenheit der väterlichen Empfindungen erschien vielleicht nicht gar so unerklärlich angesichts des unter Brüdern immerhin merkwürdigen Gegensatzes in der äußeren Erscheinung der beiden. Lothar mochte um fünf Jahre älter sein als Engelbert, wenn schon man auf den ersten Blick den Altersunterschied wohl für bedeutender halten konnte. Er war von kaum mittelgroßer, etwas untersetzter Gestalt, von nachlässiger Haltung und langsamen, ziemlich eckigen Bewegungen. Sein dunkles Haar, das sich an den Schläfen bereits ein wenig zu lichten begann, war schlicht nach hinten gekämmt, und der kurze Vollbart zeigte sich nicht sonderlich kleidsam für das scharf gezeichnete, in den Backenknochen wesentlich zu breite Gesicht. Dies Gesicht hatte freilich ein ungleich klügeres Gepräge als dasjenige des Dragoner-Lieutenants; aber es fehlten ihm die liebenswürdige Frische, die unwiderstehlich gewinnende Heiterkeit, durch welche Engelbert jedermann für sich einnahm.

„Ich habe noch eine Neuigkeit für Dich, Lothar,“ sagte der General, indem er seine Zeitung mit etwas nervösen Bewegungen zusammenfaltete; jedenfalls hatte er bis dahin auf eine Anrede von seiten seines Sohnes gewartet.

Der andere wandte ihm sofort mit gebührender Artigkeit sein Antlitz zu.

„Eine Neuigkeit?“ fragte er ohne besondere Ueberraschung. „Ich stehe zu Diensten.“

„Bei der gestrigen Trauerfeier für den verstorbenen Generallieutenant von Schlotberg traf ich mit dem Herrn Minister des Innern zusammen, und Seine Excellenz hatte die große Liebenswürdigkeit, sich sogleich Deiner zu erinnern. Dein Gesuch um Entlassung aus dem Verwaltungsdienst hatte ihm bereits vorgelegen, und er konnte nicht umhin, neben seinem freundlichen Bedauern auch seinem Befremden lebhaften Ausdruck zu geben. Er meinte, Du seiest doch wahrlich nicht berechtigt, Dich über Zurücksetzung zu beklagen.“

„Ich erinnere mich nicht, das jemals gethan zu haben, und auch aus der Begründung meines Gesuches dürfte eine solche Klage schwerlich herauszulesen sein.“

„So sind die von Dir angeführten Gründe dem Herrn Minister jedenfalls so wenig einleuchtend erschienen, daß er in ihnen nur leere Vorwände einer gekränkten Eitelkeit erblickte.“

„Ich konnte mich da freilich aus naheliegenden Ursachen nicht ganz unumwunden aussprechen; aber das Ganze ist doch schließlich nur eine Form. Die bloße Kundgebung des Wunsches genügt ja stets, seine Erfüllung herbeizuführen.“

Er sprach sehr ruhig und freundlich, aber ersichtlich ohne besondere Wichtigkeit von der Sache. Der General räusperte sich und blies die Rauchwolken seiner Cigarre mit einer gewissen Heftigkeit in die Luft.

„Hum! – Wenn dies wirklich im allgemeinen üblich ist,“ sagte er nach einer Weile, „so ist das Zögern des Ministers um so ehrenvoller und schmeichelhafter für Dich. Und willst Du wissen, was er mir sagte?“

„Wenn Du es für mittheilenswerth hältst, lieber Vater – gewiß!“

„Er meinte, Deine zeitweilige Verwaltung des Landrathsamtes zu Harthausen habe die unbedingte Anerkennung der vorgesetzten Behörden gefunden und sei in einem besonderen Falle, bei Gelegenheit des großen Arbeiterausstandes, sogar der Gegenstand eines überaus lobenden Berichts des Oberpräsidenten an den Minister gewesen. Seine Excellenz rühmte Deine gründlichen volkswirthschaftlichen Kenntnisse und Deine wiederholt an den Tag gelegte Umsicht und Besonnenheit, die in solchem Maße bei einem jungen Regierungsassessor immerhin sehr selten anzutreffen seien. Und er fügte hinzu, daß Dir nach seinem Ermessen eine rasche und glänzende Laufbahn ziemlich sicher gewesen wäre.“

„Das ist allerdings mehr Freundlichkeit, als ich verdient zu haben glaube. Meine Aufgabe war eine im Grunde recht einfache, und seine Schuldigkeit hätte doch wohl auch jeder andere auf meinem Platze gethan.“

„Mag sein! – Die Größe Deines Verdienstes entzieht sich natürlich meiner Beurtheilung, und das Bedeutsame an der Sache ist ja auch nur, daß es Dein höchster Vorgesetzter war, aus dessen Munde jene Anerkennung kam. Ich hätte am Ende glauben können, daß es ihm in seiner bekannten persönlichen Liebenswürdigkeit nur darum zu thun sei, mir etwas Angenehmes zu sagen; aber er lieferte mir den Beweis für die Ernsthaftigkeit seiner Worte damit, daß er hinzufügte, es bedürfe nur einer einfachen schriftlichen oder mündlichen Mittheilung, um ihn Dein Entlassungsgesuch als überhaupt nicht vorhanden ansehen zu lassen. Nun, was sagst Du dazu, Lothar?“

„Ich sage, lieber Vater, daß der Minister in der That ein ausnehmend liebenswürdiger Herr sein muß.“

„Und das ist alles? – Wärest Du etwa verblendet genug, den deutlichen Wink zu mißachten, der Dir von so hoher Stelle gegeben wird?“

„Es würde wahrlich sehr wenig von der Umsicht und Besonnenheit, die mir Seine Excellenz nachgerühmt hat, beweisen, wenn irgend ein freundlicher Wink imstande wäre, einen nach reiflicher Ueberlegung und nicht ohne Kampf gefaßten Entschluß übern Haufen zu werfen. Ich bin dem Minister für seine gute Meinung gewiß von Herzen dankbar; aber ich sehe darin keinen Grund, meine Zukunftspläne zu ändern.“

Der General warf seine halb gerauchte Cigarre mit einer ärgerlichen Handbewegung in die Aschenschale.

„Das ist ein Eigensinn, wie man ihn in der That nur von Dir erwarten kann!“ sagte er in ausbrechendem Unmuth. „Läßt sich eine größere Narrheit denken, als die, eine ehrenvolle und aussichtsreiche Laufbahn mit der denkbar ödesten und langweiligsten zu vertauschen? – Und das ohne jeden halbwegs verständigen Grund!“

Lothar bewahrte sich unverändert seine freundliche Ruhe, die für den sichtlich erregten General allerdings etwas verletzend Ueberlegenes haben mochte.

„Unsere Ansichten über die Verständigkeit meiner Gründe gehen eben auseinander, lieber Vater! Du hältst für Eigensinn und Unvernunft, was mir als eine Forderung der Pflicht und als ein Gebot meiner Mannesehre erscheinen muß. Auch ich bin ja keineswegs blind für die lockenden Aussichten, die sich mir in dem Verwaltungsdienste aufthun können, und der Gedanke, vielleicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 231. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_231.jpg&oldid=- (Version vom 27.1.2024)