Seite:Die Gartenlaube (1890) 268.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

reden, in dieser Sache so wenig wie in allem andern! Im großen und ganzen ist er da unten, wo er das Landrathsamt verwaltete, ein wenig sonderbar geworden, der gute Lothar! Nun, Du wirst ihn ja heute noch wiedersehen; aber ich wette, daß Engelbert Dir hundertmal besser gefällt als er!“

„Ist es gestattet, darin zu blättern?“ warf Marie ein, auf ein Album mit Photographien deutend, das ihr als Ablenkungsmittel für diese unaufhörlichen Hinweise auf ihren Vetter Engelbert sehr willkommen schien. Und als Cilly bereitwillig bejahte, ließ sie ihre Blicke ziemlich gleichgültig über die Bildnisse der Damen und Herren hingleiten, die ihr sammt und sonders unbekannt waren. Nur das Kabinettbildniß eines in ganzer Figur dargestellten jungen Herrn, der das kleidsame Gewand eines italienischen Edelmannes aus dem sechzehnten Jahrhundert trug, fesselte um der Schönheit und Ritterlichkeit der ganzen Erscheinung willen ihre Aufmerksamkeit.

„Ein prächtiger Kopf!“ sagte sie; „das Urbild muß sich in der Maskerade sehr gut ausgenommen haben!“

Cilly schaute ihr über die Schulter und lachte fröhlich auf.

„Das will ich meinen. – Und Du erkennst ihn nicht? – Es ist Engelbert. – Nun, er wird sich sehr geschmeichelt fühlen durch Deine Anerkennung.“

Marie blätterte rasch weiter.

„Du wirst ihm meine Aeußerung doch nicht wiederholen? Ich bitte Dich inständig, liebe Cilly, das zu unterlassen.“

„Nun ja, wenn es Dich beruhigt – meinetwegen! Uebrigens hättest Du nicht zu fürchten brauchen, daß er Dir daraufhin gleich eine Liebeserklärung machen würde. Sein Herz ist zwar entzündlich wie Sprengpulver, aber, wenn ich nicht irre, lodert es augenblicklich für ein anderes Ideal! Miß Viktoria – die Königin der Luft – hat es ihm angethan mit ihrem lang nachwehenden rothblonden Haar und ihrem Riesendoppelsaltomortale durch den halben Saal. Wie ich ihn kenne, ist er während der nächsten vier Wochen für alle anderen Pfeile aus Amors Köcher vollständig unverwundbar.“

Mit großen, verwunderten Augen sah Marie ihre Verwandte an.

„Das ist natürlich nur ein Scherz? Wenn Dein Bruder wirklich solche Neigungen hätte, würde er Dich doch wohl kaum zu seiner Vertrauten machen.“

„Und warum nicht? Wir machen uns gegenseitig kein Geheimniß aus so harmlosen Dingen.“

„Harmlos? Wenn sein Herz für eine Luftspringerin in Flammen steht?“

„Aber, liebster Schatz, wozu wäre er denn ein Lieutenant? Steckte ich in seiner Haut, ich würde es genau so machen! Man sieht’s an meinem Bruder Lothar, was für langweilige Philister aus den tugendhaften Duckmäusern werden.“

Das war in einem Tone so felsenfester Ueberzeugung gesprochen, daß Marie unwillkürlich lächeln mußte.

„Eine recht hübsche Anschauungsweise für ein junges Mädchen,“ sagte sie scherzend, „und da es wahrscheinlich nicht Deine Absicht ist, einen von den langweiligen Philistern zu heirathen, so würdest Du es also ganz natürlich finden, daß Dein Gatte mit vierwöchentlichem Wechsel Tänzerinnen und Luftkünstlerinnen seine Huldigungen dargebracht hat, ehe es ihm einfiel, sich in den Hafen der Ehe zu retten?“

Cilly schaute ein wenig nachdenklich drein; aber der alte Uebermuth lachte ihr doch rasch genug wieder aus den dunkeln Augen.

„Ich würde mich einfach gar nicht um die Vergangenheit meines Mannes kümmern,“ entschied sie mit großer Bestimmtheit.

„Da sind Deine Ansprüche allerdings bescheidener als die meinigen! Ich würde von dem Manne, dem ich mein ganzes Dasein zu eigen geben soll, nicht um ein Titelchen weniger fordern, als er von mir verlangen zu dürfen glaubt.“

„Wie lange wirst Du dann nach dem Rechten suchen müssen, arme Marie!“ meinte Cilly mit einem drolligen Ausdruck des Mitleids. „Nur im Phantasieland leben solche Männer.“

„So harre ich eben geduldig auf einen Prinzen aus diesem schönen Lande. Aber vielleicht siehst Du trotz Deiner bewundernswürdigen Weltkenntniß die Untugenden des starken Geschlechts schwärzer, als sie wirklich sind. Nanntest Du denn vorhin nicht selbst Deinen Bruder Lothar als eine rühmliche Ausnahme?“

„Ja, der!“ lachte Cilly. „Aber er ist dafür auch einer von denen, die nie eine Frau bekommen. Oder hättest Du etwa Lust, Dich seiner zu erbarmen? Es wäre wahrhaftig ein menschenfreundliches Werk!“

Diesmal wurde Marie nicht roth wie vorhin, als sie so rasch über das Bildniß ihres Vetters Engelbert hinweggegangen war, sondern sie stimmte herzlich in die lustige Neckerei ihrer Base ein. Arm in Arm verließen sie nach einer Weile das Zimmerchen, und als ihr Blick zufällig auf den Flügel traf, fragte Cilly: „Wollen wir ein wenig musiziren?“

„Ich habe seit zwei Jahren keine Taste mehr berührt, und ich müßte fürchten, mich nicht gerade mit Ruhm zu bedecken.“

„O, wir sind ja ganz unter uns! – Komm, Du begleitest mich, und ich singe einige von meinen Liedern. Du hast nicht zu besorgen, daß Dir allzu Schwieriges zugemuthet werde; denn bei Wagner bin ich noch nicht angekommen.“

Sie blätterte in ihren Musikalien und legte ein Heft von Koschats Kärntnerliedern auf den Notenständer.

„Das getraue ich mich allerdings noch vom Blatt zu spielen,“ meinte Marie nach einem kleinen Versuch, und bald tönte Cillys helle, jugendliche Stimme frisch wie Lerchengezwitscher durch den Raum.

„Es geht ja prächtig,“ sagte sie, als das erste Lied zu Ende war. „Noch eines, Mariechen?“

„Gewiß! – Es ist ein wahres Vergnügen, Dir zuzuhören.“

Sie gab ein Vorspiel und Cilly setzte ein:

„Hab di amol blos g’segen,
A Blick und ’s war aus,
Und sider der Zeit her war
Ka Ruah mehr in Haus.“

Da fiel von der offenen Thür her der kräftige Bariton einer ungeschulten, aber wohlklingenden Männerstimme ein:

„Ins Feld bin i zogen,
’s hat müassen so sein,
Denn der Kopf war für’n Kaiser,
Doch das Herz, das war dein!“

Marie hatte ihr Spiel nicht wohl mitten in der Strophe unterbrechen können; als sie jetzt aber das Köpfchen von den Noten erhob, waren ihre Wangen mit einer allerliebsten Röthe überhaucht.

„Grüß Gott, mein liebes Bäschen! – ‚Denn der Kopf war für’n Kaiser, doch das Herz, das war Dein!‘ – Könnte ich mit einer zärtlicheren Versicherung unsere alte Freundschaft erneuern?“

In liebenswürdigster Unbefangenheit war Engelbert näher getreten und streckte ihr nun die Hand entgegen, von der er rasch den weißen Handschuh abgestreift hatte. Mit einem leisen Zögern legte Marie ihre Hand hinein, und der Dragonerlieutenant fühlte das zaghafte Zurückzucken der schlanken Finger, als er sie ritterlich an seine Lippen führte. Leuchtend hingen seine Augen an ihrem lieblichen Gesicht.

„Also eine Künstlerin sind Sie geworden, Bäschen!“ fuhr er fort, da sie ihm keine Antwort gab. „Sie müssen mich gelegentlich eine Probe Ihrer Meisterschaft sehen lassen; denn ich habe wahrhaftig eine heidenmäßige Ehrfurcht vor solchen Dingen. Was malen Sie denn eigentlich? Jedenfalls doch wohl Blumen und appetitreizende Stillleben mit todten Schnepfen und angebissenen Aepfeln!“

„Ich habe überhaupt keinen Anspruch darauf, für eine Malerin zu gelten,“ erwiderte sie, ihren Blick noch immer geflissentlich auf einen der an der Wand hängenden Kupferstiche richtend, „und Wolfgang hat sehr unrecht gethan, von meinen unbedeutenden Versuchen zu sprechen.“

Zum ersten Mal hatte sie eine heiß aufsteigende Empfindung der Scham bei dem Gedanken an ihre Arbeit ums tägliche Brot. Ja, sie hatte sich für einen Augenblick versucht gefühlt, trotzig zu verleugnen, was ihr sonst eine Quelle der Genugthuung und stolzen Selbstgefühls gewesen war. Engelbert aber, den der ernste, fast herbe Ton ihrer Antwort vielleicht fürchten ließ, eine Ungeschicklichkeit begangen zu haben, glitt leicht über den peinlichen Augenblick hinweg.

„Natürlich sind Sie keine zuständige Richterin über Ihre eigenen Leistungen,“ meinte er lächelnd. „Doch muß ich freilich auf jede Gefahr hin offen bekennen, daß meine ganze Bewunderung in diesem Augenblick einer Künstlerin gilt, die größer ist als Sie

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 268. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_268.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)