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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

drohte im Stile seiner Schauerstücke: „Ist Herr Thiers Chemiker, so wird er uns verstehen.“ Und noch rief er in seinem Blatte den eingedrungenen Versailler Truppen zu: „Ueberall Barrikaden! Nach unseren Festungsmauern unsere Häuser, nach unseren Häusern unsere Leiber! Jedes Haus wird eine Festung sein und jeder Mann ein Mann! Ihr seid in die Höhle eingedrungen, nehmt euch vor dem Löwen in Acht! Hört die Sturmglocke, den Generalmarsch, die Kanonen! Das ist sein Brüllen!“ Sprach’s und – verschwand. Man wußte lange Zeit nicht, wo er sich aufhielt, und noch heute wird darüber gestritten, in welcher Gestalt er über die Grenze kam. Bezeichnend für diesen dramaturgischen Schreckensmann aber ist vollends, daß er, obgleich später begnadigt und sogar von den Marseillern in die Kammer gewählt, noch zuletzt auf einem Dörfchen bei Paris sich versteckte, dort einen falschen Namen und, wie das Gerücht wissen will, auch gelegentlich falsche Bärte trug. Wie es scheint, hat man ihn wenigstens gut begraben; denn bis jetzt ist er nicht wieder in neuer Gestalt aufgetaucht.

Wer hätte jemals denken sollen, in der Gesellschaft solcher Mordgesellen eines Tages auch Paschal Grousset zu begegnen, dem hübschen, harmlosen jungen Mann, der, nachdem er die Medizin an den Nagel gehängt hatte, in dem Journalistencafé „Madrid“ uns immer so liebenswürdig von seinem Glück bei den Frauen vorschwadronierte und so ganz zufrieden war, wenn er wieder einmal in irgend einem republikanischen, bonapartistischen oder auch legitimistischen Blatt gegen halbwegs anständige Entlohnung ein Aufsätzchen untergebracht oder von einem Buchhändler Auftrag zur Verfertigung eines schlüpfrigen Romans erhalten hatte? Grousset erlebte zunächst seine Bekehrung zum Republikanismus, als ihn Rochefort zur Mitarbeiterschaft an seinem Blatte „La Marseillaise“ einlud. Die Lorbeeren des letzteren ließen ihn von nun an nicht mehr zur Ruhe kommen. Er ahmte den Meister nach, wie er sich räusperte und wie er spuckte. Denn warum sollte nicht auch er wie dieser reich, mächtig und berühmt werden dürfen? Das Glück begünstigte ihn auch im Anfang ganz außerordeutlich, indem es ihm den berühmten Skandal mit Peter Bonaparte und die Gelegenheit verschaffte, einen leibhaftigen Vetter des Kaisers herauszufordern und damit seinen Namen unter die Massen der Vorstädte zu bringen. Von jetzt ab hielt er sich vollends zu großen Dingen berufen. Als Rochefort die Leitung der „Marseillaise“ niederlegte, übernahm er dieselbe in kühnem Selbstvertrauen. Allein Rochefort, der als Mitglied der Septemberregierung zeigte, wie konservativ auch er sein konnte, wenn er im Besitze der Macht war, wies ihn wegen seiner Angriffe gegen die Regierung eines Tages so demüthigend zurecht, daß er es vorzog, sein Blatt aufzugeben und seine Thätigkeit während der Belagerung ganz in die aufrührerischen Klubs zu verlegen. Nach dem Krieg vergönnte er sich aber den Spaß, Rochefort zur Mitarbeiterschaft an seinem neuen Blatte „L’Affranchi“, „Der Befreite“, einzuladen. Er konnte jetzt auch den Regierungsmann spielen, und er fühlte sich auf der gesellschaftlichen Höhe eines Metternich oder Nigra, als ihm die Kommune die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten übertrug. Zu diesem hohen Amte hatte ihn freilich zunächst bloß der Umstand empfohlen, daß er stets wohlgekämmte Haare, ein zierliches Schnurrbärtchen, Handschuhe, neumodische Kleider und insbesondere eine viel bewunderte Hose, ein unübertroffenes Meisterstück des Schneiderkönigs Dusantoy, trug. Grousset selbst aber konnte seine Befugnisse nicht ernst genug nehmen. Gleich am Tage seiner Ernennung richtete er eine Note an die auswärtigen Vertreter, des Inhaltes: „Der Unterzeichnete, Mitglied der Kommune von Paris, Abgesandter für die auswärtigen Angelegenheiten, hat die Ehre, Ihnen amtlich die Bildung der kommunalen Regierung von Paris anzuzeigen. Er bittet Sie, Ihrer Regierung hiervon Kenntniß zu geben, und ergreift diese Gelegenheit, um Ihnen den Wunsch der Kommune auszudrücken, die brüderlichen Bande enger zu knüpfen, welche das Volk von Paris mit dem Volke etc. etc. verbinden. Genehmigen Sie . . .“ Zum Leidwesen Groussets blieb aber der Verkehr mit den auswärtigen Mächten ein recht bescheidener; nur einmal konnte ein Mitglied der Kommune berichten, er habe einen Gedankenaustausch mit einem Vertreter der Republik Ecuador gehabt. Immerhin hat Grousset darauf gesehen, daß seitens der Kommune nicht der diplomatische Verkehr überhaupt unmöglich gemacht werde; und als einige Tage nach seinem Amtsantritte Nationalgarden in das belgische Konsulat eingebrochen waren, um zu plündern und einen Ball zu veranstalten, setzte er es durch, daß „ein strenger Tadel im Amtsblatte gegen die Schuldigen ausgesprochen wurde“. Im übrigen wüthete Grousset in seinem Blatt unaufhörlich gegen die Klöster in Paris, die, wie er behauptete, geheime Verbindungen mit Versailles und den Sendlingen des Papstes unterhielten; und unheimlich genug lautete die amtliche Erklärung, die er gegen den Schluß der Kommune abgab, die Genfer Konvention spreche sich über die Anwendung der furchtbaren Kräfte nicht aus, welche die Wissenschaft in den Dienst der Revolution stelle.

Auch Paschal Grousset ist wie die ihm zunächst stehenden schriftstellerischen Berufsgenossen beim Untergange der Kommune mit dem Leben davongekommen. Er ist heute bei seinem dritten Namen und seiner dritten Entwicklungsstufe angelangt. Als unschuldiger Plauderer hatte er sich „Doktor Blasius“ unterzeichnet; als Kommunarde „Grousset“; jetzt schreibt er unter einem neuen Namen, wenigen bekannt, sehr gemäßigte Aufsätze in eine konservativ-republikanische Zeitung von Paris.

Diesen schriftstellerischen Größen der Kommune gegenüber befand sich ihr einstiges Vorbild, der Laternenmann Henri Rochefort, in der unbehaglichsten Lage von der Welt. Der ehemalige Spaßmacher des „Figaro“ und „Tintamarre“, der mit seiner „Lanterne“ einen unerhörten Erfolg gehabt hatte, indem er in der frechen Sprache des Pariser Gassenjungen die Tuileriengesellschaft als eine Bande von Abenteurern, Dieben und Spielern behandelte, hatte sich in der Septemberregierung und dann in der Nationalversammlung von Bordeaux als eine völlige politische Null erwiesen. Und nun mußte er vollends sehen, daß ein Grousset, ein Maroteau, ein Vermersch, ein Vallès, die er als mittelmäßige Köpfe verachtete, ihm seine Kunst, auf die Massen zu wirken, mit größtem Erfolg abgelernt hatten, so daß er mit seinem Blatte „Le Mot d’Ordre“ nicht gegen ihre Blätter aufzukommen vermochte. Der Ton, welchen er dem Bonaparte gegenüber angeschlagen hatte, paßte überdies nicht recht gegenüber seinen frühern Freunden Favre und Picard; und was wollte es besagen, wenn er gelegentlich Thiers einen Trunkenbold nannte, da der „Père Duchêne“ für denselben noch ganz andere Titel bereit hatte? Die Schlagworte der Sozialisten aber waren ihm gänzlich fremd; und so blieb ihm, wenn er sich auf der Oberfläche behaupten wollte, nichts übrig, als eben auch mit immer neuen Verhetzungen und Lügen in den Wettbewerb der Kommune-Schriftsteller einzutreten. Und wahrlich, sauer genug hat er es sich hiermit Tag für Tag werden lassen. Seine Freunde klagten bald, man könne über nichts mehr mit ihm sprechen als über die Höhe „seiner Auflage“, und mehr als einmal sah ich ihn des Abends, wenn er auf den Boulevards von Kiosk zu Kiosk ging und ängstlich bei den Zeitungsverkäuferinnen nachfragte, wie viel sie von seinem „Mot d’Ordre“ absetzten. Um seine Auflage zu heben, war ihm kein Mittel zu schlecht und abgeschmackt. Er erfand und schilderte die abscheulichsten Greuelthaten der Versailler Truppen, um die Versuche zu einer Versöhnung zu vereiteln. Von ihm ging die Anregung aus, Thiers’ bewegliche Habe einzuziehen und sein Haus dem Erdboden gleich zu machen. Seine Aufforderung, die Kirchen zu plündern, begründete er mit dem Satze, Christus sei in einem Stalle geboren, daher dürfe der einzige Schatz in Notredame bloß ein Strohbündel sein.

Das Unerhörteste aber hat er in jenen Aufsätzen geliefert, in welchen er unter dem Titel „Geheimnisse des Klosters von Picpus“ die schauderhaftesten Einzelheiten von langjähriger Einschließung von Nonnen in Käfigen, von Folterwerkzeugen, von einem Geheimgange zu einem Mönchskloster und von verscharrten menschlichen Gebeinen erzählte. Am 21. Mai endlich brachte der „Mot d’Ordre“ folgenden Abschiedsgruß an die Kommune: „Angesichts der der Presse bereiteten Lage hält es der ‚Mot d’Ordre‘ für anständig, sein Erscheinen einzustellen. Mit brüderlichem Gruße Henri Rochefort.“

Nun hatte sich in der Lage der Presse gar nichts verändert; die Kommune hatte ja längst alle unabhängigen Blätter unterdrückt. Es war also klar, daß Rochefort lediglich den Aufenthalt in Paris nicht mehr geheuer fand. Bekanntlich wurde er aber auf seiner Flucht ergriffen und vor das Kriegsgericht in Versailles gestellt; und wir wissen jetzt aus dem jüngsten Untersuchungsprozesse, der gegen ihn als Helfershelfer Boulangers geführt wurde, daß er damals auf die Frage des Richters, warum er so abscheuliche Dinge veröffentlicht habe, die er doch selber nicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 276. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_276.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)