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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

gestattete, mir sofort Nachricht zu senden. ‚Verschweige es dem Vater, es würde ihm den Tod geben!‘ schrieb er mir. Ich wußte es besser als er, daß der Schwerkranke eine solche Nachricht nicht ertragen konnte, aber wir waren allein im fremden Lande, ohne Freunde und Beistand, und es mußte augenblicklich gehandelt werden. In dieser Angst dachte ich an Herbert, der sich damals bei der Gesandtschaft in Florenz befand. Wir kannten ihn flüchtig von früher her, und er hatte uns gleich nach unserer Ankunft aufgesucht und sich zur Verfügung gestellt, wenn wir irgendwie der Vermittlung unseres Gesandten bedürften. Seitdem kam er öfter in unser Haus und kam auch jetzt unverzüglich auf meine Bitte. Ich vertraute mich ihm an, ich sagte ihm alles, erflehte Rath und Hilfe von ihm – und erhielt sie auch.“

„Um welchen Preis?“ fragte der Oberst mit finster zusammengezogenen Brauen.

Abelheid schüttelte abwehrend das Haupt.

„Nein, nein, es ist nicht so, wie Sie denken, wie Eugen es noch immer glaubt – ich bin nicht gezwungen worden, Herbert ließ mir freie Wahl. Er verhehlte mir allerdings nicht, daß der Vorfall noch viel schlimmer war, als ich fürchtete, daß jene im Spiel verlorenen Summen trotzalledem bezahlt werden müßten, wenn man die Sache der Oeffentlichkeit entziehen wolle, daß es vielleicht dennoch zu einer Gerichtsverhandlung kommen werde wegen der Verwundung des Polizisten. Er erklärte mir, daß man es gerade ihm in seiner Stellung sehr verübeln würde, wenn er sich persönlich in solche Angelegenheiten mischte. ‚Sie verlangen, daß ich Ihren Bruder rette,‘ sagte er. ‚Vielleicht kann ich das, aber ich setze meine Stellung, meine ganze Zukunft dabei aufs Spiel, und ein solches Opfer bringt man doch höchstens seinem eigenen Bruder oder – seinem Schwager!‘“

Falkenried stand plötzlich auf und machte einen Gang durch das Zimmer, dann blieb er vor der jungen Frau stehen und sagte in grollendem Tone:

„Und das haben Sie natürlich geglaubt in Ihrer Todesangst?“

„Meinen Sie, daß es nicht so war?“ fragte Adelheid betroffen.

Er zuckte mit einem halb verächtlichen Ausdruck die Achseln.

„Möglich! Ich kenne diese diplomatischen Rücksichten nicht, ich weiß nur eins, Wallmoden hat sich in der That als ein ‚großer Diplomat‘ gezeigt in der ganzen Sache. Was antworteten Sie ihm?“

„Ich erbat mir Bedenkzeit, es stürmte alles so plötzlich auf mich ein. Aber ich wußte ja, daß keine Stunde zu verlieren war, und noch am Abend desselben Tages gab ich Herbert das Recht – für seinen Schwager einzutreten.“

„Natürlich!“ murmelte der Oberst mit tiefer Bitterkeit. „Der kluge Herbert!“

„Er nahm sofort Urlaub und reiste selbst nach Rom,“ fuhr die junge Frau fort. „Nach acht Tagen kehrte er in Begleitung meines Bruders zurück. Es war ihm gelungen, Eugen frei zu machen und ihn überhaupt der ganzen Angelegenheit zu entziehen, nicht einmal die Zeitungen brachten den Namen des jungen Deutschen, der darin verwickelt war. Durch welche Mittel das geschah, weiß ich nicht. Wenn man mächtige Verbindungen hat und das Geld nicht schont, ist vieles möglich. Herbert hatte es mit vollen Händen nach allen Seiten hin gespendet und alles benutzt, was seine langjährige diplomatische Thätigkeit ihm an Verbindungen öffnete. Auch für jene Spielschulden hatte er bereits Deckung geschafft, allerdings nur durch seine persönliche Bürgschaft. Er sagte mir später, daß er damals mit der Hälfte seines Vermögens für alle jene Summen eingetreten sei.“

„Sehr großmüthig, wenn man mit solchem Opfer eine Million gewinnt! Und was sagte Eugen zu diesem – Handel?“

„Er ahnte nichts davon und kehrte gleich darauf nach Deutschland zurück, wie es längst beschlossen war. Von nun an kam Herbert täglich in unser Haus und wußte meinen kranken Vater so für sich einzunehmen, daß dieser schließlich selbst den Wunsch einer Verbindung hegte; dann erst trat er mit seiner Werbung hervor. Ich war ihm dankbar, daß er der Sache diese Wendung gab, nur Eugen ließ sich nicht täuschen, er errieth alles und rang mir die Wahrheit ab. Seitdem quält er sich fortwährend mit Selbstvorwürfen und trägt seinem Schwager eine förmliche Feindschaft entgegen, trotz meiner wiederholten Versicherung, daß ich nie Anlaß gehabt habe, jenen Schritt zu bereuen, daß ich in Herbert den aufmerksamsten, rücksichtsvollsten Gatten besitze.“

Falkenrieds Auge ruhte unverwandt auf dem Gesichte der jungen Frau, als wollte er ihre geheimsten Gedanken daraus lesen.

„Sind Sie glücklich?“ fragte er endlich langsam.

„Ich bin zufrieden!“

„Das ist schon viel im Leben!“ sagte der Oberst in dem alten herben Tone. „Wir sind ja auch nicht geboren, um glücklich zu sein. Ich habe Ihnen unrecht gethan, Ada, ich glaubte, der Glanz einer hohen Lebensstellung, der Wunsch, als Gemahlin des Gesandten eine erste Rolle in der Gesellschaft zu spielen, habe Sie zur Frau von Wallmoden gemacht, aber – es ist mir lieb, daß ich Ihnen unrecht that!“

Er streckte ihr die Hand hin. Es regte sich jetzt doch etwas in seinem eisigen Blicke, und in dem Händedruck lag eine stumme Abbitte.

„Nun wissen Sie alles!“ schloß Adelheid mit einem tiefen Athemzuge, „und nun werden Sie Herbert gegenüber diesen Punkt nicht berühren, ich bitte dringend darum. Sie sehen ja, es lag nichts Unehrenhaftes in seiner Handlungsweise. Ich wiederhole es Ihnen, daß er weder Zwang noch Ueberredung in Anwendung gebracht hat, mich zwang nur die Macht der Verhältnisse. Ich konnte und durfte ja nicht erwarten, daß er für einen Fremden solche Opfer bringen würde.“

„Wenn eine Frau mich in Todesangst darum angefleht hätte, so hätte ich sie gebracht – bedingungslos,“ erklärte Falkenried.

„Ja Sie! – Ihnen wäre ich auch mit leichterem Herzen gefolgt.“

Der Ausruf verrieth unbewußt, wie schwer damals der Kampf gewesen war, den die junge Frau mit keinem Worte berührt hatte, und sie sprach die Wahrheit. Sie hätte sich, wenn denn doch einmal ein Opfer gebracht werden mußte, weit lieber dem düsteren, verschlossenen Manne mit seinem herben, oft verletzenden Wesen anvertraut, als dem immer höflichen und aufmerksamen Gatten, der im Augesicht ihrer Todesangst und mit dieser Angst – gehandelt hatte.

„Da hätten Sie ein schlimmes Los gezogen, Ada,“ sagte der Oberst mit finsterem Kopfschütteln. „Ich bin einer von den Menschen, die nichts mehr geben und empfangen können im Leben, ich bin längst fertig damit. Aber Sie haben recht, es ist besser, jener Punkt bleibt unerörtert zwischen mir und Wallmoden, denn wenn ich ihm meine wahre Meinung darüber sagen wollte – er ist und bleibt eben ein Diplomat!“

Adelheid erhob sich und das Gespräch abbrechend, versuchte sie, einen unbefangenen Ton anzuschlagen.

„Und nun darf ich Sie wohl endlich nach Ihren Zimmern führen? Sie müssen ja todmüde sein von der langen Fahrt!“

„Nein, ich werde als Soldat doch nicht von einer bloßen Nachtfahrt müde sein! Da stellt der Dienst ganz andere Anforderungen an uns.“

Er richtete sich stramm und fest auf, man sah es, seine körperliche Kraft war noch ungebrochen, diese Muskeln und Sehnen schienen wie von Stahl zu sein. nur das Antlitz trug den greisenhaften Zug. Die Augen der jungen Frau weilten nachdenklich darauf, besonders auf der Stirn, die so tief und schwer durchfurcht war und sich doch so hoch und machtvoll wölbte unter dem weißen Haar. Es war ihr, als habe sie das schon anderswo gesehen, unter dunklen Locken, und es konnte doch keinen schärferen Gegensatz geben, als dieses früh gealterte, gramdurchfurchte Gesicht und jener jugendliche Kopf mit seiner fremdartig südlichen Schönheit, mit der dämonischen Gluth im Auge. Und doch war es dieselbe Stirn gewesen, über die jene Blitze hinflammten auf der einsamen Waldhöhe, dieselbe hohe machtvolle Wölbung, selbst die blauen Adern, die so deutlich an den Schläfen hervortraten – eine seltsame unbegreifliche Aehnlichkeit!

Sie schritten nach den Fremdenzimmern, die schon des Gastes harrten.

Einige Stunden darauf befanden sich die beiden Jugendfreunde allein in dem Arbeitszimmer Wallmodens. Dieser hatte soeben zur Sprache gebracht, was ihm unerläßlich erschien, so peinlich es ihm auch war. Er hatte dem Oberst gesagt, daß und unter welchen Verhältnissen Rojanow sich in der hiesigen Stadt befinde, hatte ihm rückhaltlos alles enthüllt, was er von dem Leben Hartmuts und seiner Mutter wußte, und ihm endlich den Tod der letzteren mitgetheilt. Er hatte diese Stunde gefürchtet, aber der Eindruck war ein ganz anderer, als er erwartet hatte. Falkenried lehnte stumm, mit gekreuzten Armen am Fenster und hörte der

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