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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

den Dichter der ‚Arivana‘ eingenommen ist, es kostet Dich nur eine Audienz, die er Dir jederzeit gewähren wird, und ein Befehl von ihm hebt jede Schwierigkeit und gestattet jede Ausnahme.“

Rojänows Blick sank zu Boden und seine schon so umdüsterte Stirn verfinsterte sich noch mehr, als er erwiderte:

„Ich weiß es, aber gerade dort kann ich nichts erbitten. Der Herzog würde mir dieselbe Frage stellen wie all die andern, ihm darf ich die Antwort nicht schuldig bleiben, und die Wahrheit – kann ich ihm nicht sagen.“

„Auch mir nicht?“ fragte der junge Fürst, indem er zu ihm trat und die Hand auf seine Schulter legte. „Warum bestehst Du so stürmisch auf dem Eintritt in unser Heer? Was suchst Du eigentlich unter den deutschen Fahnen?“

Hartmut strich mit der Hand über die Stirn, als wollte er dort etwas fortwischen, dann antwortete er schwer und dumpf:

„Die Erlösung – oder den Tod!“

„Du kehrst zurück wie Du gegangen bist, als ein Räthsel!“ sagte Egon kopfschüttelnd. „Damals hast Du mir jede Erklärung verweigert, soll ich auch jetzt Dein Geheimniß nicht erfahren?“

„Schaffe mir die Aufnahme in das Heer und ich sage Dir alles!“ rief Rojanow in fieberhafter Erregung. „Gleichviel unter welchen Bedingungen, nur schaffe sie mir! Aber sprich nicht mit dem Herzog, nicht mit einem der Generale, sondern wende Dich an eins der untergeordneten Kommandos. Dein Name, Deine Verwandtschaft mit dem regierenden Hause machen Dein Fürwort mächtig. Man wird dem Fürsten Adelsberg kein Nein zur Antwort geben, wenn er selbst einen Freiwilligen anmeldet.“

„Aber man wird ihm dieselbe Frage stellen wie Dir. Du bist Rumäne –“

„Nein, nein!“ rief Hartmut leidenschaftlich aus. „Wenn ich es Dir denn doch bekennen muß – ich bin ein Deutscher!“

Die Wirkung dieser Erklärung war nicht so groß, als Hartmut gefürchtet haben mochte. Der Fürst sah ihn wohl einen Augenblick lang betroffen an, dann aber entgegnete er:

„Das habe ich bisweilen geahnt. Wer eine ‚Arivana‘ in deutscher Sprache dichten konnte, der verdankt diese Sprache nicht bloß seiner Erziehung, der ist verwachsen mit ihr. Aber Du führst den Namen Rojanow –“

„Den Namen meiner Mutter, die einer rumänischen Bojaren-Familie angehörte. Ich selbst heiße – Hartmut von Falkenried.“

Der eigne Name klang so seltsam fremd in seinem Ohre, er hatte ihn ja seit langen Jahren nicht ausgesprochen, aber auch Egon stutzte dabei.

„Falkenried? So hieß ja der preußische Oberst, der damals in geheimer Sendung aus Berlin kam! Stehst Du in irgend einer Beziehung zu ihm?“

„Es ist mein Vater!“

Der junge Fürst blickte mitleidig auf seinen Freund, denn er sah, wie furchtbar schwer diesem das Geständniß wurde. Er fühlte wohl, daß hier ein Familiendrama verborgen lag, und zu zartfühlend, um weiter zu forschen, fragte er nur:

„Und Du willst Dich nicht als Sohn Deines Vaters, nicht als einen Falkenried bekennen? Damit stände Dir ja jedes preußische Regiment offen.“

„Nein, damit wäre es mir verschlossen für immer – ich bin vor zehn Jahren aus dem Kadettenhause entflohen.“

„Hartmut!“ Es lag ein Ausdruck des Entsetzens in dem Ruf.

„Nun, hältst Du das etwa auch für ein todeswürdiges Verbrechen wie mein Vater? Du freilich bist in der Freiheit aufgewachsen und hast keine Ahnung von dem eisernen Zwange, der in diesen Anstalten herrscht, von der Tyrannei, mit der man unter das Joch eines blinden Gehorsams gebeugt wird. Ich konnte das nicht ertragen, mich drängte es gewaltsam zur Freiheit und zum Licht. Ich bat, ich bestürmte meinen Vater, vergebens, er hielt mich fest an der Kette – da zerriß ich sie und entfloh mit meiner Mutter.“

Er stieß das alles mit einem wilden, verzweiflungsvollen Trotze hervor, aber sein Auge haftete beinahe angstvoll auf dem Gesicht seines Zuhörers. Der Vater mit seinen starren Ehrbegriffen verdammte ihn, aber der Freund, der ihn vergötterte, der mit seiner leidenschaftlichen Begeisterung für ihn und seinen Genius alles bewunderte, was er that, der mußte doch die Nothwendigkeit seines Schrittes begreifen. Doch dieser Freund schwieg, und in dem Schweigen lag sein Urtheil.

„Also auch Du, Egon?“ In dem Ton des Fragenden, der minutenlang vergebens auf Antwort geharrt hatte, lag eine tiefe Bitterkeit. „Auch Du, Egon, der mir so oft sagte, daß nichts den Flug eines Dichters hemmen darf, daß er die Bande sprengen muß, die ihn am Boden halten? Das that ich und das hättest Du auch gethan.“

Der junge Fürst richtete sich mit voller Entschiedenheit empor. „Nein, Hartmut, da irrst Du denn doch. Ich wäre vielleicht einer strengen Schule entlaufen – dem Waffendienste nie!“

Da war es wieder, das herbe Wort, das schon einmal der Knabe gehört hatte: „Dem Waffendienst entlaufen!“ Es trieb ihm auch jetzt das Blut in die Stirn.

„Warum wurdest Du nicht Offlzier?“ fuhr Egon fort. „Man wird das ja sehr früh in Deiner Heimath! Nach einigen Jahren konntest Du dann den Abschied nehmen, in einem Alter, wo das Leben erst beginnt, dann warst Du frei – mit Ehren!“

Hartmut verstummte: das hatte ihm auch der Vater einst gesagt, aber er wollte eben nicht warten und sich beugen. Die Schranke hinderte ihn und er warf sie einfach nieder, unbekümmert darum, daß er auch Pflicht und Ehre damit niederwarf.

„Du weißt nicht, was damals alles auf mich einstürmte,“ entgegnete er gepreßt. „Meine Mutter – ich will sie nicht anklagen, aber sie ist mein Verhängniß geworden. Der Vater hatte sich schon in meinen Kinderjahren von ihr getrennt, ich hielt sie für todt, da trat sie auf einmal wieder in mein Leben und riß mich an sich, mit ihrer heißen Mutterliebe, mit ihren Verheißungen von Freiheit und Glück. Sie allein hat jenen unseligen Wortbruch verschuldet –“

„Welchen Wortbruch?“ fiel Egon erregt ein. „Hattest Du etwa schon den Eid geleistet?“

„Nein, aber ich hatte meinem Vater das Wort gegeben, zurückzukehren, als er mir eine letzte Unterredung mit der Mutter gestattete –“

„Und statt dessen entflohst Du mit ihr?“

„Ja!“

Die Antwort klang kaum hörbar, und dann folgte eine lange Pause. Der junge Fürst sprach kein Wort, aber in seinem offenen, sonst so sonnigen Antlitz malte sich ein tiefer, bitterer Schmerz, der bitterste seines Lebens, denn in dieser Minute verlor er den so leidenschaftlich geliebten Freund.

Hartmut nahm endlich wieder das Wort, aber er blickte nicht auf dabei.

„Du begreifst es jetzt, warum ich den Eintritt in das Heer um jeden Preis erzwingen will. Jetzt, wo der Krieg ausbricht, kann der Mann sühnen, was der Knabe gefehlt hat. Deshalb verließ ich Sicilien schon auf die ersten bedrohlichen Nachrichten hin und flog wie im Sturme nach Deutschland. Ich hoffte, sofort zu den Waffen eilen zu können, ich ahnte ja nichts von all den Hindernissen und Schwierigkeiten, die man mir bereitet, aber Du kannst sie beseitigen, wenn Du für mich eintrittst.“

„Nein, das kann ich nicht!“ sagte Egon kalt. „Nach dem, was ich soeben erfahren habe, ist das unmöglich!“

Hartmut erbleichte und trat mit einer heftigen Bewegung dicht vor ihn hin.

„Du kannst nicht? Das heißt – Du willst nicht!“

Der Fürst schwieg.

„Egon!“ – es lag ein wildes, stürmisches Flehen in dem Ton – „Du weißt, ich habe nie eine Bitte an Dich gerichtet, es ist die erste und letzte, aber jetzt bitte, beschwöre ich Dich um diesen Freundschaftsdienst. Es ist die Erlösung von dem Verhängniß, das mich seit jener Stunde verfolgt, die Versöhnung mit meinem Vater, die Versöhnung mit mir selbst – Du mußt mir helfen!“

„Ich kann nicht,“ wiederholte der junge Fürst tiefernst. „Die Zurückweisung, die Du erfahren hast, mag Dich schwer treffen, ich glaube es, aber sie ist nur gerecht. Du hast mit Deinem Vaterlande, Deinen Pflichten gebrochen, und das läßt sich nicht so ohne weiteres wieder zusammenknüpfen, wenn man anderen Sinnes geworden ist. Du entflohst dem Waffendienste – Du, der Sohn eines Offiziers – jetzt verschließt der Waffendienst sich Dir und Du mußt es tragen!“

„Und das sagst Du mir so ruhig, so kalt?“ rief Hartmut außer sich. „Siehst Du denn nicht, daß es sich für mich um Leben und Tod handelt? Ich habe meinen Vater wiedergesehen,

damals in Rodeck, als er an das Sterbebett Wallmodens eilte.

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