Seite:Die Gartenlaube (1890) 435.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Noch eine furchtbare Nacht im Walde; dann stieß man am 16. Dezember auf die heimkehrenden mit großen Haufen grüner Früchte beladenen Fouragierer, und nachdem der erste Hunger gestillt worden war, eilte man zurück in das Hungerlager, wo die Ersehnten willkommen geheißen wurden, wie nur Sterbende die Hand willkommen heißen können, welche sie retten will.

Es war im Januar 1889, als Stanley zum dritten Male am Albertsee eintraf; aber Emins Schicksal hatte sich inzwischen ganz anders entschieden, als man noch vor 8 Monaten hatte annehmen können. Die Aegypter hatten gemeutert, Emin und Jephson verhaftet, und obwohl der Einbruch der Mahdisten den Gefangenen die Freiheit wiederbrachte, so hatte doch Emin über keine Provinz und keine Truppen mehr zu verfügen. Nunmehr blieb nichts anderes mehr übrig als der Rückzug nach Sansibar. Emin war „gerettet“, aber von den wichtigen, vielleicht wichtigsten Nebenzwecken der Stanleyschen Unternehmung war keiner erreicht.

*     *     *

Wenn die Bewohner des offenen Landes, der Grasebene, sich nur bei der ersten Begegnung den Fremden feindlich gegenüberstellten und dann, von der furchtbaren Wirkung der Feuerwaffen belehrt, sich vor den Mächtigeren beugten, verhielten sich die Stämme des Waldes ganz anders. Bei den wiederholten Zügen der Karawane durch die Waldwildnisse hatten sie bald in Erfahrung gebracht, daß sie, da ihnen die Wildniß genau bekannt war, vor den Fremden im Vortheil seien. Sie konnten ihre vergifteten Pfeile aus dem Versteck abschießen, sie konnten einzeln Dahinziehende überrumpeln und niederstechen und machten von dieser Kriegslist gerade beim letzten Marsch Stanleys durch den Wald den ausgiebigsten Gebrauch.

Pfeilspitzen der Zwerge.

In hinterlistigen Ueberfällen zeichneten sich namentlich die Zwerge aus. Seit uralten Zeiten wurde das Innere Afrikas als die Heimath der Zwerge betrachtet. Seit den Reisen Schweinfurths im Monbuttulande weiß die Welt, daß die Pygmäen keine Sagengestalten sind. Schweinfurth hat den Zwergstamm der Akka entdeckt, die vermuthlich entfernte Verwandte der Buschmänner in Südafrika sind. Zwergstämme sind auch in Westafrika im Aschantilande, in dem Kongobecken als Waldnomaden gefunden worden, und man nimmt an, daß sie den Rest einer Urbevölkerung Afrikas bilden. Ihre Lebensweise ist überall die gleiche. Sie leben von der Jagd, benutzen vergiftete Pfeile, nomadisiren im Walde. Auch die Zwergstämme, denen Stanley begegnete, zeigen dieselben Charakterzüge, wie dies die nachfolgenden Stellen aus den Schilderungen Stanleys darthun:

„Zerstreut unter den Balesse zwischen Ipoto und dem Berge Pisgah im Lande zwischen den Flüssen Ngaiju und Ituri, einer Region, welche etwa zwei Drittel so groß ist wie Schottland, leben die Wambutti, die auch Batua, Akka und Basungu genannt werden. Diese Leute sind Nomaden von weniger als normaler Größe, Zwerge oder Pygmäen, leben in dem ungelichteten Urwalde und ernähren sich von Wild, das sie sehr geschickt zu fangen verstehen. Ihre Größe ist verschieden, von 90 cm bis 1,4 m. Ein ausgewachsener männlicher Zwerg wiegt 40 kg. Sie schlagen ihre Dorflager in der Entfernung von 3–5 km im Umkreise um einen Stamm der ackerbautreibenden Eingeborenen auf, von denen die meisten schöne kräftige Leute sind. Um eine große Lichtung haben sich vielleicht 8, 10 oder 12 getrennte Gemeinden dieser kleinen Leute niedergelassen, die insgesammt 2000–2500 Seelen zählen mögen. Mit ihren Waffen, kleinen Bogen und Pfeilen, deren Spitzen dick mit Gift beschmiert sind, und Speeren, tödten sie Elefanten, Büffel und Antilopen; außerdem graben sie Gruben und bedecken sie in geschickter Weise mit leichten Stöcken und Blättern, worauf sie Erde streuen, um die unten drohende Gefahr den ahnungslosen Thieren zu verbergen. Sie stellen schuppenartige Bauwerke her, deren Dach an einer Ranke hängt, und breiten Nüsse oder reife Bananen darunter aus, um die Schimpansen, Paviane und sonstige Affen hineinzulocken, worauf bei der geringsten Bewegung die Falle zufällt und die Thiere gefangen sind. Längs der Fährten der Zibethkatzen, Bandiltisse, Ichneumone und kleiner Nagethiere stellen sie Bogenfallen auf, welche dieselben beim eiligen Durchschlüpfen festhalten und erdrosseln. Außer dem Fleisch des geschlachteten Wildes benutzen sie die Haut, um Schilde herzustellen, den Pelz und das Elfenbein; ferner fangen sie Vögel der Federn wegen, sammeln Honig im Walde, bereiten Gift und verkaufen alles an die größern Eingeborenen für Bananen, süße Kartoffeln, Tabak, Speere, Messer und Pfeile. Der Wald würde bald von Wild entblößt sein, wenn die Zwerge sich nicht auf wenige Quadratmeilen um die Lichtungen beschränkten; sobald das Wild spärlich wird, sind sie daher gezwungen, nach andern Niederlassungen weiterzuziehen.

Sie leisten übrigens den ackerbautreibenden größer gewachsenen Klassen der Eingeborenen noch weitere Dienste. Sie sind vorzügliche Kundschafter und ermöglichen durch ihre bessere Kenntniß in den Wirrsalen des Waldes, rasch Nachrichten von dem Herannahen von Fremden zu erhalten und ihren angesessenen Freunden Mittheilung davon zu machen. Sie sind alle gewissermaßen freiwillige Posten, welche die Lichtungen und Ansiedelungen bewachen. Jeder Pfad, gleichviel nach welcher Richtung er geht, führt durch ihr Lager; ihre Dörfer beherrschen jeden Kreuzweg. Gegen fremde Eingeborene, welche angriffslustig sind, würden sie sich mit ihren größern Nachbarn vereinigen, und sie sind als Feinde keineswegs zu verachten. Wenn Pfeil dem Pfeil, Gift dem Gift und Verschlagenheit der Verschlagenheit gegenübersteht, dann wird vermuthlich diejenige Partei gewinnen, der die Zwerge beistehen. Ihre kleine Gestalt, bessere Weidmannskunst und größere Böswilligkeit würden sie zu sehr starken Gegnern machen, und das sehen die ackerbautreibenden Eingeborenen sehr gut ein. Manchmal dürften sie allerdings wünschen, daß die kleinen Leute sich sonstwohin begeben möchten, da die Bevölkerung der nomadischen Gemeinden oft zahlreicher ist als diejenige der Niederlassung und letztere für kleine und oft unzureichende Gegengaben an Pelzen und Fleisch den Zwergen freien Zutritt zu ihren Bananenhainen und Gärten lassen muß. Mit einem Wort, keine Nation der Welt ist frei von menschlichen Schmarotzern; die Stämme des centralafrikanischen Waldes haben viel von diesen kleinen wilden Leuten zu ertragen, welche sich an die Lichtungen heften und ihren Nachbarn schmeicheln, wenn sie gut genährt werden, sie aber sonst durch ihre Erpressungen und Räubereien bedrücken.

Die Zwerge stellen ihre Wohnungen, niedrige Bauwerke in Gestalt eines der Länge nach durchschnittenen eiähnlichen Körpers mit einer Thür von 60 bis 90 cm Höhe an jedem Ende, roh in einem Kreise auf, dessen Mittelpunkt für die Residenz des Häuptlings und seiner Familie, sowie als gemeinsamer freier Platz reservirt ist. Etwa 100 m vor dem Lager befindet sich auf jedem Pfade ein Schilderhaus, das gerade groß genug für zwei der kleinen Leute ist und auf den Weg hinausblickt.

Es giebt unter diesen Zwergen zwei Nationen, die sich an Hautfarbe, Form des Kopfes und charakteristischen Gesichtszügen durchaus unähnlich sind. Ob die Batua die eine und die Wambutti die andere Nation bilden, wissen wir nicht, jedoch unterscheiden sie sich ebensosehr voneinander wie der Türke von dem Skandinavier. Die Batua haben längliche Köpfe, lange, schmale Gesichter und röthliche kleine, nahe zusammenstehende Augen, die ihnen einen mürrischen, ängstlichen und zänkischen Blick geben. Die Wambutti haben ein rundes Gesicht, gazellenartige, weit voneinander entfernte Augen, hohe Stirn, die ihnen den Ausdruck unverhüllter Offenheit giebt, und sind von dunkelgelber Elfenbeinfarbe. Die Wambutti bewohnen die südliche, die Batua die nördliche Hälfte des geschilderten Distrikts und dehnen sich auf beiden Ufern des Semliki und östlich vom Ituri, südöstlich bis zu den Wäldern von Awamba aus.

Das Leben in den Walddörfern ähnelt demjenigen der ackerbautreibenden Klassen. Die Weiber verrichten alle Arbeit, indem sie Brennholz und Lebensmittel sammeln, kochen und den Transport der Güter der Gemeinde übernehmen, die Männer jagen und kämpfen, rauchen und besorgen die Politik des Stammes. Einiges

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 435. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_435.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)