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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

daß nur durch Arbeit, Sparsamkeit und Fleiß Limforden und Trollheide allmählich eine sichere Rente abwerfen konnten. Die Kieler Firma war noch gebunden, selbst der Erlös aus dem Verkaufe des Hauses konnte keineswegs ganz in den Händen der Witwe bleiben.

Sehr peinlich war Utzlar anfänglich der Gedanke, daß Einzelheiten bezüglich dieses Zerwürfnisses in die Oeffentlichkeit dringen könnten. Susanne würde erklären, er habe sie mißhandelt. Aber auch das war ihm schließlich gleichgültig. Er würde leugnen! Und zu verwundern war es nicht, daß er sich hatte hinreißen lassen! – Sie hatte wieder in rücksichtslosester Weise Tromholts Partei genommen, als er ihr von dem Zwischenfall berichtete, und sich auch ganz auf Altens Seite gestellt. Noch mehr! Sie hatte mit schmerzbewegter Stimme ihm ein Bild seiner selbst vorgehalten und noch einmal die Forderung gestellt, dem Müßiggang zu entsagen, Limforden zu verlassen und wieder in die Marine einzutreten. Falls dies an sich ausgeschlossen sei, möge er sich in einem Gesuch unmittelbar an den Kaiser wenden und die Gründe für seine Bitte darlegen.

Zuletzt hatte sie sich vor ihm in die Höhe gereckt und gerufen. „Ich glaubte, einen Mann geheirathet zu haben, und sehe, daß –“

Da hatte er sie unterbrochen und ihr in besinnungsloser Heftigkeit ein vor Zorn ersticktes: „Schweige, ich befehle es!“ – zugerufen, und als sie ihm erwidert, sie sei keine Sklavin, hatte er sie am Arme gepackt und ihr mit Gewalt den Mund verschlossen. Er war außer sich in diesem Augenblick, er hätte sie vielleicht geschlagen, wenn Snarre nicht gekommen wäre. Aber er hatte es nicht gewagt: das Aeußerste, was ihr ein Recht zur Trennung gegeben hätte, war nicht geschehen, und die Gesetze waren streng in diesem Punkt. Das Recht war auf seiner Seite, und wenn er nicht wollte – – – Ah! Dieser Snarre, er hatte nicht übel Lust, ihm eine Kugel durch den Kopf zu jagen. Aber Geduld, keine Uebereilung, er würde seine Rache schon nehmen. So sann Graf Utzlar, während er eine Flasche Bordeaux trank und einige Cigaretten rasch in Dampf verwandelte.

Schließlich legte er sich schlafen. Sein letzter Gedanke war, es sei in der That nichts unverständiger, als sich vor der Zeit aufzuregen. Er wollte die Dinge an sich herankommen lassen und seine Bedingungen stellen, und wenn die Familie Ericius diese erfüllte und darüber zu Grunde ging, was scheerte ihn das? Sie hatte es so gewollt. Es gab nur einen berechtigten Standpunkt in der Welt, den des Egoismus. Alles übrige war Thorheit!




8.

Die Nachricht von Susannens Flucht erweckte in Richards Brust nicht das freudige Gefühl, das man von einem Manne hätte erwarten können, der den Gegenstand seiner wenn auch hoffnungslosen Liebe aus solchen Fesseln befreit sieht.

Wie sie sich von ihnen überhaupt hatte umstricken lassen können, war ihm ein Räthsel, und dann, was half’s ihm, daß sie frei war? Der Hoffnung, sie selbst zu besitzen, hatte er längst entsagt. Daß sie ihn nicht lieben konnte, hatte sie ihm mit genügender Deutlichkeit erklärt und bewiesen, und das Recht, sich ihren Freund zu nennen, das er als natürlichen Entgelt in Anspruch genommen, auch das hatte sie ihm nun geraubt.

Daß sie den Entschluß zur Flucht, wenn auch plötzlich, so doch nur auf Grund einer Reihe schwerster Erfahrungen gefaßt haben könne, war ihm klar; um so tiefer kränkte es ihn, daß sie nicht ihn, den einzigen Menschen, von dem sie wissen mußte, daß er jederzeit für sie einzutreten bereit war, sondern einen Fremden, den sie kaum erst kennengelernt, den Grafen Snarre, zum Vertrauten gemacht hatte, und bei aller Hochschätzung, die er sonst für den Grafen empfand, konnte er ein Gefühl brennender Eifersucht nicht unterdrücken. Hatte sie gefürchtet, daß er ihr Vertrauen mißdeuten könnte? – An all die anderen zarteren Beweggründe, die Susanne veranlaßt habend konnten, sich in ihrer Herzensnoth nicht an ihn zu wenden, dachte der sonst so kluge Mann in seiner ersten Erregung nicht.

Er sagte sich nur, daß all seine Mühe, ihr zu dienen und wenn nicht ihr Gatte, so doch der erste nach diesem, ihr Freund zu sein, umsonst gewesen, daß er ihr nichts war als eben ein Diener, den man bezahlte wie die anderen. So hatte es der alte Ericius gehalten, und sie war seine richtige Tochter. Wozu sich länger plagen um einen Preis, der doch nie zu erringen war!

Selbst die Arbeit brachte ihm nicht mehr den gewohnten Trost. Er sah Vergangenheit und Zukunft im dunkelsten Licht, und die durch den Brand entstandene Geschäftsstörung, die mancherlei Sorgen und Wirrnisse, die das Ereigniß mit sich brachte, trugen nur dazu bei, seine trübe Stimmung noch mehr zu verdüstern. Vergebens suchte ihn Alten aufzuheitern. Er sprach von Aufgabe seiner Stellung, er war matt, zum Tode matt.

Als aber dann Frau Ericius, der ihre Tochter von Schloß Snarre aus die Katastrophe und deren Veranlassung in einem ausführlichen Brief gemeldet hatte, sich schriftlich an ihn wandte, um seinen Rath und Beistand in der bereits eingeleiteten Scheidungsklage zu erbitten, gewann er plötzlich wieder neues Leben und sein altes Pflichtgefühl regte sich.


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Susanne und Graf Snarre waren sich durch die besonderen Verhältnisse in wenigen Stunden näher getreten als sonst Menschen in Wochen und Monden, und die Nachwirkung der ungeheuren Erregung über das Geschehene und das Vertrauen, das die junge Frau in ihren Beschützer setzte, ließen sie in den ersten Tagen ihres Aufenthaltes auf dem Schloß kaum einmal zu dem Gedanken gelangen, daß ihr Verweilen daselbst trotz der Anwesenheit der Verwandten des Grafen, der alten Gräfin Snarre, sich mit den herkömmlichen Auffassungen in Widerspruch befinden könnte. Als sie endlich nach einem Aufenthalt von einigen Tagen ihrem Wunsche Ausdruck gab, nach Kiel zurückzukehren, machte ihr Graf Snarre die Mittheilung, daß Tromholt ihm geschrieben habe, er werde nach wiederholter Rücksprache mit Utzlar nach Snarre kommen, um über das Ergebniß seiner auf Wunsch der Frau Ericius geführten Verhandlungen mit ihm zu berichten.

Bevor aber Tromholt eintraf, hatte Snarre eine Unterredung mit Susanne, die ihn über ihre Stellung zu Tromholt, Susanne aber über des Grafen Gefühle für sie aufklärte.

Die Gräfin Snarre hatte sich wegen eines leichten Unwohlseins nach dem Abendessen zurückgezogen, und Snarre war neben seinem schönen Gast um so lieber allein zurückgeblieben, als er unter dem Eindruck stand, daß dann Susanne leichter zu dem vertraulichen Ton des ersten Tages zurückkehren werde. Ihre Schönheit, ihr ungekünsteltes Wesen, ihre ernste Liebenswürdigkeit hatten wie mit einem Zauberschlage eine starke Neigung für sie in seinem Innern geweckt, und die sich ihm durch die Verhältnisse aufdrängende Zurückhaltung machte ihn nur noch unruhiger und leidenschaftlicher.

Bisher fand er für seine Hoffnungen wenig Ermunterung. Susanne sah ihm, wenn sie mit ihm sprach, mit jener ruhigen Unbefangenheit, die jedes andere Gefühl als das eines freundschaftlichen Vertrauens ausschließt, in die Augen. Trotzdem drängte es ihn heute, sich ihr in anderer Weise zu nähern.

„Wie denken Sie sich die Zukunft, verehrte Frau Gräfin?“ hub er nach einer kurzen Einleitung an. „Werden Sie in Kiel bleiben, oder haben wir, wenn auch später, Aussicht, Sie in Limforden wiederzusehen? Ich muß gestehen –“ hier stockte Snarre und veränderte den Ton seiner Stimme, „daß ich mir nicht ausdenken mag, Sie nun ganz wieder missen, von den Rechten der Freundschaft, die Sie mir eingeräumt haben, keine Vortheile mehr ziehen zu sollen.“

Susanne, welcher der veränderte Ton nicht entging und die aus den letzten Worten die Absichten Snarres ahnen mochte, erwiderte mit einem Anflug von Schwermuth:

„Nach Limforden werde ich, auch wenn alle jetzt noch bestehenden Hindernisse beseitigt sind, schwerlich zurückkehren. Es sind weniger die peinlichen Erinnerungen der jüngsten Zeit, die mir den Aufenthalt dort verleiden, als die Gegenwart eines Mannes, dessen Anblick wie ein schwerer Vorwurf auf meine Seele drückt, eines Mannes, dem ich viel Leids angethan habe, ohne daß er dadurch in seinen großmüthigen Bemühungen für mein Wohl im geringsten zu erschüttern gewesen wäre, dessen Freundschaft, ja dessen Achtung ich nun aber für immer verloren zu haben fürchte.“

„Ich verstehe nicht ganz,“ sagte Snarre, befremdet aufblickend.

„Ich meine Tromholt,“ fuhr Susanne freimüthig fort. „Ich fühle, daß er das erste Anrecht hatte, von mir in einer so wichtigen Lebensfrage, wie sie mein Zerwürfniß mit Graf Utzlar ist, ins Vertrauen gezogen zu werden. Ich habe es unterlassen, obwohl ich weiß, daß ihn die Umgehung seiner Person schwer kränken

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