Seite:Die Gartenlaube (1890) 533.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)


Gedanken gehegt und gepflegt und daran gearbeitet haben, ihn im deutschen Volke zu bewahren und zu verbreiten, ja die trotz aller herben Enttäuschungen, die ihnen der preußische Staat breitet hatte, an dem nationalen Berufe desselben doch nicht irre wurden, sondern in ihrer Mehrzahl eine Einigung Deutschlands unter preußischer Spitze anstrebten. Die tüchtigsten Elemente der erbkaiserlichen Partei der Paulskirche sind aus der Burschenschaft hervorgegangen.

Aber bekanntlich brachte auch das trotz aller Irrthümer doch in seinem Streben und in seinen Idealen große Jahr 1848 der nationalen Bewegung noch nicht den starken Rückhalt der politischen Machtmittel des preußischen Staates. Ja auch noch nach der Ablehnung der deutschen Kaiserkrone durch Friedrich Wilhelm IV. trat noch einmal, zum dritten Male jener tragische Zug unserer nationalen Entwickelung, das unverstandene Nebeneinander, ja das schroffe Gegeneinander der beiden Grundelemente der staatlichen Einigung zu Tage. Der große Staatsmann, der berufen war, den nationalen Gedanken, das Ideal der alten Burschenschaft, zu verwirklichen, Bismarck, stand am Anfange seiner Laufbahn, als hochkonservativer Junker verschrieen und verketzert, im schroffen Gegensatz zu der jetzt nicht mehr von der Burschenschaft allein getragenen nationalen Bewegung. Es ist schon wiederholt ausgesprochen worden, daß in der Geschichte fast jede neue große Idee erst dann zu voller Durchführung gelangt, wenn sich ein anfänglicher Gegner derselben an die Spitze ihrer Anhänger stellt, die erst von ihm bekämpfte Idee schließlich zu der seinigen macht und sie für seine Zwecke verwerthet. So war es auch hier. Bei dem tiefgewurzelten Mißtrauen der Staatsregierungen gegen die Vertreter der liberalen Idee wäre diese sicher nicht so schnell und leicht zur Durchführung gekommen, wenn sich nicht ein konservativer Mann gefunden hätte, welcher ihre unschätzbare Bedeutung erkannt hätte. In dem seit lange und noch heute lebhaft geführten Streite, ob die deutsche Einheit durch die thatkräftige Genialität des einen Mannes oder durch die nationale und liberale Bewegung im Volke herbeigeführt worden ist, haben wieder einmal wie so oft beide Parteien recht und beide Parteien unrecht. Wie weder die Burschenschaft noch die von ihr vertretene Idee allein die Einheit Deutschlands je begründet haben würde, ebenso wenig würde dazu der starke Wille eines einzelnen, wenn auch noch so genialen Staatsmannes ausgereicht haben, wenn ihm nicht durch jene ideale Bewegung der Geister der Boden geebnet worden wäre. Und darum gebührt, ebenso wie dem großen Staatsmanne, jenen Männern Dank und verehrungsvolle Anerkennung, die in trüber Zeit mit unentwegtem Sinn auf das Ziel wiesen, welches wir heute erreicht haben.

August von Binzer.
Nach einem der „Arminia“ gehörigen Bilde.

Unter diesem Gesichtspunkt ist es auch nicht schwer, die Frage zu beantworten, welche seit der Gründung des Deutschen Reiches so oft aufgeworfen worden ist, die Frage, welches denn jetzt die Aufgabe der deutschen Burschenschaft sei, nachdem das vornehmste Ziel, welches sie sich bei ihrer Gründung gesteckt hatte, wenn auch in anderer Form, als sie es geahnt hat, erreicht sei. Es hat nicht an Stimmen gefehlt, welche der Burschenschaft anriethen, jetzt, nachdem ihr Zweck erreicht sei, sich freiwillig aufzulösen, da ihr weiteres Bestehen eben zwecklos sei. Es will uns das ungefähr ebenso vorkommen, als wenn man einer Armee, die soeben einen großen Sieg erfochten, einen vollen Erfolg errungen hat, als wenn man etwa der deutschen Armee nach dem Siege von Sedan hätte zurufen wollen: du hast deinen Zweck erreicht, dein Gegner ist besiegt, nun lege die Waffen nieder und löse dich auf! Die einfache Folge wäre gewesen, daß die Franzosen den eben errungenen deutschen Sieg wieder rückgängig gemacht hätten.

Nein! Galt es früher, den nationalen Gedanken zu erwecken, die Mitglieder der Burschenschaft zur Mitarbeit an seiner Verwirklichung zu erziehen, so gilt es jetzt, das unter schweren Kämpfen Errungene zu bewahren! Die Aufgabe, ein erworbenes Gut zu bewahren, ist ebenso schwierig, ebenso wichtig als die, das Gut zu erwerben.

„Was du ererbt von deinen Vätern hast,
Erwirb es, um es zu besitzen.“

Ist es denn so ganz ausgeschlossen, daß der mühsam errungenen nationalen Einheit dereinst in neuen auswärtigen und inneren Erschütterungen neue Gefahren drohen? Ist es da nicht von der höchsten Bedeutung, die deutsche Jugend, auf der die Zukunft des Vaterlandes beruht, mit jener bewußten nationalen Gesinnung und Begeisterung zu erfüllen, die sie, wenn sie ins Leben eintritt, befähigt, alle ihre Kräfte zum Dienste des gemeinsamen Vaterlandes zu verwerthen? Wie wir die Hauptbedeutung der alten Burschenschaft eben in ihrer erziehlichen Wirksamkeit gesehen haben, so sehen wir die Aufgabe der jetzigen Burschenschaft darin, ihre Mitglieder zu echt nationalgesinnten Männern zu erziehen, die, gleichgültig, welcher bestimmten Parteirichtung sie sich dereinst anschließen wollen, gewillt und befähigt sind, alle persönlichen und Parteiinteressen dem Wohle des Ganzen unterzuordnen, dafür zu sorgen, daß dem Volke inmitten des Widerstreites der Parteien das köstlichste Gut nicht verloren gehe, welches ein Volk besitzen kann: die Freude am Vaterlande!

In dieser Gesinnung mögen die alten und jungen Burschenschafter in Jena das Erinnerungsfest an große, kämpfereiche Tage der Vergangenheit begehen; in diesem Sinne mögen sie sich an den Kämpfen der Vergangenheit begeistern für die hohen nationalen Aufgaben, welche dem gegenwärtigen Staate gebieterisch gestellt sind. In dieser Hoffnung rufen wir ihnen ein herzliches „Glück auf“ zu ihrem Jubelfeste zu. [1]




Madonna im Rosenhag.

Nachdruck verboten.
Roman von Reinhold Ortmann.
Alle Rechte vorbehalten.
(Fortsetzung.)


Mit Zagen setzte Cilly eine Viertelstunde später die Pförtnerglocke des vornehm dreinschauenden Hauses in Bewegung, dessen erstes Stockwerk Wolfgang Brenckendorf bewohnte. Die bequeme Treppe konnte unmöglich die Schuld an dem ungestümen Herzklopfen tragen, welches die junge Dame beim Emporsteigen befiel, und als sie schon an der Schwelle der Eingangsthür stand, war es deutlich auf ihrem hübschen Gesicht zu lesen, wie hart sie gegen die Versuchung, noch jetzt umzukehren kämpfen mußte. Aber sie wußte ihre Beklommenheit tapfer zu überwinden, und mit ziemlich fester Stimme äußerte sie dem Diener, welcher ihr die Thür des großen Wartezimmers geöffnet hatte, ihren Wunsch, sogleich bei seinem Herrn gemeldet zu werden.

„Herr Brenckendorf ist leider augenblicklich beschäftigt,“ gab der Mann höflich zur Antwort, und ich bin streng angewiesen, mich bei der Anmeldung der Herrschaften genau an die Reihenfolge ihres Erscheinens zu halten. Wollen Sie die Güte haben, einstweilen Platz zu nehmen?“

Das klang nicht sehr ermuthigend, und der Gedanke, daß sie hier vielleicht Viertelstunden lang im Wartezimmer sich langweilen sollte, hatte für die verwöhnte Cilly etwas geradezu Empörendes. Sie sah sich um und gewahrte in einer Ecke des Gemaches einen


  1. Von dem Fest selbst gedenken wir unseren Lesern in einer späteren Nummer ein Bild zu geben.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 533. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_533.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)