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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Sieger und Siegerin hervorgehen, sind berechtigt, für diesen Tag eine messingene, mit rothem Tuch ausgefütterte Krone zu tragen.

Hierauf die älteren Schäfer, welche sich am Wettkampf des Tages nicht betheiligen, mit Fahnen, Schippen (Hirtenstäben) und denjenigen Preisen, welche, abgesehen von der „Krone“, den glücklichen Siegern zutheil werden sollen. Diese Schäfer führen in ihrer Mitte den bekränzten Preishammel und das ebenfalls festlich geschmückte Preismutterschaf, denen wir hernach auf dem Festplatz wieder begegnen werden.

Jetzt aber naht die Hauptsache, die „springenden Schäfer und Schäferinnen“, d. h. die etwa 25 Burschen und ebensoviele Mädchen, welche beim Wettlauf um die verschiedenen Preise ringen. Nur wer Schäfer beziehungsweise Schäferin ist, oder wenigstens einen Schäfer seinen Vater nennt, hat das Recht, bei den Wettspielen sein Jahrhundert in die Schranken zu fordern.

Nun folgen die Lateinschüler – Markgröningen hält seit alten Zeiten etwas auf klassische Bildung – dann wieder zwei Preisträger, welche die für die „Wasserträgerinnen“ bestimmten Preise an Stangen oder Rechen tragen. Alsbald erscheinen auch die wassertragenden, mit ihren „Gölten“ (hölzernen Eimern) ausgestatteten Jungfrauen.

Endlich die „Sackläufer“, von denen noch die Rede sein wird. Dann der Kriegerverein. Eine zweite Abtheilung der Feuerwehr schließt die „wohleingerichtete Procession“ ab, welcher wir nunmehr als „Volk“ im allgemeinen uns anreihen.

Wir ziehen in die eine Anzahl denkwürdiger Alterthümer in ihren Hallen bergende Stadtkirche, welche den Namen des heiligen Bartholomäus trägt.

Lassen wir während des Orgelspiels uns die Sage künden, welche der Volksmund vom geschichtlichen Ursprung des Festes zu berichten weiß!

Es war einmal ein Graf zu Gröningen, der hatte einen Schafknecht namens Bartholomäus. Dieser Knecht ward bei dem Grafen verleumdet, daß er Schafe aus der Herde heimlich verkaufe und das Geld für sich behalte. Um die Treue des Knechtes zu erproben, zog der Graf fern über Land und kam, als Metzger verkleidet, nach einiger Zeit zurück. Er ging zu Bartholomäus hinaus auf das Feld und wollte sehen, ob er für Geld und gute Worte Schafe von ihm bekäme. Er bat und schmeichelte als Händler, bot viel Geld und griff, da der Knecht auf den Handel nicht eingehen wollte, nach einem Stück der Herde. Da ergrimmte der Knecht und schlug den frechen Metzger mit seinem Schäferstecken. Nun gab sich der Graf zu erkennen, lobte die Treue seines Dieners, schenkte ihm einen Hammel und befahl, daß an seinem Namenstag die Schäfer alle Jahre ein Fest der Freude und der Erinnerung an diese That feiern sollten.

Das ist die Geschichte „vom treuen Barthle“. –

Inzwischen hat, nachdem einige Verse eines Kirchenliedes gesungen worden sind, der zweite Geistliche der Stadt die Kanzel betreten. Er knüpft an das an, was die heilige Schrift von der Hirtentreue oder vom Laufen in den Schranken und vom Erlangen des Kleinods sagt, und hält eine Predigt, für welche schon der alte Heyd den Rath giebt, daß sie nicht allzulang sein solle! Es ist inzwischen Mittag geworden!

Von der Kirche aus bewegt sich der Festzug in der oben erwähnten Ordnung auf den Festplatz. Dieser liegt vor dem „oberen Thor“ und ist ein ebenes, abgeräumtes Stoppelfeld. Landschaftlich betrachtet, ist er recht gut gewählt: im Süden erblickt man das Schloß Solitude, östlich den Asperg. Besonders malerisch ist der Blick gegen Westen über das tiefeingeschnittene Glemsthal auf waldige Anhöhen, an welche sich vereinzelte Bauernhöfe schmiegen. Südöstlich hat man die Stadt vor sich, aus welcher besonders das weit ausgedehnte Lehrerinnenseminar und Waisenmädchenhaus hervortritt.

Am westlichen Ende des Stoppelfeldes ist eine mit Tannenreis, Blumen, Heidekraut, Obst, Feldfrüchten, buntem Tuch (Blau-gelb sind die Stadtfarben) recht hübsch geschmückte Tribüne errichtet, auf welcher das „obrigkeitliche Präsidium“ Platz nimmt. Nördlich und südlich ziehen sich vier lange Bankreihen für das zuschauende Volk hin.

Auf diese Weise ist eine Rennbahn, ungefähr 25 Schritte breit und 260 Schritte lang, hergestellt. Auf der Ackerkrume stehen noch die Stoppeln, auch macht sich da und dort eine Distel breit, was für die nackten Füße, welche diese Rennbahn durchmessen sollen, dem Vergnügen ein Körnlein Salz beimengt. In der Mitte der Bahn ragt ein Kletterbaum mit einem stattlichen grünen Kranz und verschiedenen aus Kleidungsstücken etc. bestehenden Gaben, welche dem unverdrossenen Ueberwinder jetzt schon verlockend winken.

Oestlich wird der Anfang der Rennbahn mit einer ein Schäferbild tragenden Standarte bezeichnet. Hier sammeln sich die „springenden Schäfer und Schäferinnen“ und entledigen sich ihres Schuhwerks. Zuerst kommen die Mädchen an die Reihe. Der Festreiter giebt, indem er ein weißes Tuch schwenkt, das Zeichen, daß der Lauf beginne, und jagt den Läuferinnen voraus der Tribüne zu. Welche der Läuferinnen zuerst das Ziel, einen an der Tribüne befestigten hölzernen Widderkopf berührt, setzt sich die dort für sie bereitliegende Krone aufs Haupt und hat den ersten Preis, das Mutterschaf, gewonnen. Die übrigen vier oder fünf Preise – Kleidungsstücke – werden an die der Reihe nach zuerst Ankommenden der etwa 20 Wettläuferinnen vertheilt.

Ganz ähnlich gestaltet sich der Wettlauf der Schäferburschen. Hier ist ein Hammel der erste Preis. Manchmal giebt es freilich auch Streitigkeiten zu schlichten. Als ich etliche Tage vor dem letzten Feste nach Markgröningen kam, weidete ein Münchinger Schäfer auf dem Stoppelfeld. Er erzählte mir, vor Jahren sei er auch einmal wettgelaufen und vorn dran gewesen, aber im letzten entscheidenden Augenblick von einem tückischen Mitbewerber am Rockzipfel erfaßt und zu Fall gebracht worden. – Wackerer Münchinger, solches kommt auch anderswo vor als auf dem Stupfelfeld! –

Friedlich beschließt übrigens diesen Theil der Festlichkeit ein gemeinsamer Tanz der wettlaufenden Paare.

Eigenartiger ist das „Wassertragen“ der Mädchen. Die Mädchen nehmen einen mit Wasser gefüllten Kübel auf den Kopf und laufen, ohne das Gefäß zu berühren, dem Ziel, einer großen am Ende der Rennbahn aufgestellten Kufe, zu. Bei dieser Gelegenheit gilt es, nicht bloß flink zu sein, sondern auch mit stetiger Sicherheit seine eigene Person und den Kübel im Gleichgewicht zu halten. Die erste Jungfrau, welcher es gelingt, ihren Kübel, ohne daß sie Wasser verschüttet hat, in die Kufe zu leeren, hat wiederum einen ersten Preis gewonnen. Und so noch etliche andere der Reihe nach.

Nun folgen die Belustigungen für die männliche Schuljugend; das Sacklaufen oder Sackhüpfen, das wohl allerwärts bekannt ist. Es ist an die Stelle des früher üblichen Hahnentanzes getreten, wobei es darauf ankam, daß von einem tanzenden Paare ein auf einen hohen Pfahl gestelltes Glas Wasser geschickt heruntergenommen wurde. Rüstige Kletterer holen sich im Schweiß ihres Angesichtes – zuweilen brennt am 24. August die Sonne recht heiß auf das Stoppelfeld, zuweilen wird aber auch das Fest gründlich verregnet – ihre Preise vom Kranze des Kletterbaums.

Endlich geht der Zug in die Stadt zurück, woselbst in dem Rathhaussaale und in den verschiedenen Herbergen bis zum hereinbrechenden Abend lustig getanzt wird, während die Gassen und Gäßchen munteres Jahrmarkttreiben erfüllt. – Wir haben noch reichlich Zeit und Gelegenheit, uns leiblich zu stärken und uns etwas aus der alten Geschichte Markgröningens, von den Grafen von Calw, den Welfen, den Hohenstaufen, in deren Besitz die Stadt früher war, von den Grüningern und den Schlüsselburgern, vom Reichsadler und von der Reichssturmfahne, welche die Stadt bis heute im Wappen führt, erzählen zu lassen. Oder wir können die eine und andere bauliche Merkwürdigkeit, die Stadtkirche mit ihren Chorstühlen und ihren alten Grabmälern, das Rathhaus mit seinen Eichenbalken und seiner künstlichen Uhr, die Trümmer der frühgothischen Spitalkirche im Garten des 1297 gegründeten Heiliggeistspitals besichtigen.

Das ist Markgröningens „Schäferlauf“, welcher urkundlich bis ins 15. Jahrhundert hinauf nachzuweisen ist, indem er in Spitalrechnungen vom Jahr 1443 erwähnt wird.

Das Fest hat noch tiefe Wurzeln im Volksgemüth, wenn auch nicht zu leugnen ist, daß es gegenüber früheren Zeiten, da die württembergischen Herzöge und ihre Gemahlinnen die Feststadt mit ihrem Besuch beehrten – 1444 Graf Ludwig, 1484 Graf Eberhard im Bart – und da eine einzige vornehmere Markgröninger Familie 70 – sage und schreibe siebzig – Festgäste beherbergte, an Glanz und Bedeutung verloren hat.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 562. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_562.jpg&oldid=- (Version vom 11.8.2022)