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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

werden; dieses erkennend, zogen sie sich, so schnell sie gekommen waren, zurück, wir ungesäumt dahinter her, konnten sie aber nicht mehr erfassen.

In der Straße, welche in der Richtung auf Nouilly ausmündete, trafen wir mit Mannschaften unserer zweiten Kompagnie zusammen, vereint mit diesen ging’s nun den Abziehenden nach. Ohne zu halten, stürmten diese davon gegen den genannten Ort zu. Ihnen weiter zu folgen, war nicht räthlich, wir hätten uns sonst zwischen zwei Feuer gebracht, denn schon zogen Abtheilungen, welche aus den Gärten von Noisseville vertrieben waren, über das Feld, die wir nun unter Feuer nahmen.

Endlich waren aus Dorf und Gärten die Gegner hinausgeworfen, und wir glaubten, nun würde das Fort St. Julien sein Feuer gegen uns eröffnen, um uns zu verjagen. An maßgebender Stelle schien man etwas Aehnliches zu erwarten, denn wir räumten den Ort und zogen uns hinter denselben zurück. Das Fort aber schwieg, und der vollständige Rückzug des ganzen dritten französischen Armeecorps trat ein, wodurch auch die übrigen Corps veranlaßt wurden, den Rückzug gegen Metz anzutreten.

Wir besetzten das Dorf wieder und hatten nun Muße, die traurigen Folgen des Kampfes zu betrachten. Es sah in den Straßen und Häusern entsetzlich aus, unsere Verluste waren bedeutend, aber weit überwiegend war unter den Gefallenen die französische Uniform vertreten.

Zwei charakteristische Vorkommnisse mögen hier noch ihren Platz finden.

Während des Kampfes sah sich ein Unteroffizier plötzlich allein einer Anzahl Franzosen gegenüber. Kurz entschlossen rechnet er aus, daß es besser gethan sei, dem Vaterlande einen tüchtigen Vertheidiger durch geschickten, wenn auch nothgedrungen etwas beschleunigten Rückzug zu erhalten, als sich in einen ungleichen Kampf einzulassen, dessen Ausgang nicht zweifelhaft war. Dem Gedanken folgt die That; doch unerwartet sperrt eine Mauer seinen Weg, die Verfolger sind dicht hinter ihm her. Als guter Turner sucht er entschlossen mittelst Klimmzuges die Mauer zwischen sich und seine Verfolger zu bringen; schon athmet er auf, die Höhe der Mauer ist erreicht, da, hilf Himmel! fühlt er sich an einem Fuße festgehalten und herabgezerrt. Doch ein verzweifelter Ruck – und der Franzose steht mit einem erbeuteten preußischen Kommißstiefel verblüfft am Fuße der Mauer, während der bisherige Träger dieser Trophäe ihm von der anderen Seite der Mauer ein vergnügtes „bon voyage, cher camarade“ zuruft und schleunigst seine Kompagnie zu gewinnen sucht. –

Als nach dem Abzug der Franzosen ein alter Mann mit weißem Haar aus einem Keller auftauchte und unter Thränen sein in Brand geratenes Häuschen zu löschen versuchte, war er im Nu von einer Anzahl Musketiere umringt, die ihm die Löscharbeit abnahmen. In kurzer Zeit war jede Gefahr beseitigt und mit kräftigem Händedruck verabschiedeten sich die Löschmannschaften von dem Greise, seine französischen Dankworte mit einem gemüthlichen: „Schon gut, Alterchen, hat gar nichts zu sagen“ abwehrend.

C–r.


Blätter und Blüthen.

Die Rückkehr des Sultans vom Selamlik. (Zu dem Bilde S. 617.) Zu dem, was der Fremde in Konstantinopel zuerst sieht, wohin ihn auch der unentbehrliche Fremdenführer fast gewaltsam treibt, gehört der Selamlik, d. h. der alle Freitage, dem türkischen Sonntage, stattfindende Zug des Sultans zu irgend einer Moschee. Dieser Kirchgangstag des Großherrn ist zugleich der alle acht Tage wiederkehrende Paradetag der gesammten Garnison von Konstantinopel, und wenn auch die Theilnahme des Publikums nach unsern Begriffen keine lebhafte genannt werden kann, so sind doch immer Tausende von Zuschauern versammelt, die in bunten Gruppen hinter der dichten Kette des Militärs sich aufstellen oder die Hügel und Plätze in der Nähe besetzen. Die Freude an öffentlichen Aufzügen und die Neugierde scheint unter den türkischen Schönen nicht minder verbreitet zu sein als anderswo. Sie gehen zwar von der Sitte der Verschleierung des Gesichts nicht ab, doch hat man oft Gelegenheit, in die meist schön geschwungenen, melancholisch und doch wieder kindlich dreinblickenden Augen zahlreicher Frauen zu sehen, die an den Abhängen und Böschungen der Wege hocken.

Der jetzige Sultan Abd ul Hamid II. bewohnt nicht die glänzenden Paläste an den Ufern des Bosporus, sondern den ziemlich weit an den Hügeln hinaufliegenden Ildiz Kiosk. Weiß und glänzend liegen in den weiten Parkanlagen zahlreiche Gebäude, aber eine starre Mauer umzieht das Ganze, und wer nicht ein hoher Würdenträger ist, wird schwerlich hineingelangen.

In unmittelbarer Nähe, etwas tiefer, liegt die Moschee Hamidije auf einem wundervollen Platze, blendend weiß sich von dem tiefblauen Himmel abhebend. Sie wird für den Selamlik vom Sultan bevorzugt und gewährt auch in ihrer Umgebung den besten Platz für das militärische Schauspiel.

Lange bevor die Ausfahrt des Großherrn beginnt, rücken in langen Zügen die Truppen der Garnison heran, für Fremde eine hochinteressante Sammlung militärischer Typen. Die Uniformen nähern sich im Schnitt sehr den europäischen, nur der Fez, der von Generalen wie von Gemeinen gleichermaßen getragen wird, ist das nationale Abzeichen. Die Truppen, die in und um Konstantinopel liegen, sind wohl die besten des Reiches, und unleugbar ist ihr Aussehen ein kriegerisches und Achtung gebietendes, wenn auch bei näherem Zusehen die „Propretät“ nicht weit her ist.

Vor dem Thore des Palastes versammeln sich die Generale und in einem unmittelbar daran gebauten Pavillon die höheren Civilbeamten, die Mitglieder der fremden Gesandtschaften, sowie Fremde, die durch irgend eine Empfehlung Zutritt erhalten haben. Es werden Thee, Kaffee und vorzügliche Cigaretten herumgereicht, und man genießt auf diese Weise das Schauspiel auf die denkbar angenehmste Art.

Bevor der Sultan den Palast verläßt, erscheint in prächtigen und reichgeschirrten, aber leider geschlossenen Wagen eine Anzahl Damen des Palastes; man sieht nur eine Wolke von Tüll und hie und da ein blitzendes Auge. Sie sind umringt von Eunuchen, meist tiefschwarzen Negern in schwarzem Gehrock, gleichen Beinkleidern, weißer Weste und Lackstiefeln, während ein glänzend gekleideter Stallmeister voranreitet. Sobald der Sultan selbst erscheint, ertönt ein Signal, und in weitem Umkreise rufen die Truppen ihrem Gebieter den Gruß zu. Unter präsentirtem Gewehr und mit geneigtem Kopfe stehen die tiefgebräunten Gestalten da, während feierlich und gemessen der offene Wagen mit dem Beherrscher der Gläubigen vorüberzieht.

Wie die meisten Türken hat Abd ul Hamid nichts Bewegliches und Lebhaftes in seinem Wesen. Leise neigt er das Haupt, mehr mit den Augen als mit der Bewegung des Kopfes grüßend; dennoch macht es den Eindruck, als wenn er alles sähe oder wenigstens alles zu sehen bemüht wäre. Häufig sitzt der vielgenannte Held von Plewna, der greise Osman Pascha, ihm im Wagen gegenüber – neben dem Herrscher zu sitzen, verbietet wohl die höfische Vorschrift.

Die religiöse Uebung oder der Gottesdienst währt nur etwa zwanzig Minuten, dann öffnet sich ein Fenster in der Moschee, von wo aus der Sultan den Vorbeimarsch der Truppen abnimmt. Ist dieser vorüber, so besteigt der Herrscher meist einen andern Wagen, um, selbst kutschirend, in schnellerer Gangart zurückzufahren. Das letztere ist eigentlich der interessanteste und, wenn man will, erheiterndste Theil des Schauspiels. Sämmtliche nicht in der Front stehenden Offiziere und Generale schließen sich der Equipage des Sultans an, und man kann sich kaum eines Lächelns erwehren, wenn man die reichbesternten und zum Theil wohlbeleibten Herren sich bemühen sieht, mit den trabenden Pferden Schritt zu halten. Schweißtriefend und erschöpft langen sie oben am Thore des Palastes an, um noch einen tief ergebenen Gruß dem Herrscher nachzusenden; dann ist das Stück zu Ende.

H. L.

Etwas vom „Bohnenlied“. Ueber den Ausdruck „Das geht übers Bohnenlied“ haben sich schon viele und darunter sehr gelehrte Leute die Köpfe zerbrochen. Binder im „Sprüchwörterschatz der deutschen Nation“ meint, der Spruch beziehe sich auf ein altes schweizerisches Spottgedicht, das in den allerstärksten Ausdrücken über die Sittenverderbniß der damaligen Geistlichkeit loszog. Wackernagel dagegen behauptet, unter dem „Bohnenlied“ seien alte deutsche Lieder zu verstehen, die mit dem Kehrreim schlossen: „Nun geh mir aus den Bohnen“, und die also die Aufforderung enthielten, sich zu trollen. Eine neue und gar nicht unglaubliche Deutung giebt Drück in der „besonderen Beilage des Staatsanzeigers für Württemberg“. Er nimmt an, daß bei dem früher viel verbreiteten, meist am Dreikönigstag gefeierten Bohnenfest auch Lieder gesungen worden seien, die, dem Wesen dieser aus den römischen Saturnalien entsprungenen Lustbarkeit entsprechend, an Derbheit und Ausgelassenheit das Menschenmögliche geleistet hätten. Der Leser, der vielleicht eine der bildlichen Darstellungen eines solchen Bohnenfestes mit seinem Bohnenkönig und seiner Bohnenkönigin zu Gesicht bekommen hat, wird dies gerne glauben. Wenn nun heute einer sagt: „Das geht übers Bohnenlied“, so heißt das: „Hier ist das Aeußerste noch überboten“.

Wie alt übrigens der Ausdruck ist, mag man daraus entnehmen, daß schon in einem Fastnachtsspiel des 15. Jahrhunderts die Worte sich finden

„Dieser Sach bin ich fast müd,
Es ist mir übers Bohnenlied.“

Und als dem Herzog Christoph von Württemberg, welcher von 1550 bis 1568 regierte, der Stadtbaumeister von Stuttgart einen Entwurf zur Ueberwölbung des die Stadt mit üblen Dünsten durchströmenden Nesenbaches vorlegte und dabei die merkwürdige Ansicht verrieth, das Wasser habe die natürliche Tendenz, bergauf zu fließen, da schrieb der Herzog an den Rand: „Das wäre doch übers Bohnenlied!“ Und der Herzog hat recht.

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Die Sitten der guten Gesellschaft sind nicht immer so einfach, daß es für jemand, der noch nicht Gelegenheit hatte, gesellschaftliche Erfahrungen zu sammeln, stets leicht wäre, das Richtige zu treffen. Bei den verschiedenen Völkern und in den verschiedenen Ländern weichen die bei den gleichen Gelegenheiten üblichen Bräuche und Formen oft weit von einander ab, ja verkehren sich in das gerade Gegentheil – und nicht einmal eine Wanderung in die Fremde braucht man anzutreten: im eigenen Vaterlande sind nach der Eigenart der Stämme und Gegenden die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 643. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_643.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)