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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

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Die Hochzeit von Sanct Wolfgang.

Ballade von Heinrich Vierordt.0 Mit Abbildung von Hugo Engl.

Im Froste starrt die Winterszeit,
Dreikönigstag ist nicht mehr weit.

Rings gleißt der Alpen steiler Wall
Als wie ein Harnisch von Krystall.

5
Im Dorf Sanct Wolfgang, dicht am See,

Schallt aus dem Wirthshaus froh Juchhe.

Der See liegt, hart gefroren zu,
In träger trüber Todtenruh.

Im Freien draus friert’s Stein und Bein,

10
Im Tanzsaal schwebt der Hochzeitsreihn.


In Myrthen strahlt das Hochzeitspaar;
Frohlockend ruft der Gäste Schar:

„Die Nacht ist klar, manch Sternlein brennt,
Wir bringen euch noch heim nach Gschwend.

15
Der See ist zu, drum sei heut Nacht

Auf ihm der Brautlauf frisch vollbracht.“

Baßgeig’ und Fiedel sind verstummt,
In Pelzwerk sich die Schar vermummt.

Sie zünden helle Fackeln an,

20
Im Schleier hüpft die Braut voran.


Kein Tropfen Wein mehr blinkt im Krug,
Von dannen sträubt und schwirrt der Zug.

Wo sonst die Fluth spült um den Kahn,
Glänzt weithin die krystallne Bahn.

25
Auf die verschneite Fläche wagt

Die Schar sich lachend, unverzagt.

Nach Brautlaufart, zu Zwein und Zwein,
Geht’s wirbelnd auf den See hinein:

Wie glänzen die Gesichter hell

30
Im Strahl der Lichter roth und grell!


Auf der bereiften Ebne Grund
Der Schein sich bricht und spiegelt bunt.

Heiß auf den Schnee, der hoch sich häuft,
Das Pech der Fackeln schmelzend träuft.

35
Der Mond im gelben Nebelflor

Klimmt traurig hinterm Berg hervor.

Im Uebermuth sie tanzen nun
Mit schwerbeschlagnen Nagelschuhn.

Von unten, Gott, welch schriller Klang!

40
Im Eise quillt der Wasser Drang.


Es knistert, gurgelt, surrt und klingt,
Die weite Spalte klafft und springt.

Die Scholle klirrt, die Kruste bricht,
Im Gischt verzischt der Fackeln Licht.

45
Weh, wie viel ros’ge Lebensgluth

Verlischt in eisig nächtger Fluth!

Trübselig spinnt der Nebelduft
Um grauer Blöcke kalte Gruft.

50
Im Mondlicht glitzern Eis und Schnee –

Ein Glöcklein läutet überm See.




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Ein Mann.

Roman von Hermann Heiberg.

(Schluß.)

Als Snarre am Abend dieses Tages in seinen Gasthof zurückkehrte, fand er ein Schreiben von Alten vor. Darin bat dieser dringend, ihm doch auf seine verschiedenen Briefe endlich eine Antwort zu ertheilen, er könne ohne nähere Anweisung nicht vorwärts kommen, die Hände seien ihm durch des Grafen Schweigen gebunden. Durch diesen Brief ward Snarre in den höchsten Unmuth versetzt, seine gereizte Stimmung richtete sich aber diesmal weniger gegen Alten, als gegen die „ganze Limforder Affaire“, wie er sich auszudrücken pflegte. Diese ewige Belästigung reizte ihn; keine Woche verging ohne eine Anzahl Zuschriften, und wenn er sie, wie das häufig genug geschah, nach flüchtiger Durchsicht zerstreut bei Seite legte, so folgte gleich eine Mahnung oder die Meldung, aus dem vorgeschlagenen Geschäft sei nichts geworden, weil die Weisungen des Herrn Grafen nicht rechtzeitig eingetroffen seien.

Auf Altens wiederholte, gutgemeinte Bitte, ihm die Entscheidung und auch die Verantwortung zu überlassen, war er trotzdem nicht eingegangen – das ließ sein herrschsüchtiger Sinn nicht zu.

Nach der Durchlesung des ersten Briefes, der seine Gedanken wieder auf Tromholt gelenkt hatte, entfaltete Snarre ein anderes schwarzumrändertes Schreiben. Es war die Anzeige von Ingeborg Elbes Tod. Ein neuer Verdruß! Snarre wußte, wie Dina mit der Verstorbenen gestanden hatte, wie nah ihr der Verlust ging. Der Zeitpunkt, ihr von Liebe zu sprechen, war also jetzt der denkbar ungeeignetste. Und doch mußte die Sache zu einem Ende kommen! Er fühlte selbst, daß er nicht länger in Kiel bleiben könne, ohne Dina in schlimmes Gerede zu bringen, er wußte, daß die Menschen schon jetzt über die lange Ausdehnung seines Besuchs sprachen, Dinas Worte auf dem Ball beim Oberpräsidenten kamen ihm wieder in den Sinn. Zudem war seine baldige Abreise auch der Geschäfte wegen nöthig. Brieflich waren die Dinge nicht zu erledigen. Durch dieses viele Für und Gegen und Hin und Her gerieth Snarre in eine so unbehagliche Stimmung, daß er zuletzt beschloß, gleich am nächsten Morgen in aller Frühe zu reisen, und zwar nicht nach Limforden, sondern geradeswegs nach Kopenhagen zu Tromholt. Der allein konnte ihm die lästige Sache vom Hals schaffen; bei der Familie Ericius wollte er sich brieflich entschuldigen. Wie peinlich dieser Schritt nach den Erklärungen, die er Susannen gegeben hatte, dort wirken müsse, daran dachte er zunächst nicht. Allen Unbequemlichkeiten thunlichst aus dem Wege zu gehen, war nun einmal ein ausgeprägter Zug in seinem Charakter. –

Als Frau Ericius am folgenden Morgen beim ersten Frühstück Snarres Schreiben eingehändigt wurde, vermuthete sie eine Einladung oder irgend eine kleine Ueberraschung. „Lies, liebes Kind, ich habe meine Brille nicht zur Hand!“ Hub sie gutgelaunt an, und Dina ergriff freudig das ihr dargereichte Blatt, dessen Schrift sie über den Tisch hinüber erkannt hatte, und begann, die mit der gewohnten Förmlichkeit verfaßte Einleitung laut vorzulesen, während ihre lustigen Augen bereits weiter über den Inhalt hinschweiften. Plötzlich aber ließ sie das Blatt in den Schoß sinken, stieß einen leisen Schrei aus, und schwere Thränen rollten ihr über das eben noch so übermüthig lustige Gesicht.

„Was ist geschehen?“ riefen Frau Ericius und Susanne zugleich, indem sie auf Dina zueilten und den Brief, der diese unerwartete Veränderung hervorgebracht hatte, aufhoben. Auch Susannens Züge nahmen einen ernsten, schmerzlich überraschten Ausdruck an, als sie das Schreiben durchflog. Die plötzliche Abreise Snarres, die gewundenen Erklärungen, mit denen er ihre Nothwendigkeit darzuthun, sich gewissermaßen zu entschuldigen suchte, machten auf Mutter und Tochter einen gleich peinlichen Eindruck, ja, die letztere konnte nach ihrem vertraulichen Gespräch von gestern in diesem Schritt nur einen Vorwand zum endgültigen Rückzug erblicken. Ernste Zweifel an der Ehrenhaftigkeit und Zuverlässigkeit von Snarres Charakter stiegen nun plötzlich in ihr auf, und sie war, bei allem Mitleid mit Dina, innerlich froh, daß sie von der Aufgabe, mit welcher der Graf sie betraut hatte, jener gegenüber noch nichts hatte verlauten lassen. Es hätte dies den Schmerz und die Enttäuschung des armen Kindes in diesem Augenblick nur noch vermehrt, und Susanne beschloß, auch in Zukunft das Geheimniß für sich zu behalten. Doch bald sollten sie und die Mutter sich überzeugen, daß nicht das mindestens sonderbare Betragen Snarres allein Dinas Thränen verschuldet hatte.

Es war der Tod Ingeborgs, dessen Snarre in seinem Brief nur beiläufig als eines der Familie wohl schon bekannten Ereignisses unter Bezeigungen seiner Theilnahme Erwähnung that. Er ergriff Dinas Herz so mächtig, daß sie das andere Leid, das ihr der Graf anthat, darüber fast vergaß oder doch nicht in seiner ganzen Bitterkeit empfand. Auch Frau Ericius und namentlich Susanne erfüllte diese Nachricht mit tiefer Trauer.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 660. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_660.jpg&oldid=- (Version vom 23.8.2022)