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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Susanne stieg empor. Oben angelangt, zauderte sie zwar noch einen Augenblick, die Hände aufs Herz pressend, als ob sie die Blutwellen, die sich dagegen drängten, zurückstauen wollte – dann aber ein festes Klopfen – von innen ein lautes „Herein!“ – und sie schritt über die Schwelle.

*  *  *

Tromholt, der bei Susannens Eintritt aufrecht im Zimmer stand und bei seiner Kurzsichtigkeit die Eintretende nicht sofort erkannte, streckte bei dem Ton der ihm bekannten Stimme unwillkürlich die Hand nach dem Tische aus. In ihren Mienen aber spiegelte sich ein Ausdruck wieder, als ob ein angstvoll Flehender vor seinem Herrn erscheine und durch stumme Blicke im voraus Nachsicht für sein Kommen erbitte. Und dennoch war sie es, die sich zuerst wieder faßte und auf seine in höchster Ueberraschung hervorgestoßene Frage: „Wie, ist’s möglich? Sie sind es, Frau Gräfin, Sie hier, bei mir?“ leise zwar, aber doch mit festem, bestimmtem Ausdruck erwiderte:

„Ja, ich bin es, Tromholt, und ich begreife, daß Sie mein Kommen überraschen muß, ja, ich dürfte mich selbst nicht wundern, wenn Sie mir darob zürnten, da ich kein anderes Recht und keinen anderen Grund dafür anzuführen weiß, als daß ich dem Drang meines Herzens gehorchte, der stärker war als alle Bedenken, die ein solcher Schritt erwecken muß.

Die Qual, die mein Inneres zermarterte, noch ehe ich Ihren Brief in Händen hielt, wäre schon genügend, diesen Schritt zu rechtfertigen. Nun ich aber den letzten, jeden Zweifel zerstörenden Beweis Ihrer Liebe erhalten habe, der mich erkennen ließ, welch ein edles großes Herz ich gekränkt, da ließ es mir keine Ruhe mehr.


Schloß Kronborg bei Helsingör.
Zeichnung von Karl Saltzmann.

Als Sie kamen, sah ich in diesem Schritt nur einen Akt der Großmuth, einer edlen Regung, deren eben nur Sie fähig sind, aber nicht einen freien Trieb des Herzens, und darum floh ich vor Ihnen. Ich wußte nichts von Ihrem Leiden, Tromholt, nichts von dem Schweren, das Ihnen bevorsteht. Nun aber, da ich es weiß und da ich auch weiß, daß es die alte Liebe, die Sie zu mir geführt, nun, Tromholt, stehe ich vor Ihnen und sage: Können Sie mir vergeben, wollen Sie mich als Ihr Weib, welches das Glück mit Ihnen theilen, die Sorge mit Ihnen tragen will? Was andern schwer, lästig erscheinen mag, wird mir ein Leichtes sein, nichts auf der Welt hat einen gleichen Anspruch auf mein Wollen und Können und, Tromholt –“ hier erstickte Susannens Stimme unter der Gewalt ihrer Erregung.

Nun aber war’s auch mit Tromholts Kraft vorbei. Wenn ihn schon die Rührung bei ihren leidenschaftlichen und doch im Ton so demüthigen Worten erfaßt hatte, nun übermannte ihn das Gefühl, daß er bebend die Worte stammelte. „O, genug, genug, Du Unvergleichliche, die Du da bittest, wo Du das höchste Glück zu gewähren kamst, wo Du das Höchste für mich gethan hast, was selbstvergessene Liebe zu thun vermag. Du fürchtest, daß ich Dir zürne für Deine große That, Du edle Seele, daß Du kamst zu dem, der so lange nicht den Muth fand, zu Dir zu eilen? Aber, glaube mir, meine theure Susanne, nicht Mangel an Liebe war’s, was mich Dir fernhielt, nein, nur ein Uebermaß desselben Gefühls, das Dich heute zu mir trieb. – Susanne! Susanne! Endlich, endlich halte ich Dich in meinen Armen und genieße den unnennbaren Zauber des Glückes, Dich zu besitzen, Dich mein eigen zu nennen. Nun ich Dich halte, kehrt neue Hoffnung, neue Zuversicht in mein verzagtes Gemüth zurück. Das ist die rechte Stimmung, die der Arzt verlangt. Komm, Geliebte, begleite mich, damit Du bald erfährst, daß alles glücklich verlaufen!“

So vereint schritten sie hinaus. Und Richard Tromholt zitterte nicht unter dem Instrumente des Arztes. Mit ruhiger Fassung hielt Susannens Hand die seine umschlossen; eine festigende Kraft strömte von ihr auf seine Nerven herüber, während das entscheidungsvolle Werk vollbracht ward. Und als alles vorüber, als Susanne nach vierzehn Tagen den Sehenden in einem Wagen aus der Klinik abholte, da sanken sie einander in dem stürmischen Ueberquellen glückstrunkener Empfindungen an die Brust, und aus dem geretteten Auge des Mannes strömten heiße Thränen der Liebe und namenloser Dankbarkeit gegen das Schicksal. –


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 669. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_669.jpg&oldid=- (Version vom 4.10.2022)