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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Der Kaisertisch


Bevor man den Erzberg bestritt, ist der Spaziergang zu empfehlen, der über den malachitgrünen Erzbach auf die Höhe führt, wo der sogenannte „Schichtthurm“ steht. Die Glockenschläge seiner Uhr verkünden den Knappen Beginn und Ende der Arbeit („Schicht“). Von der mäßig hohen Aussichtsstelle überschaut man die grauen Dächer von Eisenerz, die drei Ausästungen des Thalkessels, die gewaltigen Felsmauern des Reichenstein im Süden, des Pfaffenstein und der Griesmauer im Osten und der Seemauer im Norden. An die letztere schlagen die Wellen des einsamen, für den Beschauer durch einen vorliegenden Waldrücken verdeckten Leopoldsteinersees an.

Am fesselndsten aber ist der Anblick des Erzberges, den man vom Fuße bis zum Gipfel überschaut. Auf den Abbauterrassen ist ein wimmeln wie in einem Ameisenhaufen. Zwischen „Aufbrüchen“ und „Erzknauern“ laufen die Schienen der Arbeitsbahnen, in hölzernen Rinnen kollern die Erze zu Thal. In der Luft ist ein immerwährendes Summen und Knistern, denn die Entfernung ist groß genug, um den durch die Emsigkeit der Arbeiter hervorgerufenen Lärm bis auf geringe Schallwirkungen abzudämpfen.

Dann plötzlich ändert sich das Bild. Fast fluchtartig verschwinden die Arbeiter hinter Schutzwehren und in Stollen. Der ganze Berg erscheint wie ausgestorben. Mit Verwunderung schaut der Gast auf die nun menschenleeren Abbauterrassen und kann sich die spukhafte Veränderung nicht deuten. Da mit einem Male schießen Rauchwolken aus dem Berge - zwei, drei, vier ... da und dort - es folgt Knall auf Knall und fernhin rollt der Donner, von den ehernen Mauern der Felsen zurückgeworfen. Das Niederprasseln der vom Berge abgesprengten Trümmer hört sich - aus der Entfernung unseres Aussichtsplätzchens vernommen kaum stärker als ein Knistern an. Nachdem alle Dynamitminen aufgeflogen sind, belebt sich der Abbauort wieder mit den vielen Hunderten von geschäftigen Gestalten. Ständen wir dicht neben den Arbeitern, so würden wir gewahren, wie ein Mann vorsichtig die Sprengörter untersucht. Das ist der „Paßführer“, dem die Sorge für die richtige Wirkung der Minen obliegt. Ist die Nachschau vorüber, dann beginnt das „Abrenken“, das

Herstellung des Bohrloches für die Sprengminen.

Abtragen und Zerkleinern der zersprengten Felsbrocken. So geht es fort und fort von früh bis abend. Allerdings findet der Tagbau nur in der besseren Jahreszeit statt, während der Betrieb in den Stollen das ganze Jahr hindurch nicht unterbrochen wird. Diese Stollen liegen, wie schon erwähnt, hoch oben im Erzberge.

Wir wollen sie nicht bloß aus der Entfernung ins Auge fassen, sondern ihnen näher treten. Wir steigen also von dem Platze, wo der Schichtthurm steht, wieder nach Eisenerz hinab und den jenseitigen Abhang hinan. Gleich zu Beginn halten wir an. Was uns hierzu veranlaßt, ist eine kastellartige Erhöhung über dem Markte und auch das Bauwerk, das sich hier erhebt - Die Oswaldikirche - hat mehr von einer Trutzburg als von einem Gotteshause. Es ist

Die Barbarakapelle, das Bild der „Wunderstufe“ und Knappen in der „maximilianischen“ Bergtracht.

von einem herrlichen Rostton überhaucht - der Kunstverständige nennt ihn „Patina“ - und von altehrwürdigen bröckeligen Wallmauern mit vorspringenden Rundthürmen umschirmt. Ueber die Brustwehr herauf ragen die Wipfel von Fichten, an den Wallmauern glänzen die gelblichen Blüthenteller des Holunder.

Wundersame Lichter flimmern auf der sonnbeschienenen Trift, die sich weithin zu Füßen erstreckt. Wer aber auf mehr als Ruinen und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 672. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_672.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)