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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

„Zwanzig Jahr, Herr Lieutenant! Und ob ich heute abend nicht bei der Gesellschaft serviren helfen darf?“

„Ihr werdet was Schönes zusammenserviren – zwei Verliebte! Die armen Gäste! Na – Pascholl! – Kehrt – Marsch!“

„Vielen Dank auch, Herr Lieutenant! Wenn der Herr Lieutenant für die nächste Zeit noch etwas brauchen – eine Stunde bleib’ ich noch hier!“

„Sehr verbunden! Werde mir’s merken! Jetzt mach, daß Du fortkommst!“

Der Bursche verschwand, und Fritz, den das kleine Intermezzo erheitert hatte, griff, halb aufgerichtet, nach dem Couvert und riß es auf. Eine sehr fein ausgestattete Karte fiel ihm entgegen.

„Annie Gerold

Karl Delmont, Professor an der Kunstakademie,

Verlobte.“

Der Ulan schlug mit der geballten Faust auf das Tischchen, daß das Metall klirrte und die Ketten rasselten. Julchen fuhr mit einem entsetzten Laut aus ihrem friedlichen Schlaf empor und der Bursche steckte den Kopf zur Thür herein und fragte erschrocken: „Was befehlen der Herr Lieutenant?“

„Nichts – zum Donnerwetter! Schert Euch alle beide zum Teufel!“

Dies geschah, und Fritz blieb mit seiner Wuth allein.

„Es ist doch gleich zum … dieses Glück, das der Farbenreiber hat! Verlobte – jawohl – nimmt sich sehr schön aus – gratulire, Frau Professorin in spe! Mir ahnte so etwas – war mir gleich nicht wohl, als ich diesen interessanten Künstler um das Mädel herumspuken sah! Solch einen Geschmack zu haben! Einen schöneren Kerl als meinen Regi kenn’ ich wenigstens nicht und sie wird auch keinen kennen! Aus der Haut könnte man fahren!“

Ueber dem Haupt des schwergereizten Lieutenants begannen jetzt Schritte zu ertönen – immer gleichmäßig auf und ab, auf und ab, die ganze Länge des Zimmers herauf und herunter.

„Da geht er nun hin und her mit seinem Liebeskummer – der arme Teufel – dem wird die Sache heillos nahe gehen! Unsereins schüttelt sich ein paarmal, wettert unter die Rekruten, trinkt sich ’nen Gehörigen an, macht dem Gaul ordentlich zu schaffen – und aus ist es – aber der! Solch ein kokettes, herzloses Mädel! Na, das stimmt aber eigentlich nicht – sie ist doch ein süßes Geschöpf – und eben weil sie das ist, hätte sie nicht diesen … Jetzt hat der da oben womöglich auch solch eine schöne Anzeige in der Hand! Wird ihm ungeheuer erfreulich sein! Konnte dieser Maler sammt seiner Berühmtheit nicht sitzen bleiben, wo er gesessen hatte? Dann säß’ ich jetzt oben bei meinem Regi und braute uns ein feines Böwlchen und freute mich auf den Augenblick, wo ich der schönen Annie den innigen Vetterkuß auf das reizende Mäulchen drücken könnte! Ja Prosit! Jetzt kann ich mir den eigenen Mund wischen und zusehen, wie der Professor sie küßt! Ich will aber nicht zusehen – nein, ich thu’ es nicht! Daß diese kluge Thekla so etwas wie diese Verlobung zulassen konnte! Die hat es doch mit halbem Auge gesehen, wie es um Reginald stand – aber in Liebesgeschichten taugt kein einziges Frauenzimmer was – kein einziges, und wenn es noch so klug und so alt ist! Meine eigene Verlobungsidee ist mir förmlich verleidet! Wenn eine Annie Gerold so ist – was läßt sich dann von einer Hedwig Rainer erwarten? – Parsifal wird nicht übel wettern – die Flüche möcht’ ich hören – er kann ein ganzes Lexikon voll davon herausgeben. Na – Gott gnade seiner Schwadron! Aber mein armer Regi, wie er die Rennbahn auf- und abläuft! Die Zimmergymnastik wird ihm wenig helfen. Ob ich zu ihm hinaufgehe? Wenn er wenigstens Skat spielen könnte und wir hätten den dritten Mann“ – –

Dies war der Gedankengang des Lieutenants von Conventius anläßlich der Verlobung Annie Gerolds mit Delmont. – –

Sie machte viel von sich reden, diese Verlobung, denn in allen Schichten der Bevölkerung von F… interessirte man sich für die schöne Annie Gerold. Man hatte allgemein geglaubt, sie würde irgend einen Offizier heirathen, sie schien dazu wie geschaffen. Ihre Verlobung mit Professor Delmont schlug unerwartet wie eine Bombe in zahlreiche ahnungslose Gemüther und versorgte viele Familien auf längere Zeit hinaus mit Gesprächsstoff. Merkwürdig war es nur, daß, so allgemein beliebt auch Annie war, sich doch niemand so recht herzlich über ihre Verlobung zu freuen vermochte. Man war erstaunt, befremdet, überall hieß es: „Nein, aber diese Ueberraschung!“ oder: „Wer hätte doch das gedacht!“ – nirgends aber sagte man: „Das freut mich recht von Herzen – das giebt ein glückliches Paar!“

Das kam nun wohl daher, weil die wenigsten überhaupt Delmont kannten. Er hatte fast gar keine Besuche gemacht, in einigen Familien nur Karten abgegeben zu einer Zeit, da man zehn gegen eins wetten konnte, die Betreffenden nicht daheim zu finden. Und die wenigen Leute, die ihn bei einem kurzen Besuch gesprochen hatten, wußten entweder nicht, was sie aus ihm machen sollten, oder er war ihnen gar unheimlich. Seine Manieren ließen nichts zu wünschen übrig, sie waren die eines Mannes der großen Welt – wenn nur seine Augen nicht so müde und weltfremd geblickt hätten, wenn nur durch seine Worte nicht immer wieder diese grenzenlose Gleichgültigkeit gegen alles, was das Publikum sagt und denkt, sichtbar geworden wäre. Delmont erschien im Gespräch entweder matt und theilnahmlos oder herb und spöttisch – dies trug ihm den Ruf der Anmaßung und Unliebenswürdigkeit ein, und jedermann wunderte sich, wie die verwöhnte, gefeierte Annie Gerold einen so ungenießbaren Sonderling nehmen konnte, und bedauerte im voraus das Los, welches das reizende Wesen an der Seite dieses Mannes haben würde.

Die Leute vergaßen, daß selten einem Menschen so viel Gelegenheit zum Menschenstudium gegeben wird als einem berühmten Künstler – wohlverstanden, einem solchen, dem die „Berühmtheit“ nicht gleichsam in die Wiege gelegt worden ist, sondern der sich dieselbe mühsam Zoll für Zoll selbst erobert hat. Fällt nun solche Menschenkenntniß auf den Boden eines schon in früher Jugend verbitterten und zum Mißtrauen geneigten Herzens, das nie glückliche Illusionen gekannt hat, dann kann von einer harmonischen Charakterentwicklung keine Rede mehr sein. Schmeichelei, Neid, Verleumdung – Dinge, die der Künstler eher als jeder andere auf seinem Lebensweg findet! – lehren ihn, die Menschen geringschätzen, die niedrige Kriecherei derer, die sich dem bloßen Erfolg beugen, widert ihn an, er sucht seine Ideale nur in seiner Kunst, weil er daran verzweifelt, ihnen jemals im wirklichen Leben zu begegnen. Der Lorbeer schmeckt bitter – das ist eine alte Erfahrung!

Von Delmonts Vorleben ahnte niemand etwas; als er nach F. kam, hatte man sich bemüht, Biographien des Künstlers in den bekannten Tagesblättern aufzutreiben – allein umsonst. Man erfuhr durch die Redakteure, Professor Delmont verhalte sich allen derartigen Aufforderungen gegenüber durchaus ablehnend; er habe das Jahr seiner Geburt und die Stadt angegeben, in welcher er das Licht der Welt erblickt habe – Prag. Hier habe er bis zum vierten Jahre gelebt, sein Vater sei ein unbemittelter Kaufmann gewesen, der es bald hier, bald da habe versuchen müssen – die Familie habe nacheinander in verschiedenen Städten gelebt … was denn noch weiter zu sagen sei? In München, Paris und Rom habe er bei den und den großen Meistern studiert, dann sei er fast beständig auf weiten Reisen gewesen. Dringend ersucht, über seine innere Entwicklung als Künstler zu berichten, da die Welt, die von Bewunderung für seine bedeutenden Werke erfüllt sei, gewissermaßen ein Anrecht darauf habe, sei er diesem Ansinnen mit seiner ganzen Schroffheit entgegengetreten: das habe er nicht nöthig, dazu könne ihn kein Mensch zwingen, er sei kein Schriftsteller von Beruf und als solcher verpflichtet, Rechenschaft über sich abzulegen, man möge ihn in Ruhe lassen. Wer sich für seine innere Entwicklung interessire, der solle seine Bilder ansehen, in ihnen sei sie enthalten – wer daraus nicht klug werde, dem könne er nicht helfen!

Dies also war alles, was man von ihm wußte! Keine rührende, reizende Kindergeschichte, keine anekdotenhafte Jugend-Episode – kein reicher Gönner – keine ideale Mutter – kein poetischer Liebeshandel – nichts! Die Menschen mußten sich in der That damit begnügen, seine Bilder anzusehen, soviel davon ihnen zugänglich war – sie waren alle, trotz ihrer großartigen Einfachheit, oder vielleicht eben wegen derselben, von tief ergreifender Wirkung, diesem Eindruck vermochte sich kein Laie zu entziehen – aber was ein meisterhaft ausgeführtes Frauenbildniß, ein Sonnenaufgang am Ganges, ein Hinduweib mit seinem Kinde, eine prachtvoll lebendige Straßenscene in Bombay oder Kairo mit dem inneren Leben des Künstlers zu thun haben sollte – das fragten sich die Leute umsonst. –

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 778. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_778.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)