Seite:Die Gartenlaube (1890) 826.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

„Seit Sexta eine unangenehme Sache für mich!“ bemerkte Kurt ernsthaft, „darf ich fragen, wie es ausgefallen ist?“

„Sie hat gesagt, Du wärst ‚ganz nett‘!“ gab Lina zur Auskunft, stand auf und ging hinaus.

Die beiden blieben allein und schienen zunächst von ihrer Ungestörtheit wenig Vortheil ziehen zu wollen, denn keines von beiden sprach ein Wort.

Liesbeth nähte mit einem Eifer, als sollte sie ihr Brot damit verdienen, daß sie Cotillonschleifen anfertigte; das versäumte Rothwerden von vorhin hatte sich jetzt mit wahrhaft lähmender Heftigkeit eingestellt – sie hoffte im stillen, daß ihre Stellung mit tief gesenktem Kopf diese peinliche Thatsache verbergen würde.

Der junge Mann hatte in einem Sessel ihr gegenüber mit verschränkten Armen Platz genommen und sah sie lächelnd an.

„Ganz nett,“ sagte er dann, „nun, das ist ja immer schon etwas!“

„Das finde ich auch!“ brachte Liesbeth mühsam hervor. Sie fühlte sich namenlos beängstigt unter dem nachdenklich prüfenden Blick ihres Gegenübers und richtete mit der Schere erbarmungslose Verheerungen unter dem bunten Bande an.

Das Bettelarmband klirrte bei ihren unruhigen Bewegungen.

„Darf man das Armband einmal bewundern?“ frug der junge Mann harmlos und streckte die Hand danach aus, „ich habe gehört, die jungen Damen wissen darin ganz besonders raffinirte Dinge zu erfinden!“

„Um keinen Preis!“ rief Liesbeth, ganz blaß werdend, „das darf niemand sehen!“

„Hoho!“ sagte der Lieutenant, belustigt durch ihren Eifer, „das scheint mir ja eine gefährliche Sache zu sein! Aber ich bin diskret – ich bringe das Gespräch auf etwas anderes,“ fuhr er scheinbar ganz unbefangen fort, „ich wollte Sie schon dieser Tage immer nach jemand fragen – darf ich?“

Liesbeth fühlte alle Schrecken des Geächteten über ihrem Haupte.

„Bitte!“ erwiderte sie fast unhörbar.

„Als ich vor zwei Jahren durch A… kam,“ begann er langsam, indem er seine Augen noch immer fest auf ihrem Gesicht ruhen ließ, „und den vergeblichen Versuch unternahm, Ihrem Herrn Vater meine Aufwartung zu machen, da war bei Ihnen gerade großes Scheuerfest!“

„So?“ erwiderte Liesbeth anscheinend sehr verwundert.

„Ja, denken Sie ’mal!“ fuhr er gemüthlich fort, „und die Damen der Familie waren natürlich nicht sichtbar!“

„Natürlich!“ wiederholte Liesbeth mechanisch.

Kurt bückte sich tief, um ihr in die Augen zu sehen – ein erfolgloses Unternehmen, denn die dichten, schwarzen Wimpern hoben sich auch nicht um eine Linie weit.

„Da hatten Sie solch ein allerliebstes Stubenmädchen,“ sagte er lachend, „sie hieß Christel – was ist denn aus der geworden?“

Liesbeth warf einen hilflosen Blick umher und suchte nach einem Vorwand, das Zimmer zu verlassen – sie antwortete nicht.

„Ist sie noch bei Ihnen?“ frug der erbarmungslose Gegner weiter.

„Nein!“ murmelte Liesbeth.

Der Lieutenant lehnte sich in seinen Sessel zurück und sah zur Decke empor.

„Schade,“ meinte er nachdenklich, „es war das niedlichste Persönchen, das ich jemals gesehen habe!“

Liesbeth schwieg.

„Sie wird gewiß auch eine gute Hausfrau werden,“ bemerkte der Lieutenant mit einem halb ernsten, halb neckenden Blick auf das Mädchen, „meinen Sie nicht?“

„Ich hoffe!“ erwiderte Liesbeth tapfer, mit dem Muth der Verzweiflung.

„Ich hoffe auch!“ sagte der junge Mann jetzt in einem plötzlich ganz ernsthaften Ton, „und wissen Sie, was ich mir eigentlich ausgedacht habe?“

„Nein – das kann ich doch unmöglich wissen!“ stammelte Liesbeth mit einem letzten Versuch, unbefangen zu sein.

„Ich wollte immer nur ein Mädchen heirathen wie jene Christel,“ gab er ruhig zurück, „glauben Sie, daß sie mich nehmen würde?“

Liesbeth stand hastig auf – die Bandschleifen flatterten wie aufgescheuchte Vögel von ihrem Schoß herunter zur Erde.

„Das weiß ich nicht!“ flüsterte sie fast unhörbar.

Er lachte etwas verlegen.

„Nun wahrhaftig, ich weiß es auch nicht!“ sagte er und stand auf, „aber wie denken Sie denn darüber?“ fuhr er fort und faßte die Hand mit dem Bettelarmband, die Liesbeth ihm nicht entzog.

„Fragen Sie sie doch!“ erwiderte sie und hing den Kopf.

Da ging das Bettelarmband auf und fiel kirrend zur Erde – er lag schon auf einem Knie, hob es auf und hielt es ihr hin.

„Ich habe noch keine Antwort,“ setzte er dringend hinzu.

„Sehen Sie sich doch das an!“ flüsterte Liesbeth in tiefster Verlegenheit.

Er hielt das kleine, rasselnde Ding in der Hand und warf einen verständnislosen Blick darauf.

„Ich begreife nicht!“ sagte er dann und zuckte die Achseln.

„Das ist ja die Mark, – die Sie – die Sie – die damals die Christel als Trinkgeld bekommen hat,“ rief Liesbeth und machte nach diesem Bekenntniß einen kühnen Versuch, an ihm vorbei zur Thür zu gelangen.

Aber er hielt sie fest.

„Liebe Liesbeth!"“ sagte er mit ganz unsichrer Stimme und feuchten Augen, „aber wissen Sie – das finde ich furchtbar rührend von Ihnen!“ –

Und als Lina fünf Minuten später wieder ins Zimmer kam, fand sie ein glückseliges Brautpaar, und die Cotillonschleifen lagen alle am Boden. Sie konnte sich in ihrer stürmischen Freude über diese Wendung der Dinge aber doch nicht enthalten, triumphierend zu bemerken: „Habe ich Dir’s nicht gleich gesagt, Liesbeth, daß Du Dich in ihn verlieben würdest?“

„Als wenn ich das jetzt erst gethan hätte!“ rief Liesbeth glücklich und unvorsichtig.

Die Eltern unserer kleinen Freundin waren zuerst nicht sehr entzückt über das Ergebniß dieses Ausfluges in die Welt. „Kaum hat man etwas an den Töchtern, da verloben sie sich – natürlich!“ brummte der Oberstlieutenant.

Aber dieses „natürlich“ hatte doch einen starken Beigeschmack voll Wohlgefallen und geschmeichelter väterlicher Eitelkeit.

An Liesbeths Polterabend trat die „Christel“ natürlich in höchsteigner Person mit Staubtuch und Besen auf und gab allen anwesenden jungen Damen den Rath, bei vorkommenden Scheuerfesten ja fleißig Hand anzulegen – wie Figura zeige, sei das oft eine ganz glänzende Spekulation.




Die Weissagespiele der Zwölfnächte.

Von Alexander Tille. Mit Abbildungen von E. Limmer.

Soweit Germanen wohnen, soweit reicht auch die Heiligkeit der „Zwölfnächte“ um die Zeit der Wintersonnenwende. Als der Augenblick, in welchem die Sonne ihre niedersteigende Bahn verläßt und umkehrt, um einen neuen Jahresreigen zu führen, gilt im Volksglauben allgemein die Nacht vom 24. zum 25. Dezember, die Christnacht oder der Heilige Abend, an dem die jüdisch-christliche Überlieferung den Rabbi Jesus geboren werden läßt. Ursprünglich schlossen sich die „Zwölf Hilligen Tage“ offenbar so an diese Nacht an, daß sechs vorausgingen und sechs folgten. Dieser Stand der Dinge hat sich bis heute nur in engen Grenzen noch rein erhalten und meist Verschiebungen erlitten, die wohl in der Hauptsache auf die Entführung des Gregorianischen Kalenders an der Stelle des Julianischen zurückgehen, wenn dieselbe auch noch nicht alles ausreichend erklärt. In dem größten Theile Deutschlands versteht man unter den „Zwölf Nächten“ die Zeit vom Heiligen Abend bis zum Dreikönigstage, in Bayern die Zeit vom Thomastage bis zu Neujahr, und in Franken sowie in Mecklenburg die Spanne vom 2. bis zum 13. Januar. In Bayern ist das Ursprügliche also am reinsten erhalten. In Franken und Mecklenburg kommt man mit einer einfachen Verschiebung um elf Tage aus. Die gemeindeutsche Rechnung hingegen muß unerklärt bleiben.

Die Zwölfnächte sind die eigentliche Zeit des Waltens übernatürlicher Mächte, die Zeit, in welcher der Mensch eine Frage frei hat an das Schicksal und wohl auf Antwort hoffen darf, wenn er nur richtig zu fragen versteht. Der Sturmwind der Weihnacht, das Knospen der Bäume, das Reden der Thiere im Stalle, das Gerathen der Weihnachtsstollen und

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 826. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_826.jpg&oldid=- (Version vom 28.5.2023)