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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Herz entzwei, wenn sie mich so rasch schon hergeben soll, und darum – ihm darf ich das gar nicht sagen – “

„Sie stehen nicht herzlich miteinander, die beiden?“

Annie schüttelte den Kopf, und ihre Augen schimmerten feucht. „Nicht so, wie ich mir’s gedacht – nicht so, wie ich es für Thea gewünscht hatte! Wie Bruder und Schwester sollten sie sich lieben, meinte ich immer, und ich hatte geglaubt, es würde ein Zusammenleben zu Dreien werden; ich habe mir alle Mühe gegeben, es so zu getalten, aber es geht nicht – nein, es geht durchaus nicht!“

„Aber Du bist glücklich, Liebling, nicht wahr?“

„Unendlich, Hedwig! Aber sieh, es ist kein ganz vollkommenes Glück – das mag es wohl auf der Welt überhaupt nicht geben! Wenn ich immer nur an mich allein denken wollte – o, da bliebe mir nichts zu wünschen! Aber nun habe ich mein großes, ganzes Lebensglück für mich allein, und Thea, die mich mit so viel Liebe erzogen und mir tausend Opfer gebracht hat, sie, die so zahllose Dinge entbehren muß, steht von ferne und ist ausgeschlossen von meinem Glück! Sie kann ja Karl unmöglich lieben, denn sie kennt ihn nicht! Niemand kennt ihn, so wie ich ihn kenne, weil er sich keinem so giebt wie mir!“

Frau Weyland zog Annies kleines, süßes Gesicht zu sich herab und küßte die feuchtschimmernden Augen; ihr Herz zog sich schmerzlich zusammen, ihr war beklommener zu Sinn als je! –

Indessen spielte Professor Delmont den liebenswürdigen Gastgeber – er öffnete seine Sammel- und Skizzenmappen, erläuterte dies und jenes, schloß seine in den Ecken stehenden, schweren Truhen auf und nahm herrliche Decken in Buntstickerei aus Tunis und Kairo heraus, zeigte Tschibuks und arabische Schmucksachen, türkische Kostüme und japanische Lack- und Flechtarbeiten vor, beschenkte die Damen mit hübschen, werthvollen Kleinigkeiten, kurz, er war so zugänglich und freundlich, daß Mutter und Tochter Rainer ihm innerlich Abbitte leisteten und der Lieutenant es nicht mehr ganz so unbegreiflich fand, wie ein kluges Mädchen „diesen wunderlichen Kauz von Farbenreiber“ überhaupt lieben könne.

Dann setzte man sich nach stundenlangem Fragen, Staunen, Bewundern um den runden Tisch und sprach dem Wein und den Früchten zu. Ego streckte sich zu Annies Füßen hin und schloß wohlgefällig die Augen, als diese kleinen Füße sich auf seinem breiten Rücken kreuzten; Delmont hatte ein Stück goldleuchtenden Brokats, schwer wie Leder, aufgestöbert, das drapirte er um Annies Gestalt und setzte ihr dazu ein venetianisches Perlenkäppchen auf das kastanienbraune Haar. Wie eine entzückende Dogaressa aus der versunkenen Dogenherrlichkeit, so saß das phantastisch geschmückte Mädchen auf dem alterthümlich geschnitzten Lehnsessel, das hohe Spitzglas mit dem dunkeln Wein in der Hand – „ein Bild zum Malen!“ wie Fritz von Conventius begeistert rief. Er konnte es Delmont nicht verdenken, daß er die schöne Braut unverwandt mit Augen ansah, aus denen ein verzehrendes Feuer brannte – er selbst vermochte kaum den Blick von ihr zu wenden! Gewiß, er war ein glücklicher Bräutigam, und das „Mäuschen“ lag ihm sehr am Herzen – aber diese Annie Gerold war doch ein unvergleichliches Geschöpf! Armer Reginald! –

Die Sonne war schon hinunter, und durch die gewaltigen Scheiben der Atelierfenster sah schon der in voller Pracht des Abendroths erglühende Himmel herein, als die kleine Gesellschaft sich endlich zum Aufbruch rüstete. Annie legte ihre schwere königliche Pracht beiseite und setzte statt des Perlenkrönchens ihren weißen Federhut auf, der ihr Gesichtchen äußerst reizvoll beschattete, – Ego blieb bei den halbgeleerten Weingläsern und Fruchtkörben als Wache zurück, und die Paare setzten sich heiter plaudernd und lachend in Bewegung, um sich an der nächsten Straßenecke zu trennen. Hier war es, wo Delmont und seine Braut die Begegnung mit Reginald von Conventius hatten.

Annie war unwillkürlich stehen gebliehen und hatte ihm nachgesehen.

„Was mag ihm gefehlt haben?“ fragte sie zaghaft. „Er sah so ganz verändert aus, und fast war es, als verursachte ihm unser Anblick einen heftigen Schreck!“

„Er beneidet mich um mein Glück, Herzliebste und ich kann’s ihm weiter nicht verdenken!“

„Nein, nein, das ist es nicht gewesen – das allein sicher nicht! Sahst Du nicht, wie er mit einem Male blaß wurde, blaß wie ein Sterbender, und wie es ihn durchzuckte, als habe ihn ein elektrischer Schlag berührt?“

„Du hast ihn merkwürdig gut beobachtet, den schönen und interessanten Pfarrer zu Sankt Lukas –“

„O Karl! Du weißt, daß ich es nicht ertrage, das zu hören! Ist das nun gut und großmüthig, mich immer damit zu quälen, Liebster?“

„Nein! Aber ich bin auch nicht gut und großmüthig – ich quäle, was ich liebe, und mache Dich, mein einziges Leben, unglücklich – und mich selbst dazu!“

„Karl!“

Sie waren am Geroldschen Hause angelangt – Annie zog die Glocke, und sie traten in den weiten, halbdunkeln Hausflur.

„Kommst Du nicht mit mir hinein?“

„Nein – ich habe Dich doch nicht allein für mich! Wollte Gott, Du wärst erst mein Weib! Annie, mein Herz, mein Alles – meine Welt –“

Er küßte sie, als wollte er ihre Seele in sich trinken – dann trat er rasch über die Schwelle zurück. –

Und Annie lief hastig durch den Flur in ihr Zimmer. Sie wollte Thekla nicht sehen lassen, daß sie weinte – sie hätte ja nicht zu sagen gewußt, warum! Aber sie weinte vor sich hin, unaufhaltsam und leidenschaftlich – es bedrohte sie etwas – ihr Herz zitterte vor einem großen Verlust – und doch wußte sie nicht, wovor es ihr bangte!

*      *      *

Fritz von Conventius hatte „seine Damen“ nach Hause begleitet, und es war ihm ganz gelegen gekommen, daß seine zukünftige Schwiegermutter erklärte, das viele Umherstehen und Beschauen habe sie etwas angegriffen und sie gedenke, sich heute früher als sonst zur Ruhe zu begeben. Die kleine Braut, die sich noch auf ein zärtliches Plauderstündchen mit dem Herzliebsten gefreut hatte, sah ein wenig traurig und enttäuscht aus, aber Fritz wußte es ihr so überzeugend vorzustellen, daß morgen auch noch ein Tag sei und wie er morgen wenig Dienst habe, daher früher abkommen könne, daß sich ihr Gesicht allmählich aufhellte und sie ganz gefaßt von ihrem hübschen Ulanenlieutenant Abschied nahm.

Dieser ging in straffem Rhythmus, von Säbel- und Sporengeklirr begleitet, seines Weges, aber er war tief in Gedanken dabei. Thor von Hammerstein, der ihm begegnete und ihn zu einem Abendschoppen im „Kyffhäuser“, einem berühmten altdeutschen Wein- und Bierlokal, verführen wollte, erfuhr eine deutliche Ablehnung von ihm und mußte allein seinem edlen Ziel zustreben. Dafür nannte Parsifal den neugebackenen Bräutigam in der Stille einen Philister, der schon vor der Ehe sträflich solid sei, und Fritz dachte bei sich: „Dies alte Nilpferd schwemmt seinen sogenannten Herzenskummer jetzt mit Spatenbräu oder Château Larose hinunter. O, reiner Thor, wenn Du – durch Mitleid wissend – ahntest, wen ich soeben stundenlang bewundert habe!“

Es war eine ziemlich späte Stunde, als der Lieutenant vor seiner Behausung anlangte; zu seinem Erstaunen gewahrte er von der Straße aus in seinem Wohnzimmer Licht. Sollte sein Bursch, dieser leichtfertige Schlingel, in dem Glauben, sein Herr bringe den Abend bei der Braut zu, mit gleichgestimmten Freundesseelen dort ein Gelage feiern? –

Fritz zog den Schleppsäbel an sich und ging auf den Fußspitzen über den Flur – er wollte den Missethäter überraschen. Das Oeffnen der Thür ging geräuschlos von statten, jetzt stand er auf der Schwelle seines Wohnzimmers, und dort blieb er wie festgewurzelt stehen – denn vor der hellbrennenden Lampe saß sein Vetter Reginald mit einem bleichen, verstörten Gesicht und fieberhaft leuchtenden Augen, und mit diesen Augen starrte er wie ein Geistesabwesender vor sich hin.

Der erste klare Gedanke, den Fritz hatte, war der: er will in ein Duell auf Tod und Leben gehen und wünscht dich zum Sekundanten – darum ist er hier! Dann fiel es ihm ein, daß Reginald ja Geistlicher sei – eine Thatsache, die der Lieutenant, angesichts der ritterlich schönen Erscheinung des Vetters, auch jetzt

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