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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Zenzi knixte abermals und verschwand mit einem langen Seitenblick auf den schönen, blonden Mann, der weder Gruß noch Scherzwort für sie gehabt hatte.

„Das ahnungslose Wort Gottes! Jetzt thut er’s der Kellnerin an, ohne seine Augen nur aufzuschlagen!“ dachte Fritz für sich und forderte seinen Gefährten auf, sich umzusehen und ihm zuzugeben, daß es hier wirklich hübsch sei.

Ja – Reginald sah sich um und gab es zu. Der sauber gepflegte Garten wies nichts von der üblichen Nüchternheit sonstiger Restaurationsschauplätze auf – es gab liebliche, versteckte Plätzchen in ihm, buschige Anlagen, saftiges Rasengrün und eine Fülle verschiedenfarbiger Rosen zwischen würzig duftenden Nelkenbeeten.

Ab und zu trat ein einzelner Gast durch das Gitterthor und ging an den beiden, die bei ihrem Bierkrug und Rettig saßen, vorüber tiefer in die Anlagen hinein. So auch jetzt eben wieder: ein hochgewachsener, vornehm aussehender Herr schlenderte, von einem wunderschönen Rassehund begleitet, gemächlichen Schrittes den Kiesweg entlang; er stutzte und blieb etwas unschlüssig stehen, als er die beiden Vettern unter den Ahorn- und Lindenbäumen gewahrte.

„Du, Regi,“ raunte der Lieutenant hastig seinem Gefährten zu und erhob sich von seinem Sitz, „ist Dir’s sehr peinlich, mit dem Professor Delmont zusammenzuprallen? Wie der hierherkommt? ’s hilft aber alles nichts, ich muß den Mann anreden, ich bin erst neulich in seinem Haus gewesen, und er machte den liebenswürdigsten Wirth, – das darf nicht ungerochen bleiben! Ergebenster Diener, verehrter Herr Professor! Welcher Wind weht Sie in diesen verborgenen Erdenwinkel?“

„Vermuthlich derselbe, der Sie hierhergetrieben hat!“ erwiderte der Angeredete freundlich, zog den Hut, schüttelte Fritzens dargereichte Hand kräftig und verneigte sich gegen den Prediger. „Durch Zufall habe ich diesen hübschen, stillen Garten entdeckt, in dem man vor lästigem Jubel und Trubel sicher ist, und da meine Braut heute für den beabsichtigten Morgenspaziergang vor allerlei Aussteuersorgen nicht zu haben war, so wußte ich nichts Besseres zu thun, als eben hierher zu kommen, weil mir zum Arbeiten die Stimmung fehlte.“

„Lange wird dies anmuthige Idyll hier nicht währen!“ sagte Fritz gedankenvoll und griff nach einer kleinen hellgrünen Raupe, die sich an einem langen Faden von der nächststehenden Linde heruntergelassen hatte und sich dicht vor seinen Augen hin- und herschaukelte. „Andere Leute werden auch so klug sein, herauszufinden, daß sich’s hier gut hausen läßt – und in kurzer Zeit wird man hier im Garten kein leeres Plätzchen mehr finden, das edle Bier wird getauft werden, und aus dem lieblichen Naturkind Zenzi wird eine abgefeimte Bedienungsmamsell geworden sein!“

„Welch ein düsteres Mene Tekel!“ schob Delmont lächelnd ein.

„Glauben Sie’s mir immer dreist, Herr Professor – in Wirthshausfragen bin ich Autorität – meine Berühmtheit auf diesem Gebiet dürfte freilich bedeutend geschmälert werden, wenn ich meinen Nacken unter das sanfte Joch der Ehe beuge! – Nun, Ego, alter Freund, kennst Du mich noch?“

Das schöne Thier bewegte den buschigen Schweif und sah mit seinen sprechenden Augen zu dem Lieutenant empor.

„Was er doch zu meinem Julchen sagen würde! In ihrer Art ist sie auch ein Original, sehr gelehrig und für Schnepfen und Wildenten geradezu erstaunlich begabt – ’s ist eine Freude, mit Julchen auf die Jagd zu gehen – mehr mit ihr anzufangen als mit manchem Kameraden – in allem Ernst!“

Fritz sprach etwas gezwungen und lachte laut über seinen eigenen Witz; es war ihm peinlich, daß Reginald, sonst der formgewandteste Gentleman, mit keiner Silbe an dem Gespräch theilnahm, sondern stumm, mit niedergeschlagenen Augen, beiseite stand. „Was hat er denn nur?“ dachte der Offizier ungeduldig. „Früher oder später mußte er doch auf ein Zusammentreffen mit Delmont gefaßt sein, und er braucht es ihm wahrhaftig nicht mit dieser Geflissentlichkeit zu zeigen, daß er es nicht verwinden kann, von der schönen Annie um seinetwillen zurückgewiesen worden zu sein! Jetzt steht er da wie der steinerne Gast und macht ein Gesicht, als wäre der Professor der leibhaftige Gottseibeiuns. Es bleibt mir nichts übrig, als Regi zu entschuldigen, zumal der Professor schon ganz mißtrauisch zu ihm herübersieht!“

In der That hafteten Delmonts große Augen mit befremdetem Forschen auf dem Antlitz des Geistlichen – auch ihm schien es unglaublich, daß Conventius, ein Aristokrat, ein Mann der großen Welt, der ihre Formen vollkommen beherrschte, diese auffällige Zurückhaltung zur Schau trug, weil er einen bevorzugten Nebenbuhler vor sich sah!

„Sie müssen gütigst meinen Vetter entschuldigen, er ist heute kein ganz normaler Mensch!“ begann Fritz und nestelte an seinem Säbel. „Sie lesen wohl keine Zeitungen, Herr Professor?“

„Nur die Nachrichten über Kunst und Wissenschaft und das Allernothwendigste von Politik – anderes niemals.“

„Es kommt auch erst jetzt, nachdem alles vorüber ist, eine kurze Mittheilung in die deutschen Blätter – es handelt sich nämlich um einen Anarchisten und Mörder, der heute hingerichtet wurde und den mein Vetter in seiner Eigenschaft als Gefängnißprediger –“

„Ich bitte Dich, Fritz,“ unterbrach ihn nähertretend der Pfarrer von Sankt Lukas plötzlich mit offenbarer Unruhe und Aufregung, „was soll das alles? Brich ab von diesem Thema, nenne keinen –“

„Aber was ficht Dich denn an?“ fiel ihm der Lieutenant ins Wort, nun auch seinerseits ärgerlich, daß Reginald ihm den einzigen Milderungsgrund seines „wirklich ganz unparlamentarischen Betragens“ nicht gestatten wollte, auszusprechen. „Du thust gerade, als sei das alles ein Staatsgeheimniß! Heute noch kann Professor Delmont, wenn er Lust dazu hat, den Namen in allen Abendzeitungen lesen. Also der Mann hat sich in verschiedenen großen Städten auch verschiedene Namen gegeben, einmal nannte er sich Heller, ein andermal Deaks – sein eigentlicher Name aber ist Heinrich Schönfeld, und er stammt aus Hamburg.“

Hier hielt der Lieutenant inne und es wurde ihm seltsam und unbehaglich zu Muth. Delmont war fahl im Gesicht geworden, hatte sich vorgebeugt und starrte mit einem Ausdruck banger Frage und ungläubigen Schreckens in Reginalds Antlitz – dies Antlitz aber war urplötzlich dunkel erröthet, bis unter die Haarwurzeln in Purpurgluth getaucht – die Augen blieben beharrlich gesenkt, der Athem des Mannes kam und ging rasch und hörbar. So wie der Pfarrer von Sankt Lukas da stand, sah er – nicht Delmont! – aus wie das verkörperte Schuldbewußtsein!

Fritz sah von einem zum andern in der tiefen Stille, die seinen Worten gefolgt war; er wußte nicht, was er in seiner Verwirrung denken sollte – das eine fühlte er deutlich: hier lag irgendwo der Schlüssel zu Reginalds seit kurzem so auffällig verändertem Wesen. Was, ums Himmels willen, konnte ihm denn geschehen sein?

Da fühlte der Ulanenlieutenant mit einem Male eine Hand auf seiner Schulter, und er fuhr so heftig herum, als hätte ihn eine Natter gestochen.

„Wetter, Conventius, müssen Sie ein schlechtes Gewissen haben!“ rief Lieutenant Gründlich lachend und legte grüßend die Hand an die Mütze. „Verzeihen die Herren, daß ich Ihnen da so ohne weiteres in Ihr tête-à-tête falle, ich hätte aber gern mit dem Kameraden Conventius ein Wörtchen unter vier Augen gewechselt – soviel kann ich ja verrathen: es handelt sich um das Festessen zu Ehren unseres scheidenden Obersten. Jammervoll, daß er geht, einen solchen Vorgesetzten können wir uns künftig nur abmalen! Ihr Vetter Fritz, Herr von Conventius, hat von uns allen im Regiment entschieden den glücklichsten Arrangirmuskel, eine beneidenswerthe Naturanlage, und ich hoffe, seine Bräutigamspflichten werden ihn nicht verhindern, uns seine Fähigkeiten bei dieser feierlichen Gelegenheit zur Verfügung zu stellen. Für die Herren hat dies natürlich gar kein Interesse – Sie entschuldigen es daher wohl, wenn ich Ihnen den lieben Fritz auf eine kurze Weile entführe! Einstweilen habe ich die Ehre! – Also, Conventius, wir hatten zunächst gedacht, um die Sache würdig einzuleiten …“

Damit faßte Gründlich seinen Kameraden unter den Arm und führte ihn, eifrig in ihn hineinredend, ein Stück weiter, einem kleinen, von Weidengebüsch umstandenen Weiher zu, neben welchem die beiden Offiziere, gänzlich außer Gehörweite und durch ein paar schlankaufgeschossene Birken auch den Blicken entzogen, stehen blieben.

Reginald von Conventius und Delmont standen einander allein gegenüber, – – beide wie von einem Bann umfangen –

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 874. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_874.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)