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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Last gelegten Verbrechens für überführt erachtet und zu einem Jahr Gefängniß und Ehrverlust verurtheilt. Einstweilen gegen Kaution freigelassen, sammelte Lebram so viel neue Belege für seine Schuldlosigkeit, daß er die Wiederaufnahme der Untersuchung durchsetzte; der Unschuldsbeweis wurde jetzt so überzeugend geführt, daß sich endlich auch die Mädchen herbeiließen, ihre gewissenlose Anzeige als falsch zu bezeichnen, und das Gericht in Uebereinstimmung mit dem Staatsanwalt den Angeklagten nicht bloß freisprach, sondern auch die Kosten der Vertheidigung der Staatskasse auferlegte. Das aber war nicht mehr zu beseitigen, daß Mann unter dem Drucke seiner Lage inzwischen nicht nur geistig und körperlich, sondern auch finanziell zusammengebrochen war. Fr. Helbig.     




Deutsche Träume

Kreuz des Südens, deine Sterne
Glänzen uns am Himmelszelt,
Und in weiter Erdenferne
Winkt uns eine neue Welt.
Mögen Dichter müßig schweifen,
Während Zeus die Erde theilt:
Völkern ziemt es, zuzugreifen
Unverzagt und unverweilt.

Deutsche Träume, hoffnungstrunken
Fliegt ihr fernen Landen zu,
Wo ein Welttheil schlafversunken
Jetzt erwacht aus tiefer Ruh,
Schwelgt in künft’gen Paradiesen,
Die das Wunderland verheißt,
Seit den trägen schwarzen Riesen
Auferweckt der deutsche Geist.

Rauchen seht ihr schon die Schlote
Auf den ungeheuren Seen,
Und vom Mast beschwingter Boote
Uns’res Reiches Banner wehn.
Rings umschattet von Bananen
Manche prächt’ge Villa ruht!
Unter schimmernden Altanen
Brandet des Nyanza Fluth.

Stadt an Stadt mit Zauberschnelle
Wuchs, vom Palmenhain umhegt,
Wo des Tanganjika Welle
Sturmgepeitscht das Ufer schlägt.
Und an Bagamoyos Strande,
Welch ein bunter Weltverkehr!
Welch ein Volksgewühl am Lande,
Welch ein Mastenwald im Meer!

Deutsche Träume, ferne Zonen
Haben euch berauscht genug!
Wiegt euch nicht auf Palmenkronen,
Lenkt zum Vaterland den Flug!
Auf den heimathlichen Eichen
Mögt ihr euern Horst erbaun!
Fernher flammt ein Feuerzeichen
Drohend auf durch Nacht und Grau’n.

Leichter ist’s, zu überbrücken
Meer auf Meer mit Muth und Kraft,
Als des Abgrunds finst’re Tücken,
Der zu unsern Füßen klafft.
Wie ersehnt den innern Frieden
Das zerspalt’ne Vaterland!
Reich und arm sei nicht geschieden,
Reiche sich die Bruderhand!

Ueber den empörten Wogen,
Aufgepeitscht von Neid und Groll,
Wölbe sich der Regenbogen,
Friedlicher Verheißung voll!
Der Verzweiflung Banner hebe
Nie empor die bitt’re Noth,
Und der Heimath Boden gebe
Allen ihren Kindern Brot!

Südlich Kreuz, auf fernen Meeren
Strahlst du deutscher That und Macht;
Doch ein Sternbild hoher Ehren
Leuchtet hell durch uns’re Nacht.
Keiner zög’re, keiner säume,
Ihm zu opfern, froh bereit,
Dreigestirn der schonten Träume:
Freiheit, Liebe, Menschlichkeit.

 Rudolf v. Gottschall.




Neunzig Jahre Frauenmode.

Von Cornelius Gurlitt.0 Mit Zeichnungen von O. Seyffert.
I.

Als die zwölf bedächtigen Schläge der verschiedenen Thurmuhren der Welt in der Sylvesternacht zwischen 1800 und 1801 verkündeten, daß das 19. Jahrhundert christlicher Weltordnung beginne – damals ging es nirgends in der Welt lustiger zu als in Paris.

Der furchtbare Druck der Revolution, der Schreckensherrschaft war von der Stadt gewichen. Geordnete Mächte begannen sich wieder geltend zu machen, der eiserne Bonaparte war erster Konsul geworden. Jahrelang hatte aller feinere gesellige Verkehr schweigen müssen. Ueber der vom Aufruhr durchwühlten Stadt hatte der gespenstische Dampf stets neu vergossenen Blutes schwer gelastet. Wer vornehm, wer lebenslustig gewesen war, den hatte das mörderische Fallbeil bedroht.

Nun war der Umschwung ein vollständiger. Auf den Trümmern der zerschlagenen alten Gesellschaft – das war die lebenslustige, lockere Welt des Rokoko gewesen – entstand eine neue; die alten Grenzen der Sitte, welche jene locker genug zusammengehalten hatten, waren zertrümmert, neue noch nicht aufgebaut. Die Gesetze, welche Jahrhunderte lang in Frankreich gegolten hatten, waren vor dem Hauch des Freiheitsdranges dahingeschmolzen und die von der Revolution eingeführten hatten im Bewußtsein der Nation noch nicht Boden gefaßt. Nur ein Recht schien für die nach langem Fasten doppelt vergnügungsdurstigen Kreise zu gelten: sich zu entschädigen für die Zeit des Schreckens und – wenn sie wiederkomme – die Zwischenzeit wenigstens gut benutzt zu haben!

Die Frauen waren am meisten außer Rand und Band gekommen. Die Revolution hatte die Fesseln, welche sie zurückhielten, zersprengt. Sie hatte Tausende von Männern in der Blüthe ihrer Jahre hingemordet, Tausende von Frauen in ihre Strudel gezogen. Die Ehescheidung war eingeführt worden. Noch hatte die Gesellschaft die Ansichten des Rokoko über die eheliche Treue; noch galt der Mann für den lächerlichsten Liebhaber, den eine Frau haben könne. Aber früher duellirten sich zwei Rivalen – freilich ein meist sehr ungefährliches Auskunftsmittel – jetzt war man prosaischer: man ließ sich scheiden. Auch hier lockte das Neue. Das Zerwürfniß wurde dadurch unendlich viel größer, die Schande verlor ihre Schrecken für die Frauen von Welt. Lustig leben, das war der alle beherrschende Gedanke.

„Noch nie waren die Sitten zügelloser, die Vergnügungsjagd wüthender bei unseren Schönen als jetzt!“ ruft ein Kenner der Pariser Welt jener Zeit. Er erzählt, die Sitte, als Herr gekleidet sich auf der Straße sehen zu lassen, sei so allgemein, daß viele „Männinnen“ gar keine weibliche Garderobe mehr besäßen. Es sei ja auch billiger so: ein Paar Halbstiefel, Pantalons von aprikosenfarbigem Sammet, ein Redingot mit drei Kragen sei alles, was man zum Herrenanzuge brauche.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1891, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_008.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2023)