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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

andern einen Veilchenstrauß, einen Strauß, wie man ihn fertig im Laden kauft, arme welke Dinger. die so gern ihre Köpfchen senken würden, wenn der Draht es ihnen nur erlauben wollte.

Antje sah nicht den halb verlegenen, halb ärgerlichen Ausdruck in ihres Mannes Auge, nicht die fast verwelkten Blüthen; sie sah nur, daß er gekommen war, daß er ihr Blumen brachte, daß er den heutigen Tag doch nicht vergessen hatte.




Leo Jussnitz war an diesem Nachmittage gerade noch zur rechten Zeit auf dem Bahnhof angelangt, um in den ersten besten Wagen zu springen; die Pfeife des Zugführers schrillte bereits das Signal zur Abfahrt, da riß der Schaffner noch eine Thür auf und schob ihn hinein. Sein Jahresabonnement galt für die erste Klasse, er befand sich in der dritten, und zwar in dieser Abtheilung allein mit einer Dame. Zunächst hatte er ihrer nicht acht; es war so eine abscheuliche Luft hier innen, und er trat ans Fenster, um es zu öffnen. Ehe er es aber that, wandte er sich, den Hut lüftend, um: „Sie gestatten, mein Fräulein?“

Der Kopf unter dem breitrandigen Filzhut hob sich ein wenig. „Bitte sehr!“ antwortete eine klare Stimme.

Leo Jussnitz warf einen flüchtigen Blick unter den schattenden Hutrand und erblickte zwei dunkle, fast unnatürlich große Augen. Das Fenster ward zur Hälfte geöffnet, und er nahm Platz ihr gegenüber und betrachtete sie. Er sah einen kleinen Mund, brennendrothe Lippen und ein zierlich geformtes Kinn. Das kurze Näschen und die zwei brennenden Augen blieben im Schatten des Rembrandthutes. Wo, um Gotteswillen, hatte er dieses Gesicht schon gesehen?

Sie senkte den Blick unter seinem Anschauen; es waren auffallend lange dunkle Wimpern, die jetzt auf der blassen Wange ruhten. Er hatte das alles schon gesehen, gerade so, und plötzlich stand vor seiner Seele das Bild des väterlichen Gartens in der kleinen märkischen Stadt, und über den Zaun aus Weißdorn, der das Nachbargrundstück von dem eigenen schied, sah ein blasses Mädchengesicht mit großen dunklen Augen, und diese Augen winkten und lockten und zogen ihn, den achtzehnjährigen Gymnasiasten, bis er an der Hecke stand und zwei schmale Hände erfaßte, die sich wie Schnee von dem dunklen Grün der Blätter abhoben. Und der Mond schien dazu, und über dem Flüßchen drüben im Schloßgarten sang die Nachtigall, und er küßte die rothen Lippen.

Aber sie konnte es nicht sein, es lagen sechzehn Jahre zwischen jener Zeit seiner ersten Liebe und heute. Und dieses junge Geschöpf da vor ihm zählte vielleicht zwanzig Jahre. Wieder sah er sie an, die Erinnerung war so lebhaft, daß sie ihn förmlich verwirrte.

„Toni von Zweidorf!“ sagte er halblaut.

Ein leises Lachen antwortete ihm. „Kennen Sie mich denn?“ fragte das Mädchen. „Aber die Toni bin ich doch nicht – ach, die gute Toni! Ich bin ja die Jüngste, die Hilde.“

„Hildegard von Zweidorf – aus Altwedel?“

Sie nickte. „Und Sie, mein Herr?“

Er nahm den Hut ab und murmelte seinen Namen.

„Sie haben die Toni wohl früher gekannt?“ fragte das junge Mädchen und drückte ihre schlanke Gestalt so behaglich wie es anging an die harte Holzwand des Wagens.

„Ja, mein Fräulein.“

„Aber dann müssen Sie mich doch auch gesehen haben!“

„Sie waren damals noch ein Kind, Fräulein von Zweidorf, und werden sich schwerlich auf den großen Gymnasiasten besinnen, der mit Fräulein Toni in die Tanzstunde ging.“

„In der That, nein! Sie sind wohl schon lange fort von Altwedel?“

„Sehr lange! Mein Vater wurde von dort nach Schlesien versetzt, und ich – –. Wohnen Sie noch immer in dem kleinen Hause an der ‚Alte‘?“

„Ja. Es ist ein so drolliges altes Haus.“

„Ach, ich fand es entzückend damals; wir wohnten nebenan.“

„Da ist jetzt eine Wollspinnerei, ein häßliches rothes Ziegelsteingebäude mit hohem Schornstein und vielen Fabrikmädchen und einer grellen Glocke, die zur Arbeit läutet.“

„Wie schade! Und wie geht es Ihren Eltern?“

„O, ich danke! Papa ist manchmal sehr kränklich und beständig verstimmt, und Mama –“ sie zuckte die Schultern - „leidet natürlich darunter; es ist immer dasselbe bei uns, mein Herr.“

„Und Fräulein Toni? Tanzt sie noch immer so gern?“

„Ach, mein Herr, tanzen, die Toni tanzen! Toni ist still und traurig geworden; überhaupt, es ist öde und langweilig bei uns,“ erwiderte sie mit einem Seufzer.

Er antwortete nicht; er sah sein Gegenüber an mit einem mitleidigen, gerührten Blick; welch trostloses Bild entrollten ihm ihre Worte! Er kannte jeden Winkel in dem kleinen Hause, das die Familie bewohnte, und er kannte in jedem dieser Winkel die Spuren von Entbehrung, Armuth und Unzufriedenheit. Der Steuereinnehmer v. Zweidorf, ehemals Offizier, hatte im Hause eines Kameraden seine jetzige Frau, die kleine Madermoiselle Bergére, kennen gelernt; sie stammte aus der französischen Schweiz und bekleidete die Stellung einer Bonne. Natürlich hatte er die Beziehungen zu dem bildschönen Mädchen anfänglich nicht ernst nehmen wollen, aber dann war doch der Augenblick da, wo er als Ehrenmann nicht mehr anders konnte. als sie zu heirathen. Der Regimentskommandeur, die Kameraden hatten Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um ihn von diesem Schritt zurückzuhalten – er war fest geblieben, die Hand, die das Abschiedsgesuch schrieb, hatte nicht gezittert. Wie schwer es ihm wurde, das sagte er nie, nur sein verkümmertes Aussehen erzählte es, sein niedergedrücktes Wesen, seine Menschenscheu; und die Frau neben ihm litt nicht weniger. Die Aelteste, die Toni, ein bildschönes Kind, hatte wohl anfangs etwas Versöhnendes in das Herz des Mannes geschmeichelt, aber dann waren mehr Kinder gekommen, lauter Mädchen, arme Mädchen, die Sorgen wuchsen und wuchsen und die Töchter verblühten ungesehen und unbegehrt und wurden verbittert in ihrem armseligen Leben. Und sie hatten den Stolz des Vaters, sie wollten nicht heirathen unter ihrem Stande, die armen Fräulein von Zweidorf.

Leo Jussnitz kannte das ganze Elend ja aus dem eigenen Vaterhause. Und die Jüngste saß vor ihm, so schön wie einst ihre Schwester, und sah in die Zukunft mit ebenso sehnsüchtigen glückverlangenden Augen, wie diese es gethan hatte, und das nämliche Lächeln lag um den lieblichen kleinen Mund. Etwas Holdes, längst nicht mehr Gefühltes tauchte vor ihm auf, die ganze Seligkeit der ersten Jugend mit ihren stolzen Hoffnungen und ihrer thörichten, genügsamen und doch so seligen Liebesleidenschaft.

„Was willst Du denn in der weiten Welt, Toni?“ – Er hatte es laut gesprochen und wurde erst wach durch ihr herzliches Lachen.

„Ich heiße Hildegard und will zu meiner Tante nach Dresden und will –“ sie setzte sich stolz in die Höhe – „und will Malerin werden.“

„Malerin?“ fragte er lächelnd. „Lassen Sie ab davon, Fräulein Hilde, es bringt eitel Enttäuschung und Bitterkeit.“

„Aber ich habe Talent, mein Herr!“

„Ich zweifle ja nicht eine Minute daran, aber dennoch –“

„Sie können doch nicht wissen, wie meine Zukunft wird!“ schmollte sie.

„Nein; ich kenne nur meine eigenen Erfahrungen. Wenn ein Mann um die Gunst des Schicksals ringt und fast unterliegt, wie soll es da ein schwaches zartes Mädchen durchhalten? Und das Leben eines Künstlers ist und bleibt einmal ein dornenvolles.“

„Ach!“ lachte sie. „ich lasse mir nicht bange machen, denn ich will es zwar nicht berufen, aber wirklich, mein Herr, ich habe Glück, ich muß unter einem guten Stern geboren sein. Passen Sie auf, wie es wird mit mir! Ich suche einen Lehrer, einen tüchtigen, und dann bin ich unermüdlich fleißig, und dann werde ich den ersten Auftrag erhalten, vielleicht noch halb aus Mitleid, und dann setze ich all mein Können daran, das Bild gelingt, es macht Aufsehen, und eines Morgens wache ich auf und bin berühmt! – Nein, nein,“ fuhr sie fort, „ich will nichts wissen, ich will an mein Glück glauben, Unkenrufe habe ich zu Hause genug gehört. Mir kann es so nicht gehen wie den Schwestern, denn ich selbst bin anders. Bitte, bitte,“ schloß sie und legte flehend die schöngeformten Hände, von denen sie die Handschuhe abgestreift hatte, ineinander, „sagen Sie nichts, nehmen Sie mir nicht mein Vertrauen auf eine bessere Zukunft, als man sie mir bis jetzt täglich ausgemalt hat.“

Ihr blasses Gesicht hatte sich geröthet, die Augen leuchteten in einem wunderbaren Feuer.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1891, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_024.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)