Seite:Die Gartenlaube (1891) 047.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


Frauenkleidung zu werden. Während man die Bauschärmel aufgab, die Leibchen und Aermel enger, verständiger gestaltete, verbarg man die Formen wieder unter dem im Dreieck gelegten, oder später vielfach veränderten Tuch, das, nach unten auf dem weiten Rocke ruhend, dem Oberkörper die Gestalt eines Kegels gab, auf dem das mit eng anschließendem Hut versehene Köpfchen knopfartig aufsaß.

Der Juli 1839 brachte endlich die auf lange Zeit entscheidende Erfindung. Man hatte immer weiter abstehende Kleider getragen. Anfangs hatten die Volants des Rockes allein die gewünschte Form gegeben, später suchte man den Rock selbst durch weite Unterkleider zu stützen, endlich hatte man diese mit Stärke gesteift und auch ihrerseits mit abstehenden Volants gebauscht. Aber immer wieder empfand man als Nachtheil, daß die Unterkleider den beliebter werdenden schweren Stoffen keinen genügenden Rückhalt boten. Weil man jetzt oft zwei Röcke trug und den oberen nach Art der Tapeziere raffte, ferner schwere Posamenten anbrachte, so mußte ein stärkerer Widerstand gefunden werden.

Da trat im Sommer 1839 der „Crinozephir“ auf, ein Unterrock, „der gleichsam wie ein luftiges Geflecht die Damen umgiebt“. „Crin“ heißt das Schwanzhaar des Pferdes. Es waren also aus Roßhaar geflochtene Röcke, die den gebauschten Kleidern von nun an den Halt gaben. Schon wenig Wochen darauf waren sie in allen Theilen der Welt unter dem Namen „Krinoline“ in Gebrauch.

Gewöhnlich erzählt man sich, die Kaiserin Eugenie habe die Krinoline erfunden. Man ersieht aber aus der mitgetheilten Jahreszahl, daß dies nicht der Fall ist; denn 1839 war die Kaiserin Eugenie ein 13jähriges Mädchen, das wohl kaum sich mit Erfindungen auf dem Gebiete der Mode beschäftigte, jedenfalls aber keinen beherrschenden Einfluß auf die europäische Welt ausübte.

Während der ganzen Regierungszeit König Louis Philipps blieb die Krinoline das vorherrschende Kleidungsstück. Schon 1846 waren Roßhaarröcke von 2,5 Metern unterem Umfang keine Seltenheit mehr. Auf diesem glockenartigen, elastisch festen Untergrund konnte die Erfindungskraft der Frauen sich gemächlich ergehen. Die Volants blieben in alter Werthschätzung. Man vermehrte ihre Zahl, wechselte ihre Breite und Farbe. Bald stellte man sie schräg, bald wagrecht. Die „Pyramidenkleider“ zeigten Reihen von nach oben immer schmäler werdenden Sammetstreifen. „Regenbogenkleider“ waren beliebt, bei welchen die Volants in den himmlischen Farben sich abstuften. Aesthetiker fanden jene Kleider für lobenswerther, an denen von unten nach oben der Farbenton bei jedem der neun Volants lichter wurde. Die Volants nahmen auch Besitz vom Oberkörper, das Leibchen und die Aermel wurden mit ihnen besetzt. Oder man schuf Shawls und Mantillen mit mehreren Reihen Fransen übereinander, damit nur ja das Kleid in möglichst viele selbständig sich bewegende Reifen zu zerfallen scheine.

Die Krinoline bot aber auch für Doppelröcke die beste Unterlage. Vom Gürtel fielen Bänder oder Blumengewinde nieder, an denen der Oberrock aufgerafft war, um den unteren glatten oder mit Volants geschmückten theilweise zu zeigen. Die Möglichkeit zur Abwechslung war eine ganz außerordentliche, und man machte von ihr den ausgiebigsten Gebrauch. Gerade weil die Mode der Krinoline so viel Gelegenheit zu Neuheiten bot, blieb sie so lange bei den Frauen in Werthschätzung.

Sie überdauerte die achtundvierziger Jahre. Während der Revolutionszeit machte sich eine Neigung zu größerer Einfachheit geltend. Aber mit dem Hervortreten des Prinzen Louis Napoleon wendete sich die Mode, die nie republikanisch gesonnen gewesen ist, begeistert dem neuen Stern zu. Sie schien zu ahnen, daß Napoleon der rechte Mann sei, sie zu schützen. Den Modeblättern war sichtlich ein Stein vom Herzen gefallen, seit der Pariser Gesellschaft wieder ein Mittelpunkt gegeben war. Man höhnte das „Puritanisch-republikanische“ der vorhergehenden Jahre. Alle Kräfte setzten an, um nun die Modeherrschaft von Paris wieder zu vollstem Glanze zu bringen.

Vom Jahre 1851 bis 1870 hat denn auch wirklich Paris eine Macht über den Kleidergeschmack ausgeübt wie nie vorher, selbst nicht im 18. Jahrhundert. Es gab überhaupt keine Art von moderner Tracht mehr, außer der Pariser. Den Höhepunkt bezeichnet die Weltausstellung von 1867. Jahrhunderte hindurch war das Uebergewicht des französischen Gewerbes vorbereitet worden. All die vielen sich ablösenden Regierungen waren einig im Streben, dem Gewerbe alle Mittel zur Vollendung an die Hand zu geben. Der kaiserliche Hof und als dessen Mittelpunkt seit ihrer Vermählung am 29. Januar 1853 die Kaiserin Eugenie boten das, was die Mode vor allem braucht, die Möglichkeit, sich rasch geltend zu machen. Das Ineinandergreifen der verschiedenen Gewerbe war meisterhaft geordnet. Was die Zeichner entwarfen, die Webereien, die Schneider gefertigt hatten, wurde durch den Hof alsbald der ganzen Welt zur Schau gestellt. Hunderte von Federn, Tausende von Zeitungen waren voll geschäftigen Eifers, die Neuheiten als unabwendbare Forderungen des Geschmackes weit über Europas Grenzen hinaus der aufmerksam lauschenden Welt zu verkünden. Kein Hof, kein auf europäische Sitte haltendes Volk dachte daran, daß man sich der Pariser Mode entziehen, keine vornehme Frau, daß sie anders sich tragen könnte, als wie dies in den Tuilerien geschah. Alle Fürstentöchter erhielten ihren „Trousseau“, ihre Brautausstattung von der Seine, die großen Pariser Häuser hatten in allen Handelsstädten ihre Warenlager, jeder Modenkaufmann, der seinen Kunden gerecht werden wollte, mußte wenigstens einmal im Jahr in der Hauptstadt des Geschmackes sich umgesehen haben. Die Eisenbahnen schienen eigens dazu erfunden, den Geschmack der Welt an ihren Mittelpunkt zu fesseln. Sie führten ihm endlose Züge von Käufern, einen unermeßlichen Reichthum zu. Noch heute, ein Menschenalter später, ist im Handelsstande Frankreichs jene Kaiserzeit in dankbarster Erinnerung.

Das Entscheidende bei der Mode der Kaiserzeit waren wieder die Formen der Schnürleiber und der Unterröcke.

Bis etwa 1850 war das corset à la Ninon in Gebrauch, nur mit dem Unterschiede, daß die Taille immer länger, aber auch immer enger geschnürt wurde. Es entsprach in den dreißiger Jahren etwa der Form von heute. Nun aber erhielt es andere Gestalt. Der über Leib und Hüfte sich ausbreitende untere Theil wurde zu einem gebogenen, herzförmigen Teller, über dem das Leibchen in scharfem Winkel sich erhob. Die Qual, die dieser bis zum äußersten angezogene Schnürleib durch den scharfen Druck in die Seiten den Frauen verursachte, wurde noch erhöht durch die Last von Röcken, welche jener Teller zu tragen hatte. Denn immer weiter bauschten sich die Kleider. Bei dem „Genre Pompadour“ von 1850 erreichten sie schon einen Umfang von 3,5 Metern, ohne die Falten gerechnet. Die sogenannten „Englischen Unterröcke“ gestatteten noch größere Ausdehnung. Die Modezeitungen begannen schon vor der Ueberbietung zu warnen; wahrhaft vornehme Frauen, so sagen sie, schlössen sich dieser Uebertreibung nicht an. Man wählte schwere Stoffe, damit das Oberkleid allein sich halte, und legte diese so, daß sie in vorspringenden „Säulen“ niederfielen. Bei den tausend Falten, aus

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1891, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_047.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)