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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

und Schuhe hängen neben den vertrockneten Kränzen und Blumen, die ihm muntere Schönen dereinst von den Balkonen zuwarfen.

Blumenkorso.

In dieser Rüstkammer vergangener Humore und lustiger Kriege stehen wir klugen Kinder der jüngsten Zeit in schwarzem Frack, die weiße Kravatte um den schnürenden Stehkragen geschlungen, den Cylinderhut auf dem glatt gescheitelten Haar, schauen die alte römische Herrlichkeit mit historischem Interesse an und machen ein gar ernstes Gesicht.

Ein von russisch-französisch-bulgarischer Politik, von schweren modernen Amtssorgen und Bureauarbeiten, von zweifelhaften Spekulationen, ostafrikanischen Kolonialbestrebungen, Sozialismus und Spiritismus beschwerter Geist hat weder Lust noch Schwung, seinem frühzeitig ergrauten oder entlaubten Haupte die Narrenkappe aufzusetzen oder mit Narren lustig zu sein.

Ist es überhaupt nicht eine Anmaßung kühnster Art, wenn eine Schar vergnügungsbedürftiger Lebemänner für eine bestimmte Zeit des Jahres die Herrschaft an sich reißt und einer ganzen großen ernsten Stadt befiehlt: „Jetzt lacht ’mal vierzehn Tage lang!“

Das gelingt nicht, und so läßt man auch hier den Schein walten, kauft sich eine grinsend lachende Maske, und niemand sieht, wie ernst das Gesicht dahinter ist.

Wir sind Fremde, wir sind in Rom; auch an uns ist das Gebot des Karnevalsausschusses ergangen: wir müssen lustig sein, die Stadt der großen karnevalesken Erinnerungen, das Gedächtniß an Goethe, unser poetisches Gewissen zwingt uns dazu. Gut denn! gehen wir und kaufen uns in einer römischen Osteria ein, zwei, drei Liter weißer oder rother Lustigkeit, oder eine Flasche schäumender Narrheit. Vorwärts! Es giebt noch verräucherte Osterien alten Stils, und wenn du, o Schwärmer, nicht klassisch genug gestimmt bist, so kaufe dir die theure Thorheit bei Nazzarri, bei Spillmann oder Morteo u. Komp.

Und nun fangen wir an, auf dem menschenwimmelnden Korso mit den andern zu springen; dabei fallen die Alltagsschlacken ab, unsere Seele wird blank. Wir stülpen die Narrenkappe aufs Haupt, kaufen einen Riesenveilchenstrauß vor die Brust, eine Klapper, eine Trompete in die Hand und stürzen kopfüber, nicht zögernd wie ein badender Weichling, ins wogende Meer der Lust, wo es am tiefsten ist, daß die Wellen über uns zusammenschlagen.

Jetzt kennt dich in der Welt niemand mehr; du kannst jetzt treiben, was du willst. Abenteuer willst du? Sieh! – da oben auf dem buntbeteppichten Balkone steht Frau Aventiure selbst mit den schwarzen Römeraugen, dem dunklen Haar, den blitzenden Zähnen, dem sonnigen Lächeln. Sie ist nicht allein, alle ihre Schwestern und Basen sind dabei, ihr ganzes reizend schönes Gefolge. Sie haben die Arme hoch über das Haupt zum Wurfe erhoben: eine volle Ladung trifft dein staunendes Gesicht; heute „Coriandoli“, jene feinen stechenden, stäubenden Gipskügelchen, deren Aufschlagen, wenn du in ein Kreuzfeuer geräthst, dich bald in einen „armen weißen Mann“ verwandelt haben wird. Auch von den tüchtige Munition mit sich führenden Wagen trifft es den Straßenwandler hart. Heute also Coriandoli, morgen, am Tage des „Blumenkorso“, Blumen, einzeln, eine Kamelie, eine Rose, vielleicht verheißungsvoll, oder zu Sträußchen und Riesenbouquets gebunden, für den Kranz der Damen auf den Altanen bestimmt. Die Blumen aber sind theuer, dem Manne, dem Burschen aus dem Volke und der lieben Schul- und Straßenjugend sind sie zu theuer, und sie verwandeln den Blumenkorso für ihre Zwecke trotz polizeilichen Verbotes in einen Grünwaren- und Gemüsekorso, auf dem Kraut und Rüben den Gruß bilden, der den unglücklichen Cylindern vor allen, sonst aber jedem anständigen Hute gilt.

Heutzutage artet leider, wie überall, auch in Rom die einst so anständige Freude auf der Straße leicht in Rohheit aus, und die Sicherheitswachmänner, die an Stelle der antiken Aedilen getreten sind, haben der Plebs gegenüber einen schweren Stand.

So flüchtet sich heute das Hauptvergnügen in das Innere der Häuser und Adelspaläste, wo man prächtige Bälle veranstaltet, oder in die Theater, wo man sich der durch auserwählte Karnevalskräfte dargestellten Opern, Operetten und Dramen erfreut oder bei einem öffentlichen Maskenball selbst Vorstellungen giebt.

Und an Theatern fehlt es nicht, sie sind neben den Kirchen wie Pilze aufgeschossen: Manzoni, Costanzi, Umberto, einst als Corea bekannt, Argentina, Capranica, Valle, Valletto, Politeama etc.

Bei einem solchen Theaterball ist das Treiben ganz modern; man mag sich nach Berlin oder Wien oder Paris versetzt wähnen, nur daß hier die Schöne, der du die Einladung machst, mit einem orangensüßen „Sissignore“ antwortet.

Wer aber wissen will, wie der römische Karneval war, der schlage seinen Goethe auf: Licht, Glanz, buntes Farbengewirr, seidene Fahnen und Teppiche, Jubelgeschrei, schellenbehangene Barberi, buntgeschmückte Karren und Wagen mit originellen Masken, die Luft erfüllt mit Blumen, Liebe, sorgloser Freude ...

Alles weggeschrumpft!“[1]



  1. Anmerkung der Redaktion. Der Artikel ist geschrieben auf Grund der Karnevalsfeste, welche der seit langer Zeit in Italien lebende Verfasser in den letztvergangenen Jahren kennenlernte. Neuerdings hat sich in Rom eine Gesellschaft gebildet, die eine Wiederbelebung des richtigen alten Karnevals in allem „Ernste“ in Angriff nehmen will. Vielleicht daß es ihr doch gelingt, ein Stück des alten Glanzes wieder zurückzuerobern.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_091.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)