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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

„Finden Sie nicht auch?“ fragte sie Antje.

„Ich habe selten Gelegenheit gehabt, derartiges zu sehen,“ erwiderte diese.

„Ich beneide Sie,“ seufzte die schöne Frau, „man wird hier in den Gesellschaften förmlich überfüttert damit.“ –

Die Flügelthüren öffneten sich und zeigten erst ein Weihnachtsbild, wobei der Engel Melly wieder seine Rolle spielte.

Dann kam eine Lurley, die auf einer Sofalehne saß und von dort hinunterschaute zu Lieutenant von Osten, der in einer großen altdeutschen Truhe ruderte. Nelly Benkens Goldhaar war dabei reizend zur Geltung gebracht und trug dem Bilde ein lautes „Bravo!“ ein.

„Spanische Tänzerin nach Jussnitz!“ verkündigte jetzt die Stimme der kleinen Baronin.

Jussnitz zuckte lächelnd die Schultern und blickte Maiberg an. „Es ist doch –“ Was er noch sagen wollte, blieb ihm in der Kehle stecken, denn dort stand ja –

Ein Ah! der Bewunderung flog durch das Zimmer, dann eine Pause stummen Schauens, Bewunderns. Nur Antje wandte die Blicke von dem Frauenbild ab und schaute zu ihrem Mann hinüber; der hatte den Kopf etwas vorgebogen und starrte das schöne Geschöpf dort an, überrascht, entzückt.

Hildes leichte Gestalt hob sich von einem Hintergrunde dunkler Blattpflanzen ab. Sie stand etwas erhöht, genau so wie auf dem Bilde, die Linke in den Falten des blaßgelben Röckchens, den Fächer in der Rechten; den Oberkörper halb zurückgewandt, zeigte sie dem Beschauer voll ihr schönes Antlitz mit den verschleierten, dunkeln, lockenden Augen; hinter den rothen lächelnden Lippen blitzten die kleinen weißen Zähne hervor. Regungslos stand sie da, nur die Ohrringe zitterten leise und verkündeten die mühsam beherrschte Ruhe.

Langsam schlossen sich die Flügelthüren wieder, und nun brach der Jubel über das Gesehene hervor. Vorläufig erntete die Baronin alle Komplimente und wurde mit Fragen bestürmt; aber sie schien nicht Zeit zu haben, dieselben anzuhören, sie eilte zu Jussnitz. „Helfen Sie mir Fräulein von Zweidorf überreden, daß sie zum Essen dableibt – sie weigert sich!“

Er folgte ihr willenlos. „Baronin,“ sagte er, „warum thaten Sie mir das an?“

Sie schob ihn ohne weiteres in das Zimmer, wo Hilde wie erschöpft auf einem Fauteuil saß.

„Ich danke Ihnen, es ist besser, ich gehe,“ erwiderte sie schroff auf das neue Zureden der Baronin, „meine Tante erwartet mich; bitte, lassen Sie mich fort!“

„Sie haben recht, Fräulein von Zweidorf,“ sagte Jussnitz hinzutretend, „ich werde Sie nach Hause begleiten. Wie um alles in der Welt ist es gekommen, daß Sie hier diese – Gastrollen geben, in einem Kreise, in dem Sie niemand kennt?“

Das Mädchen blickte ihn trotzig an und schwieg.

„Seien Sie doch kein Spielverderber, Jussnitz,“ bat Barrenberg, „bei Gott, es sieht komisch aus, wenn Sie Fräulein von Zweidorf veranlassen wollen, jetzt fortzugehen.“ Und ihn beiseite ziehend, raunte er ihm zu: „Begreifen Sie doch, meine Cousine kommt in den Verdacht, eine durchaus nicht gesellschaftsfähige Schönheit eingeschmuggelt zu haben, und das ist mir meiner Gäste wegen höchst unangenehm.“ Und kurz entschlossen trat er zu Hilde, bot ihr den Arm und sagte: „Gestatten Sie mir, daß ich Sie mit den Herrschaften bekannt mache.“

Antje stand währenddem inmitten eines Kreises Neugieriger.

„Ich bitte Sie, Frau Jussnitz, warum haben Sie uns noch nie mit diesem Stern bekannt gemacht?“ fragte Lieutenant von Osten schmollend.

„Ist sie verwandt mit Ihnen?“ forschte die Schauspielerin.

„Mein Gott, welche Ueberraschungen die Baronin ausdenken kann! Waren Sie im Komplott, Frau Jussnitz?“ rief ein anderer.

„Es war eben ein Scherz, wie ihn die gute Erlach liebt,“ sagte die schöne Witwe und zuckte die Achseln, „wer fragt danach, auf welche Weise sie ihn zum Gelingen gebracht hat! - Vielleicht ist es ihre Schneiderin, oder irgend jemand derartiges!“

Die vier Generalstöchter nickten einander bedeutungsvoll zu, als wollten sie bekräftigen, was da eben gesagt worden war. Melly Benken aber sprach ganz offen aus, daß es wahrscheinlich Papa nicht ganz angenehm sein werde, wenn er erfahre, daß Nelly der Cousine Erlach bei einem ihrer tollen Streiche geholfen habe. „Papa war so dagegen, daß wir herfuhren,“ schloß sie, „nun haben wir es! Hoffentlich bringt Onkel die Spanierin schleunigst wieder dahin, wo Irene sie hergeholt hat.“

Antje blieb ganz stumm. Aus ihrem Schweigen glaubte man annehmen zu können, daß auch sie irgend etwas nicht in Ordnung finde.

Da theilte sich der Kreis, und Hilde von Zweidorf erschien am Arme Barrenbergs, bleich, aufgeregt, mit starrer Kopfhaltung, und ihr Kostüm nahm sich in diesem Augenblick kokett, komödienhaft aus.

Antje hielt mit beiden Händen ihren Fächer umklammert, wieder wie heute früh fanden sich die Blicke jener beiden, groß und forschend, und nun flüsterte Leo seiner Frau ins Ohr: „Ich bitte Dich, nimm Dich des jungen Mädchens anl“

„Thue es nicht! Thue es nicht!“ rief es in ihr, „drehe ihr den Rücken zu, und sie ist unmöglich, unschädlich für immer!“ Einen Augenblick, einen kurzen Augenblick nur stand sie, den Kopf stolz zurückgebogen, Hilde gegenüber, sie sah die eigenthümlichen Mienen der Gäste, mit denen sie das Mädchen betrachteten, sah, wie Osten keck das Monocle ins Auge klemmte und wie die Obristin die Lorgnette am langen Stiel zur Hand nahm – und im nächsten Augenblick war Antje einige Schritte auf Hilde zugetreten und hatte ihre Hand ergriffen.

„Ich freue mich herzlich, Sie heute abend wiederzusehen, liebes Fräulein; Sie haben uns allen, und besonders meinem Mann und mir, eine reizende Ueberraschung bereitet – nicht wahr, Leo?“ Sie wendete das über diese Lüge erröthete Gesicht ihrem Gatten zu.

Er betheuerte, das sei ihm ganz aus der Seele gesprochen, und erzählte, daß er Fräulein von Zweidorf bereits gekannt habe, als sie erst so groß – er wies mit der Hand einen halben Meter über ben Erdboden – gewesen sei.

Die beiden Damen standen noch Hand in Hand, aber Hilde hatte die Augen niedergeschlagen vor dem Blick der jungen Frau. Erst der Diener, welcher meldete, daß aufgetragen sei, brachte Leben in diese Gruppe.

Jussnitz und Osten erschienen gleichzeitig vor Hilde, um ihr den Arm anzubieten, Jussnitz mit nervösem Gesicht, Osten mit jener eifrigen Ritterlichkeit, vermöge welcher gutherzige Menschen ein Unrecht sühnen wollen, auch wenn sie es nur gedacht haben. Hilde schlug die Augen nicht empor; sie trat einen Schritt zurück und erfaßte dort wie tastend einen Arm, der sich ihr gar nicht geboten hatte. Verwundert blickte Maiberg zu der kleinen Hand hinunter, die ihn berührte. Dann lächelte er, bettete sie behutsam auf seinen schwarzen Tuchärmel und ging neben ihrer Besitzerin, die schüchtern wie eine Bachstelze trippelte, in den Speisesaal. Osten folgte ihnen auf dem Fuße, um wenigstens den andern Platz neben ihr zu gewinnen.

Jussnitz saß neben der Baronin; sie blitzte ihn listig an mit ihren dunklen Augen.

„Sie haben Fräulein von Zweidorf keinen Dienst geleistet,“ sagte er kurz.

„Pah!“ erwiderte sie laut, sich von ihm abwendend und Antje ansehend, „man muß nicht alles für sich allein haben wollen, lieber Jussnitz. – Sagen Sie mir, Frau Jussnitz, wo hielt denn Ihr Mann Fräulein von Zweidorf versteckt? Haben Sie auf Sibyllenburg heimliche Verließe?“

„Sie werdett es ja wissen, liebe Baronin,“ erwiderte Antje „da Sie die junge Dame herführten.“

Die Baronin lachte, daß ihr die Thränen in die Augen traten. „Lassen Sie es sich nur von ihr selbst erzählen, wo ich sie entdeckt habe.“

Antje antwortete nicht. Sie sprach mit ihrem Nachbar weiter, aber ihr war so schwindlig, daß sie nicht wußte, was sie sagte und tat; nur das eine hatte sie klar erkannt: sie durfte jener Fruu da drüben um keinen Preis zeigen, wie ihr zu Muthe war.

Endlos dünkte sie dieses Essen, und so ausgelassen lustig auch alle waren, Antje war es nicht und Hilde auch nicht. Der mochte es gehen wie Antje. Mein Gott, welch ein unseliger Sturm hatte sie hierher verschlagen!

Und endlich, endlich hatte man das Eis gegessen, die Knallbonbons verpufft und man rückte nun die Stühle. Antje schlüpfte unbemerkt in den Ankleideraum und beauftragte einen Diener, ihren Mann zu rufen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_135.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)