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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

„Es ist jetzt noch keine Zeit zum Reden, liebe Classen,“ antwortete sie dann, „es kommt auch alles noch so in Schick, paß auf!“

„Himmel! Ich thät ihm den Standpunkt klar machen,“ brummte die Alte. Aber Antje hörte das nicht.

Sie dachte an Maiberg; sie fühlte, daß ein treues Herz von ihr geschieden war. Ob Leo es auch empfand? Ob Hoffnung war, daß der Freund wiederkehrte? Sie vermochte es nicht zu ergründen, und fragen wollte sie nicht, nach der letzten Scene; es hätte ja scheinen können, als ob sie ein tieferes Interesse an dem Doktor nähme.

Leo blieb auch keine Zeit, über irgend etwas nachzudenken; er malte Hildegard von Zweidorf.

Es war ein wunderliches Zusammenleben geworden, denn alles im Hause drehte sich um Hildegard.

Mit immer gleich bleibender Freundlichkeit begegnete Antje dieser Fremden, die doch so kalt und lieblos ihr gegenüber stand wie der Winter draußen. Der Dienerschaft, die sich angesichts der armseligen Toilette des Fräuleins, auch wohl durch die sehr unfreundlichen Augen, mit denen die alte Classen den Eindringling betrachtete, zu einigen Nachlässigkeiten der jungen Dame gegenüber hinreißen ließ, wurde ein strenger Verweis zutheil seitens der Herrin.

Mit jener echten Gastfreundschaft, die das Zeugniß eines wirklich vornehmen Hauses ist, sah sich Hildegard von Zweidorf umgeben. Daß Antje blasser und blasser wurde, je länger sie blieb, je nun – wer merkte das? Ein freundlicher Ausdruck fehlte ja dem Gesichte der jungen Hausfrau nie, und Antje hatte am Ende auch keine Ursache, dem schönen Mädchen unfreundlich zu begegnen.

Hilde benahm sich tadellos, sehr bescheiden, sehr aufmerksam und – sehr kühl. Sie hatte etwas Ernstes, Gemessenes angenommen, das freilich sonderbar abstach gegen ihre schimmernden, sehnsüchtigen Augen; aber Hilde nahm die Aufmerksamkeiten des Hausherrn mit solcher Zurückhaltung auf, wie es ein wohlerzogenes Mädchen nur immer thun kann. Sie wollte nichts weiter sein als ein ganz und gar fernstehender Besuch.

Wenn Antje nur hätte vergessen können, was Leo an jenem Weihnachtsmorgen zu dem Mädchen gesprochen hatte, wenn sie nur nicht immer noch den leidenschaftlichen weichen Tonfall seiner Stimme in ihrer Seele hätte nachzittern gefühlt, nur nicht die Erinneruug an das heiße Schluchzen des Mädchens behalten hätte!

Und Leo war so häuslich jetzt, er fuhr höchstens noch in „Geschäftsangelegenheiten“ nach Dresden. Antje wußte, was er darunter verstand – Gelder vom Bankier holen. Mit ernstem Gesicht sah sie ihn fortfahren und ohne Vorwurf empfing sie ihn beim Wiederkommen – was immer so bald geschah! Aber das konnte ja auch daran liegen, daß er es eilig hatte mit der Vollendung seines Bildes. Und wenn er schließlich Hildegard, die so gern spazieren ging, mit dem Skizzenbuch begleitete, was war denn natürlicher als das? Sie wanderten dann weit in die winterlichen Berge hinein; zuweilen kamen sie erst mit der Dämmerung heim, und Antje sah es in den belebten Zügen beider, daß sie sich über irgend etwas unterhalten hatten, dem sie nach Leos Begriff kein Verständniß entgegentrug. An solchen Tagen stand sie stundenlang am Fenster und schaute in die Weite, wo jene beiden umherwanderten, und wie ein Seufzer der Erleichterung klang es von ihren Lippen, wenn das Paar endlich heimkehrte.

Es war still geworden auf Sibyllenburg. Irene von Erlach hatte als Frau von Barrenberg mit ihrem Manne nach einer raschen Hochzeit ihr Haus verlassen und schwärmte mit ihm am Nil umher. Die Kavaliere, welche die lustige junge Witwe beständig im Gefolge gehabt hatte, waren an dem Hochzeitstage zum letzten Male in dieser Gegend gesehen worden; Jussnitz hatte die Herren nicht aufgefordert, ihn zu besuchen, weil er „zu arbeiten habe“, und Antje wollte ja still leben. Es war jetzt die Ruhe in dem Hause, welche die junge Frau sich immer gewünscht hatte, aber die Ruhe war nicht in ihrem Herzen. Sie fand sie nur bei ihrem Töchterchen. Wenn die Stunde schlug, wo drüben im Atelier die schöne Spanierin in der gelben spitzenbesetzten Seide zu erscheinen pflegte, da flüchtete Antje zu dem Kinde; sie lehrte es kleine Verschen, spielte mit den Puppen und drückte zuweilen die Kleine an sich, lachte über irgend etwas, was der Kindermund geplappert hatte, und wurde selbst wie ein ausgelassenes Kind, nur daß ihr dabei oft die Thränen über die Wangen flossen.

Einmal war sie doch in das Atelier gegangen und hatte selbst die Platte mit dem zierlich geordneten Frühstück hinüber getragen, einmal nur. Sie war da mit dem Kaviar und den Lachsbrötchen in einen Vortrag ihres Mannes hineingeschneit, dem Hilde, in einem niedrigen Sessel sitzend, den Fächer langsam bewegend, mit gesenkten Wimpern lauschte. Leo sprach über die Holbeinischen Madonnen der Dresdener und Darmstädter Galerie mit wahrem Feuereifer; man hatte die junge Frau gar nicht bemerkt, die unhörbar über den Teppich geschritten war. Sie stellte den Präsentirteller leise auf ein Tischchen und ging wieder.

Damals, als sie zum ersten Male an der Seite ihres Mannes die Dresdener Galerie besuchte, hatte sie gefragt: „Sag’, Leo, welche von den Madonnen hältst Du für die echte?“ Und die Antwort war gewesen: „Ach, Kind, davon verstehst Du ja doch nichts, ich müßte darüber eine lange Vorlesung halten – später einmal!“

Und dieses „später“ war nie gekommen. Jetzt hielt er die Vorlesung, aber einer andern, einer Bedeutenderen. –

„Wie lange wird diese Qual noch dauern?“ fragte sie sich bitter, und sie wußte doch, daß sie noch lange nicht vorüber sei. – –

„Ich muß Fräulein von Zweidorf irgend eine Entschädigung dafür geben, daß sie ihre Zeit hier so opfert,“ sagte Leo eines Tages zu Antje, „Geld kann ich ihr nicht wohl anbieten, obgleich sie das, weiß Gott, am nothwendigsten braucht. Ich denke, wir behalten sie einstweilen hier, und sobald mein Bild fertig ist, gebe ich ihr Unterricht oder lasse ihr solchen ertheilen.“

Antje erwiderte, sie könne darüber nicht entscheiden. „Ich weiß ja nicht, in wie ausgedehntem Maße das Fräulein über seine Zeit verfügen darf,“ setzte sie hinzu.

„Pah!“ erwiderte er, „zu Hause werden sie froh sein, sie einstweilen untergebracht zu wissen.“

Antje schwieg; die Sache war abgemacht.

Hilde malte jetzt; sie hatte erklärt, sie müsse sich Geld verdienen. Leo besorgte Seide, Leder und Aquarellpapier und ein Kunsthändler in Berlin übernahm den Verkauf der Sächelchen. Auch Antje erstand einmal mehrere kleine Notizbücher, auf denen ein Vogel oder eine Blume überraschend lebendig dastand. Von ihrer Einnahme kaufte sich Hilde ein zwar sehr einfaches, aber nettes Kostüm, und allmählich hörte sie auf, ärmlich auszusehen. Leos Weihnachtsbrosche trug sie nicht; sie hatte sie ihm in Gegenwart Antjes mit dem Bemerken zurückgegeben, daß sie sich nichts schenken lasse, am allerwenigsten solche Kostbarkeiten. Das hübsche blitzende Ding lag nun in einem Schreibtischfach Leos, und die Rechnung des Juweliers, noch unquittirt, daneben. Ach, wie viele unquittirte Rechnungen mochten überhaupt in den Fächern dieses Schreibtisches liegen!

„Bis zum April werde ich das alles besorgen,“ hatte er gesagt, „bis dahin wird mein Bild verkauft sein.“

So hatten sich die Tage hingeschleppt. Antje kam es vor, als schwebe ihr beständig ein grauer Schleier vor den Augen; es war ihr alles so gleichgültig, alles bis auf das Kind!

Ja, das Kind! Mit einem Schlage war Antje wieder in der Gegenwart und sie lief hinüber, wo ihr Liebling schlafend auf dem Teppich lag, und betrachtete ihn. Wie hübsch Leonie war mit ihren goldigen Löckchen und dem Apfelblüthengesicht! Ob sie wohl glücklich werden würde? Was sie, Antje, dazu thun konnte – sicher! Sie sollte sehr viel lernen, auch lernen, das, was ihr gelehrt worden war, nicht zu verstecken und zu verbergen, wie es ihre arme unvernünftige Mutter that, die immer ängstlich wurde, wenn sich die Gelegenheit bot, mitreden zu können.

Wie lange doch Leo und Hilde heute ausblieben! Das große Gemach stand schon in völliger Dämmerung, und sie waren noch nicht da!

Antje erinnerte sich, daß Hilde von einem besonders malerischen Punkt gesprochen hatte, den sie kürzlich drüben am Elbufer entdeckt hatten und den sie heute aufsuchen wollten. Richtig, sie waren ja auch in jener Richtung fortgegangen. Die junge Frau trug das schlafende Kind zur Wärterin hinüber, dann bemerkte sie, daß sie ihr Schlüsselkörbchen im Atelier vergessen hatte, und sie

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