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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Ende gebrauchte Stefanelly nur den Vorwand, um sich aus irgend einer augenblicklichen Verlegenheit zu retten. – Gott, er wird ja zahlen, meine Angst wird grundlos sein, aber wenn ich bedenke, was sich ereignen könnte, die Schande – ehrlos – ruinirt – dem Mangel preisgegeben, die ganze Zukunft vernichtet für mich, für Dich – Bertha, ich ertrüge es nicht!“

Er war außer sich, Thränen standen ihm in den Augen und er vergrub sein Gesicht in den Kissen des Bettes.

Bertha faßte sich rasch. So gewaltig und unvorhergesehen sie auch aus ihren Träumen aufgeschreckt worden war, die ihr angeborene Thatkraft, das Bewußtsein ihrer Pflicht erwachte. Mit einem Male sah sie klar, was sie zu thun hatte, und ihr Entschluß stand fest. Trotz der schlimmen Botschaft empfand sie eine stürmische Freude in diesem Augenblick, als Theodor verzweifelnd ihr sein Herz erschloß: er liebte sie wirklich und wahr, er bedurfte ihrer im Unglück, er sah in ihr seine einzige Stütze – und er sollte sie nicht vergeblich in ihr suchen.

„Du bist ein großes Kind,“ begann sie unbefangen, indem sie ihn an sich zog und einen Kuß auf seine Stirn drückte, „Du hast mir wahrhaftig selbst angst gemacht. Gewiß ist es nicht halb so schlimm, als Du denkst, der Stefanelly wird alles in Ordnung bringen, das Mißtrauen wird sich rasch verziehen, er selbst wird vorsichtiger werden. Dein Vater zieht sich allmählich von den Geschäften zurück, läßt aber von dem häßlichen Jagen nach Reichthum, das er gar nicht mehr nöthig hat und das ihm und uns nur angstvolle unruhige Stunden bereitet. Dann kaufen wir ein kleines Gütchen, ziehen uns von aller Welt zurück und leben glücklich und zufrieden auf unserm Grund und Boden. Deine Bertha zieht wieder Blumen, bepflanzt den Garten wie früher, Du gehst auf die Jagd, reitest, besorgst die Wirthschaft, und wir sind die glücklichsten, zufriedensten Menschen. O, ich hatte das schon lange im Kopf; aber der ewige Gesellschaftstrubel ließ mich ja nicht mehr zur Besinnung kommen. Nicht wahr, so machen wir es, Theodor?“

Ihr Auge leuchtete vor inniger Liebe, sie sah das alles schon im Geiste, wovon sie jetzt sprach, die lieben Blumen, den Garten, die selige Ruhe auf dem Lande –“

„Ja, wenn es nur nicht zu spät ist, das wäre freilich schön!“ entgegnete Theodor, dem in seiner augenblicklichen Herzensunruhe das Gemälde, welches Bertha eben entwarf, wie ein Paradies erschien.

„Es ist nicht zu spät. Ich gehe sofort zum Vater und rede mit ihm über die Angelegenheit. Er wird mich auslachen, wenn ich ihm sage: ‚Der Stefanelly hat Angst vor dem altetl Margold!‘ Jetzt geh’ nur! O, ich Faulpelz, bei hellem Sonnenschein noch im Bette zu liegen. Das muß alles anders werden: auf mit der Sonne und um neun Uhr zu Bett! Ja, das geht nicht anders bei der Landwirthschaft, laß mich nur wieder in mein Fahrwasser kommen, nur wieder eigene Erde unter meinen Füßen haben, da sollst Du Wunder erleben, was ich leisten kann und wie dann das Essen schmeckt und der Schlaf. – Gott, in dem tollen Leben, das wir jetzt führen, verliert man sich ja ganz. Ich sehe mich oft im Spiegel an und frage: ‚Bist Du es denn noch? die Bertha Margold?‘ Aber ich bin es noch, ich bin es noch, Du sollst es sehen.“

In einer nervösen Hast, die ihre innere Unruhe verrieth, kleidete sie sich an. Dann eilte sie ins Nebenzimmer und zog den schweren Fenstervorhang auf, daß das helle Tageslicht voll hereinfluthete, und ihres Mannes Hand ergreifend, wies sie hinaus.

„Siehst Du dort, wie Schönau blitzt in der Sonne? Siehst Du das Thürmchen mit der leeren Fahnenstange? Wer weiß? Noch steht es aufrecht!“

Theodor legte seinen Arm um den Nacken seines Weibes und blickte traumverloren hinüber auf den glitzernden Punkt, lange, lange.

Endlich riß Bertha sich los.

„Jetzt zum Vater, dann wird sich alles aufklären.“

Theodor wollte anspannen lassen, aber Bertha nahm es nicht an; sie wäre erstickt in dem Wagen bei dem Gedanken, welche Opfer er wohl ihren Schwiegervater gekostet hatte.

Kaum war sie aus dem Hause, da war es vorbei mit ihrer vor Theodor geheuchelten Fassung. Tödliche Angst ergriff sie, und von neuem machte sie sich bittere Vorwürfe, daß sie gedankenlos, berauscht von ihrem jungen Glück, unbewußt mitgearbeitet habe an dem Verfall des Hauses, zu dessen Rettung sie sich von der Vorsehung auserkoren geglaubt hatte. Wenn es schon zu spät wäre, wenn der kurze selige Traum ihres Lebens ein entsetzliches Ende nähme, nach einem Jahr schon – der liebe Vater Christian ein Verbrecher, ein Dieb, verurtheilt, Theodor verarmt, mit entehrt! O, sie wollte ja für ihn mit Freuden wieder arbeiten, für das Brot war ihr nicht bange, noch waren ihre Arme kräftig; keine Thräne wollte sie all den falschen Freuden dieser eitlen Welt nachweinen. Aber ob er es ertragen würde? Ein Schauer überlief sie, ein entsetzliches blutiges Bild stieg vor ihr auf, wie sie es oft in Zeitungsberichten geschildert gelesen hatte.

Sie beschleunigte ihre Schritte. Der Vater mußte gewarnt werden und durfte kein Wort mehr reden gegen den Stefanelly, es wäre wirklich unverantwortlich von ihm. Sie dachte jetzt nicht mehr an die Tausende, die in ihr Verderben rannten, sie verstand davon nichts, wollte nichts davon verstehen – es galt das Leben ihres Gatten.

Der Vater war nicht zu Hause, die Mutter wie gewöhnlich bei der alten Frau Bergmann, der Schlossermeisterin. Bertha betrat die Werkstatt. Lili trug, ein Liedchen trällernd, das einen Monat alte Söhnchen Thereses umher und begrüßte den Besuch mit einem selig lächelnden Blick auf das strampelnde Kind.

„Sehen Sie nur, gnädige Frau, den herzigen Jungen! Wie er gedeiht! Gerade hier in der Werkstatt will er immer sein, der Lärm macht ihm Spaß und die leuchtenden Feuer; ich komme an gar keine Arbeit mehr mit dem kleinen Bösewicht.“ Und sie überhäufte das Kind mit Küssen.

„Sie lieben das Kleine wohl sehr?“ fragte Bertha.

„Ueber alles! Ein ganz neues Leben hat für mich begonnen, ich hätte es nimmer geglaubt, daß sie einem Menschen so alles ersetzen könnte, die Liebe zu so einem kleinen Wesen! Ich habe keinen Wunsch mehr. Warten Sie nur, gnädige Frau, Sie werden es auch bald erfahren.“

„Wo ist denn Therese?“ fragte Bertha ausweichend unter tiefem Erröthen.

„Mein Gott, sie rechnet wieder da nebenan. Das ist ja eine reine Krankheit seit einigen Monaten. Georg brachte sie eigentlich ins Haus, und wenn Ihr guter Vater, der Herr Margold, nicht wäre, der ihm keine Ruhe läßt, ich glaube, es wäre kein Geselle mehr im Hause.“

„Was für eine Krankheit denn, Lili?“ fragte Bertha ganz erstaunt.

„Spekuliren! Nichts als spekuliren, gnädige Frau! Therese kennt alle Papiere, alle neuen Unternehmungen, jeder verdiente Pfennig wird auf die Bank getragen. Ich verstehe nichts davon – es soll mehr Geld tragen als alles Arbeiten, sie will halt auch einmal reich werden wie Sie, gnädige Frau, und ich wünsche es ihr von Herzen, für meinen lieben, kleinen Maxi da wünsch’ ich es, meinen Maxi –“

Lili scherzte und schäkerte mit dem lallenden Kinde auf ihrem Arm und vergaß darüber die Spekulation und die schöne vornehme Frau neben ihr, die schwer aufathmend, den Kopf schüttelnd, auf das Zimmer der Schwester zuging.

Therese sah erstaunt von einem großen Kassabuch auf, in welches sie eben vertieft war, als Bertha eintrat.

„Ah, Bertha, findest Du es auch einmal wieder der Mühe werth, uns kleine Leute aufzusuchen? Nun, ich kann es Dir nicht verdenken, es ist gerade kein angenehmer Anblick, so eine Werkstatt, so eine ärmliche Stube, wenn man von Dir zu Hause kommt. Ich thät’ es bei Gott auch nicht!“

Bertha hatte ihre Freundin in der letzten Zeit wirklich vernachlässigt; aber dieser harte, gereizte Ton, aus dem eine nicht zu verkennende Unzufriedenheit sprach, überraschte sie sehr an der früher so herzlichen glücklichen Therese.

Dieses veränderte Wesen mußte mit der Spekulation zusammenhängen, von der die Schwester sprach; kein Zweifel, auch in diese Stätte des Friedens und der Arbeit war in der That das verhaßte Fieber gedrungen.

„Setze Dich, setze Dich, Bertha, und sei mir nicht böse über meine schlimme Laune! Das kommt so, wenn man einmal verheirathet ist. Du weißt freilich nichts davon, aber unsereines – nichts als Arbeit, Sorge und karger Verdienst! Wenn man nicht ein Sparkassenbuch bei Stefanelly hätte, man könnte sich nicht die kleinste Freude gönnen. Da wirft aber doch jedes bißchen Ersparniß seine ordentlichen Zinsen ab. Sieh, Bertha, das ist mir eine Freude – Dir wird sie freilich lächerlich vorkommen – so insgeheim in der Wirthschaft recht viel zu ersparen und damit zu Stefanelly zu gehen. Ganze Nächte denke ich darüber nach, wie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_211.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)