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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Errichtung eines Stadtgefängnisses, und während letzteres – die sogenannte Stadtvogtei – seinen Platz in dem bisherigen Garten dicht an der Spree bekam, wurde das Vorderhaus für die Polizeiverwaltung bestimmt.

Wenn man sich von äußeren Eindrücken leiten lassen will, so paßte dasselbe gut für eine „rächende und richtende“ Behörde, und phantasievolle Romanschriftsteller konnten sich für ihre schauerreichen Kriminalgeschichten keinen besseren örtlichen Hintergrund wünschen als diesen ehemaligen kurfürstlichen Palast. Mitten im alten Berlin gelegen, in einem Gewirr enger, verbogener, baufälliger Gassen und Straßen, deren jede mehr erzählen könnte als die gesammten neuen Stadttheile; bespült auf der einen Seite von den Wellen der hier ziemlich breiten Spree, von deren jenseitigem Ufer die wackeligsten, schiefsten, verwittertsten Häuschen herüberschauen; selbst finster, verdrossen, unheimlich zum Ansehen, mit ausgetretenen, knarrenden hölzernen Treppen und Dielen, mit langen, verworrenen, durcheinander führenden und schlecht beleuchteten Gängen, mit kleinen, niedrigen, von Moderluft erfüllten Zimmern und Kabinetten, mit winkeligen, von hohen Mauern begrenzten Höfen, auf welche theilweise vergitterte Gefängnißfenster hinausgingen – gewiß, man konnte es den Berinern und noch mehr den Berlinerinnen nicht verdenken, wenn für sie „der Molkenmarkt“ etwas geheimnißvoll Unheimliches, etwas Spukhaftes, Furchtbares hatte, und wenn sich selbst diejenigen, deren Gewissen rein war wie erster Winterschnee, nicht einer leichten Beklemmung erwehren konnten, sobald sie zum ersten Male die abgenutzten steinernen Stufen emporschritten und sich hinter ihnen die große, eisenbeschlagene eichene Thür, vor der stets ein Schutzmannsposten stand, schloß! –

Das alte Polizeipräsidium am Molkenmarkt.

Auf spukhafte Einwirkungen jedoch und geschichtliche Erinnerungen nimmt die Gegenwart keinerlei Rücksicht, sie kennt nur die gebietende Nothwendigkeit von Zweckmäßigkeitsgründen, und letztere erheischten seit Jahren bereits dringend ein anderes Heim für Berlins Polizei, welches sämmtliche Abtheilungen derselben unter einem Dache vereinigte.

Im Frühjahr 1886 wurde auf einem umfangreichen, dem Alexanderplatz benachbarten und sich längs der Stadtbahn hinziehenden Platze mit dem Bau eines neuen großen Polizeipalastes begonnen und derselbe mit einem Kostenaufwand von 5 150 000 Mark bis zum Herbst 1889 beendet, so daß im vergangenen Jahre die vollständige Uebersiedlung der Polizeibehörden dorthin stattfinden konnte. In mächtiger Höhe und gewaltiger Ausdehnung erhebt sich dieses Bauwerk, nächst dem Königlichen Schloß und dem entstehenden Reichstagsgebäude das größte in Berlin, denn es umfaßt einen Flächeninhalt von nahezu sechzehntausend Quadratmetern, von denen an elftausend bebaut sind. In seinem Aeußern, das aus hellrothen Ziegelsteinen, belgischem Granit und schlesischem Sandstein besteht, macht es einen ungemein stattlichen Eindruck, wenngleich man den mit den Bronzestandbildern des Großen Kurfürsten, König Friedrichs I., Kaiser Wilhelms I. und Kaiser Friedrichs III. geschmückten Fassaden eine größere architektonische Mannigfaltigkeit wünschen könnte.

Sergeant von 1844.

Lieutenant und Schutzmann von 1848.

Die Ausführung des Inneren ist eine äußerst gediegene. Eine besonders treffliche Einrichtung erfuhr die im ersten Stock gelegene Dienstwohnung des Polizeipräsidenten, zu welcher ein eigener, aus weißem Marmor bestehender Treppenaufgang hinaufführt. Der südliche Flügel enthält die Gefängnißräume; dieser Flügel ist von oben bis unten durch einen Mittelgang getheilt, welcher einen Ueberblick über alle sechs Stockwerke gestattet und nur auf seitlichen Galerien zu begehen ist, von denen aus man in die Zellen tritt. An den Thüren der letzteren befindet sich je eine rothweiße Scheibe, die, an einem Stabe befestigt, herausspringt, falls der Gefangene etwas zur Kenntniß der Aufseher bringen will. Im Erdgeschoß liegt der für vorübergehend aufgegriffene Personen bestimmte Polizeigewahrsam, aus einem größeren und kleineren Haftraum für Männer und Frauen bestehend, sehr leicht durch sogenannte „Judasse“ zu beaufsichtigen, kleine trichterförmige Oeffnungen, welche von außen die Beobachtung eines weiten Kreises gestatten. Auch für die Pferde der reitenden Schutzmannschaft ist gesorgt, nicht nur durch vorzügliche Stallungen, wobei wir als Merkwürdigkeit erwähnen, daß dieselben in zwei Stockwerken übereinander liegen, sondern auch durch eine große Reitbahn, in welcher sehr gut zwei Schwadronen üben können, und ferner durch sehr praktische Ställe für verletzte und kranke Pferde.

Ehe wir uns mit dem Beamtenheer beschäftigen, das dieser Polizeipalast Tag für Tag beherbergt, und einen Blick in das vielgestaltige Rädergetriebe dieser Verwaltung werfen, dürfte eine flüchtige Rückschau auf die Entwicklung der Berliner Polizei am Platze sein. Einst wurde dieselbe gänzlich von dem Rath der Stadt ausgeübt, 1735 jedoch theilten sich in die gemeinschaftliche

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_257.jpg&oldid=- (Version vom 8.4.2024)