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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Sie war etwas blonder und ihre Haltung war mehr sicher und still als auffallend stolz.

Herr von Römpker suchte, wie er so dasaß und sich auf dem Armensünderbänkchen fühlte, immerfort Vorzüge an Rahel auf. Bei ihr, so schien’s ihm, würde er Schutz und Halt gegen Lea finden. Er liebte immer die Tochter am meisten, welche ihm zur Stunde die bequemste war.

Die Mutter seufzte. Diese mittelgroße, von ewigen Sorgengedanken jeder Fülle beraubte Gestalt da in der Sofaecke hätte sich ein Uneingeweihter schwerlich als Herrin des reichen Hauses vorgestellt. Ihr mageres Gesicht mochte einst hübsch gewesen sein, heute war es nichtssagend. Die Frau machte den Eindruck, viel zu alt für den Mann neben ihr zu sein. Sie war obenein wie eine Matrone gekleidet, in sehr faltige braune Seide. Ihr Haupt, dessen unergrautes dunkles Haar sie in glatten Puffen trug, krönte ein Häubchen von Spitzen.

„Wer wohl von der Geschichte anfangen wird?“ dachte Herr von Römpker und überlegte, ob sich nicht ein Vorwand finden ließe, der es ihm möglich machte, nach Kohlhütte hinüber zu reiten.

In den schönen Zimmern, die von der Nachmittagssonne durchfluthet waren, herrschte nun völlige Stille, denn auch Rahel hatte sich gesetzt. Sie saß am Fenster und blickte über die Parkwiesen hin zum See.

Die altmodischen Möbel glänzten in ihrem dunklen Mahagoni und ihrem blanken Messingzierat. Sie hatten schon den Großeltern gedient. Es gab auch sogar ein Zimmer voll Rokokosachen. Herr von Römpker hatte die Pietät und den vornehmen Geschmack gehabt, bei seinem Neubau den ererbten Hausrath einer ganzen Folge von Geschlechtern nicht bei Seite zu werfen. Die Töchter hatten dann die hübsche Vermittlung zwischen den neumodischen Wänden und den alten Sachen hergestellt: sie hatten allerlei Dekorationsstücke zusammengetragen: Stoffe aus dem Orient, Phantasiearbeiten aus Seide und Malerei, niedliche, wenn auch unbenutzbare Gerätschaften, Blumen und Palmenwedel. Darüber waren denn alle Wohnräume sehr behaglich geworden. Und Herr von Römpker liebte so sehr die künstlerisch aufgeputzte Behaglichkeit. Er war stolz auf sein Haus.

Die Wohnzimmer, ihrer fünf an der Zahl, zogen sich vom Portal links im Schloß herum, bis parkwärts auf die Veranda. Hieran schloß sich ein mächtiger Speisesaal, und die ganze Seite rechts vom Portal war dem Festsaal des Schlosses gegeben.

So sehr Herr von Römpker in wachsender Nervosität auf ein erstes Wort gewartet hatte, so sehr fuhr er doch erschreckt zusammen, als es endlich fiel.

„Nun?“ fragte Lea und wandte sich langsam herum, die Ihrigen nach der Reihe ansehend. Sie stand da wie eine Königin, welche man erzürnt hat und die Milderungsgründe zu hören erwartet. Ihr sehr enges rothes Sommergewand sah beinahe wie ein Reitkleid dem Schnitt nach aus. Es stand ihr vorzüglich zu dem zarten Teint und dem dunklen Haar. Sie legte die Hände auf ihren Rücken zusammen und wiederholte herrisch:

„Nun?“

„Aber Lea,“ sagte die Schwester. „Was ist das für eine Frage und was soll Papa denn darauf antworten! Laß uns doch in Liebe und Ruhe über alles sprechen!“

Frau von Römpker fing gleich an, still vor sich hinzuweinen. Was sollte man da noch viel sprechen? Die Geschichte war hoffnungslos, das Glück ihrer Kinder dahin, der Wohlstand des Hauses untergraben.

„Dachte ich’s nicht,“ sagte sich Herr von Römpker aufathmend, „Rahel ist die einzig Vernünftige von meinen Weibsleuten im Hause. Sie wird Lea schon klar machen, daß die ganze Geschichte den Aufwand von Erregung nicht werth ist.“

Lea fühlte sich durch die Ermahnung der Schwester etwas besänftigt. Sie beschloß, „in Ruhe“ zu sprechen. „Denn“ sagte sie sich, „wenn ich nicht die Zügel ergreife, ist alles verloren.“ Sie war wie Vater, Mutter und die ganze Dienerschaft der festen Meinung, daß sie, Lea, das Haus beherrsche, daß sie hier den einzigen festen Willen und die einzige Thatkraft zum Handeln habe – so weit in diesem Hause und mit diesen Menschen überhaupt etwas zu wollen war.

„Vielleicht,“ begann Rahel wieder mit ihrer sanften Stimme, „habt Ihr Euch nur mißverstanden, Papa und Du. Es ist uns ja seit heute morgen keine Stunde des Alleinseins vergönnt gewesen. Die schnellen Worte, die Ihr in den Pausen zwischen den Besuchen wechseln konntet, haben gewiß nicht die Kraft gehabt, Papa von der Unumstößlichkeit Deines Willens zu überzeugen.“

Frau von Römpker hörte vor Erstaunen auf, zu weinen. Sie begriff nicht, woher Rahel die Gabe kam, immer so wohlgesetzt und so überlegen zu sprechen. Das mußte schon daher kommen, weil sie, Rahel, nicht soviel Gemüth hatte wie die Mutter. Wer ein so weiches Herz hat, kann nicht gefaßt sein und Frau von Römpker wurde wieder zu Thränen gerührt über ihr eigenes leidfähiges Gemüth.

„Laß das ewige Weinen!“ bat Herr von Römpker verzweifelt.

„Ich glaube nicht,“ sagte Lea, „daß von einem Mißverständniß die Rede sein kann. Als Clairon heute morgen um meine Hand warb in meiner Gegenwart, wie er es vorher mit mir verabredet hatte, schlug Papa ihm diese meine Hand ab. Ich erklärte noch in Roberts Gegenwart, daß ich ihn liebe und seine Bewerbung annehme. Darauf sagte Papa, daß triftige Gründe vorlägen, welche diese Verbindung unmöglich machten, Gründe, welche er aber nur mir allein nennen könne. Ich sagte Robert, daß ich an ihm festhalten werde, einstweilen möge er gehen und weiteres schriftlich von mir erwarten. Und was für ein nichtiger, künstlich hervorgeholter Grund ist es denn, mit dem Papa mir kam? Er könne mein Erbtheil von Großmama nicht auszahlen! Wir hätten auf zu großem Fuße gelebt! Ich müsse einen reichen Mann heirathen!“

Sie lachte fast spöttisch. In ihrer Stimme – es war eine äußerst wohllautende, etwas tiefe Stimme – hatte keinerlei schmerzliche Erregung mitgeklungen, nur Zorn und Ungeduld.

„Warum Du gerade die Laune hast, den Grafen Clairon heirathen zu wollen!“ bemerkte Herr von Römpker.

„Es handelt sich um keine Laune,“ fuhr Lea auf und trat bis an den Sofatisch heran, an dessen anderer Seite ihre Eltern saßen. „Ich will diesen Mann heirathen, weil ich ihn liebe und weil ich ihn sogar ohne Liebe auch aus reinen Verstandesgründen wählen würde.“

„Heirathen muß Lea doch einmal, lieber Papa,“ sagte Rahel bittend, „oder willst Du, daß sie ein altes Mädchen wird? Sie ist doch schon vierundzwanzig Jahre und Clairon paßt wirklich für sie, als wäre er eigens für sie geschaffen.“

„Du denkst doch auch nicht ans Heirathen!“ murmelte Herr von Römpker, der in der That Lea aus ihrem Wunsch einen Vorwurf machte, bloß weil ihm dieser Wunsch durch die Begleitumstände recht unbequem wurde.

„Ich?“ rief Rahel und lachte. „Nein, Papa, mir sind alle Männer so ungeheuer gleichgültig, und es scheint, daß sie das stets bei der ersten Begegnung bemerken, denn die Gleichgültigkeit ist stets auch auf ihrer Seite.“

„Wir sind also wirklich ruinirt?“ fragte Frau von Römpker jammernd.

„Aber keine Spur,“ sprach ihr Gatte ärgerlich. „Die Thatsache ist, daß wir ein bißchen zu viel ausgegeben haben. Ein paar schlechte Jahre kamen dazu. Kurz und gut, ich habe das Geld der beiden Mädels nach und nach aufgenommen und ins Gut gesteckt, ich könnte Lea ihre hunderttausend Mark nicht auszahlen, ohne in große Verlegenheit zu kommen. Clairon ist nicht vermögend. Er muß als Premierlieutenant ein Kapital bei seiner Eheschließung nachweisen. Das ist alles.“

„Nun, das ist nichts,“ sagte Rahel vergnügt. „Wenn Du unser Geld aufgenommen und ins Gut gesteckt hast, so sind doch die Hypotheken da. Eine solche Hypothek auf ein sonst schuldenfreies Gut ist gewiß Kapitalnachweis genug, und es ist ja genügend, wenn Lea und Clairon die Zinsen bekommen. Reicht es nicht – so gieb ihnen meine dazu!“

„Wo hat das Mädchen denn die verwünschte Geschäftskenntniß her?“ dachte Römpker. Ihm wurde recht elend zu Muth. Dies unglückliche Geld war gar nicht als Hypothek eingetragen, sondern einfach verbraucht. Er bereute es ja in diesem Augenblick aufs allerheftigste, aber wieder herbeizaubern konnte er es auch nicht.

Er schwieg. Seine beiden Töchter sahen ihn lange an. Er stützte den Ellbogen auf den Tisch, barg die Stirn in der Hand und starrte schweigend in den Plüsch der Tischdecke.

Sie waren beide so klug, daß sie alles erriethen. Lea kämpfte heiß mit sich, um ein unkindliches Wort zu unterdrücken. Es

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 280. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_280.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)